TÜBINGEN. Wie soll Europa auf Trump reagieren? Der Politikwissenschaftler Stephan Bierling, Professor an der Universität Regensburg behandelte diese Frage am Montag als Hauptredner des Mittelstandsempfangs der Kreissparkasse im Landestheater Tübingen. »Neun Monate Donald Trump fühlen sich wie neun Jahre an«, befand Bierling. Während Trump in seiner ersten Präsidentschaft noch von traditionellen Republikanern ausgebremst worden sei, umgebe er sich nun nur noch mit Ja-Sagern. »Das sind dritt- und viertklassige Leute, die nur unter ihm Karriere machen können«, analysierte Bierling. Eine Anekdote aus der ersten Trump-Amtszeit, als ein Wirtschaftsberater eine Zollanordnung einfach vom Schreibtisch des Präsidenten verschwinden ließ, bevor dieser sie unterschrieben hatte, unterstrich seine Analyse. »Bei Trump ist alles für die nächsten 15 Minuten gedacht«, so Bierling. Anscheinend habe er die Zölle damals schlicht vergessen. »Wenn er nicht als Friedensstifter im Nahen Osten aufgetreten wäre, dann wäre seine Politik der letzten Monate ein komplettes Desaster«, so Bierling.
Warum zerstört Trump die liberale Weltordnung?
»Weil er es kann«, antwortete Bierling. »Wenn wir Trump als Ministerpräsident von Luxemburg hätten, dann würden wir uns biegen vor Lachen«, so Bierling. Die USA seien durch ihre strategische Lage mit zwei großen Ozeanen und nur zwei Nachbarländern, sowie einem großen Binnenmarkt, weder militärisch noch wirtschaftlich von anderen Staaten abhängig und fast nicht angreifbar. Die Ära seit 1990 sei geprägt gewesen von der Vorherrschaft des Westens. »Es schien keine Alternative zur Marktwirtschaft und Demokratie zu geben«, sagte Bierling. »China war Anfang der 1990er wirtschaftlich so stark wie Italien und hat einen der rasantesten Aufstiege in der Geschichte hingelegt«, so Bierling. Nun gebe es mit China und Russland neben den USA zwei weitere Großmächte, die nicht mehr bereit sind, nach den Spielregeln des Westens zu spielen. »Das hat vor Trump begonnen, aber weil es ein relativer Abstieg der USA war und Trump versprochen hat, die alten Verhältnisse wieder herzustellen, hat er die Wahl gewonnen«, analysierte Bierling. Ob Putin eine Akte in der Hand habe, mit der er Trump erpressen könne, wisse man nicht, so der Professor. Unplausibel sei das allerdings nicht, denn bei jedem Treffen der beiden führ Putin Trump »am Nasenring durch die Manege«. Zwei Dinge würden Trump auszeichnen: Rachefantasien und Allmächtigkeitswahn. »Er will anerkannt werden. Deshalb redet er dauernd vom Friedensnobelpreis.« Weil Demokratie auf Langsamkeit getrimmt sein, verachte sie Trump. »Er will mit den Großen am Tisch sitzen und mit Xi und Putin die Welt aufteilen. Deshalb redet er von Kanada als 51. Bundesstaat und von der Annektierung Grönlands und des Panamakanals.«
Wer profitiert von Trumps Politik?
Putin und Xi Jinping profitieren, sagt Bierling. »Das Ziel Putins ist es, die Nato auseinanderzudividieren. Das liefert ihm Trump auf dem Silbertablett.« Xi Jinping könne seine Stellung in Asien ausbauen und Trump sei sein Verkaufsargument. Allerdings werde die Hegemonie Chinas keine wohlwollende sein, warnt Bierling. Als Beispiel nannte er eine Autobahn in Montenegro, die die Chinesen geplant, finanziert und mit chinesischen Arbeitern gebaut haben und nun eine überteuerte Maut dafür kassierten.
Was bedeutet Trump für Europa?
Als Putin und Selenskyj in Riad verhandelten, sei das der »schlimmste Alptraum der Europäer« gewesen. Denn ein ur-europäisches Problem werde ohne Europa gelöst. »Es gab seit dem Kalten Krieg immer die Angst, dass Europa ein Spielbrett der Mächtigen wird. Nun ist es so weit.« Europa könne sich gegen Trumps Zölle nicht wehren, weil die europäischen Armeen es derzeit ohne die USA nicht mit Russland aufnehmen könnten. Das Geld, das die Europäer in die Rüstung steckten, werde ineffizient versenkt, sagte Bierling. Denn die Europäer hätten 178 Großwaffensysteme, die teilweise untereinander nicht kompatibel sind, während die Amerikaner nur 30 Großwaffensysteme hätten, so Bierling. Allein 17 verschiedene Kampfpanzertypen gebe es in europäischen Nato-Armeen, weshalb die Stückzahlen entsprechend hoch seien.
Welche Möglichkeiten bleiben Europa?
Es gebe vier Möglichkeiten, sagte Bierling. Die erste sei die typisch deutsch-europäische, das Prinzip Hoffnung. Das sei für ihn keine Option, sagt Bierling. "Wir haben zu lange mit Best-Case-Szenarien gerechnet. Wir müssen mit Worst-Case-Szenarien rechnen. Die zweite Option sei eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland, wie sie die AfD, das BSW und die Linke anstrebten. Zusammengerechnet hätten diese russlandfreundlichen Parteien bei den Jungwählern der letzten Bundestagswahl über die Hälfte der Stimmen bekommen, gibt Bierling zu bedenken. Für Bierling keine Option: "Putin ist ein Faschist und der AfD gefällt alles, was so ein bisschen bräunelt". Er folgert: "Es wäre eine Katastrophe, wenn deutsche Politik in Moskau bestimmt wird". Die dritte Option sei ein Bündnis mit China, wie es die pro-chinesischen europäischen Länder Ungarn und Griechenland anstrebten. "Der einzige Vorteil zu Russland ist, dass China weit genug weg ist, um uns mit Raketen zu treffen", verwarf Bierling diese Option. Deshalb bleibe nur die vierte Option einer "Nato 2.0", bei der die Europäer mehr in die Rüstung investierten und außerdem die Ukraine unterstützten. Die Ukraine sei das "Sparta Europas". Wenn sie falle, dann falle aus Europa, sagte Bierling. Ferner müssten die Europäer alles tun, um die Amerikaner in der Nato zu halten.
Wann sind die USA endgültig keine Demokratie mehr?
»Wenn es Donald Trump gelingt, über 2029 hinaus im Amt zu bleiben, ist die US-Demokratie Geschichte«, sagt Bierling. Er begründet das damit, dass die US-Verfassung die Präsidentschaft auf zwei Amtszeiten begrenze und dann ausgehebelt sei. (GEA)

