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Merz zu Gast bei Freunden

Um die letzten »großen Brocken« bei den Koalitionsverhandlungen abzuräumen, trifft sich die Führungsspitze

Haben noch einige dicke Bretter zu bohren (von links): Friedrich Merz, Unions-Kanzlerkandidat und CDU-Bundesvorsitzender, Saskia
Haben noch einige dicke Bretter zu bohren (von links): Friedrich Merz, Unions-Kanzlerkandidat und CDU-Bundesvorsitzender, Saskia Esken, SPD-Bundesvorsitzende, Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern und CSU-Vorsitzender, und Lars Klingbeil, SPD-Fraktions- und Bundesvorsitzender, bei den Koalitionsverhandlungen. FOTO: KAPPELER/DPA
Haben noch einige dicke Bretter zu bohren (von links): Friedrich Merz, Unions-Kanzlerkandidat und CDU-Bundesvorsitzender, Saskia Esken, SPD-Bundesvorsitzende, Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern und CSU-Vorsitzender, und Lars Klingbeil, SPD-Fraktions- und Bundesvorsitzender, bei den Koalitionsverhandlungen. FOTO: KAPPELER/DPA

BERLIN. Es ist ein stückweit fremdes Territorium, auf das Friedrich Merz am Freitagnachmittag vordringt. Da nämlich tagen die Chefverhandler der wahrscheinlich künftigen Koalition aus Union und SPD im Willy-Brandt-Haus. Merz also – für viele Sozialdemokraten der Inbegriff eines kaltherzigen Neoliberalen – in der SPD-Parteizentrale, dem Herz der deutschen Sozialdemokratie.

Es ist das erste Mal, dass der CDU-Chef im Hauptquartier der Genossen zu Gast ist. Immerhin einen ortskundigen Mitstreiter hat er dabei: CSU-Chef Markus Söder. Der war schon mehrfach hier, wie er betont, auch wenn sein letzter Besuch etwas zurückliege.

Nun werden die Verhandlungen in den kommenden Tagen zwar nicht nur in der SPD-Zentrale stattfinden, sondern auch im Konrad-Adenauer-Haus der CDU und in der bayerischen Landesvertretung. Aber der Auftakt im SPD-Territorium ist zumindest ein symbolischer Erfolg für die Sozialdemokraten. Wobei doch auffällig ist, dass die Pressekonferenz draußen stattfindet, vor dem Gebäude. Und nicht im Foyer zu den Füßen der über drei Meter großen Bronzestatue des namensgebenden Ex-Kanzlers.

»Bei manchen hat eher eine ›Wünsch dir was‹-Mentalität geherrscht«

Doch genug der Symbolik. Die Koalitionsgespräche gehen an diesem Freitag in die entscheidenden Tage. Zwar haben sich die Arbeitsgruppen auf 16 Papiere geeinigt und damit die zweite große Etappe nach den Sondierungsgesprächen genommen. Aber im Sport ebenso wie bei Verhandlungen gilt: Anstrengend wird es hintenraus, auf der letzten Etappe – in der »Crunch Time«. Denn da ist noch einiger Klärungsbedarf.

Das geht schon mal bei der Länge los. Allen voran die Union hatte in der Vergangenheit immer wieder klargemacht, man wolle einen kurzen Koalitionsvertrag. Es sei der grundlegende Fehler der Ampel gewesen, die eigenen Vorhaben bis ins letzte Detail auszuarbeiten und später stur abzuhaken – trotz einer sich veränderten Weltlage seit Beginn des Krieges in der Ukraine. Stattdessen wolle man nur grobe Leitlinien bestimmen, hieß es aus der Union. CDU-Generalsekretär Linnemann hatte deshalb noch im Februar vorgeschlagen, einen schmalen Koalitionsvertrag von etwa 30 Seiten zunächst für ein Jahr auszuarbeiten und nur zehn große Projekte zu definieren. Von der Idee ist nicht mehr viel übrig.

Im Gegenteil. Rechnet man alle Papiere der Arbeitsgruppen zusammen, die bereits an die Presse durchgestochen wurden, kommt man auf über 160 Seiten. Das mag zum Teil an eingefügten Kommentaren und Wünschen liegen. Trotzdem müssen die Verhandler noch einiges einkürzen, wenn sie ihr Versprechen halten wollen. Der Koalitionsvertrag der Ampel umfasst übrigens 144 Seiten.

Zuletzt ruderte auch die Union bei den Längenvorgaben etwas zurück. Generalsekretär Linnemann wollte kürzlich in einer Pressekonferenz trotz mehrfacher Nachfrage keine konkrete Seitenzahl nennen, die man ihm später vorhalten könne, wie er selbst zugab. Auch am Freitag standen die Zeichen nicht auf Kürzung, eher im Gegenteil. SPD-Chef Lars Klingbeil sagte, man stelle sich aktuell die Frage: »Ist das groß genug, reicht das?« Ähnlich äußerte sich Co-Chefin Saskia Esken. Das mag zwar auch auf die Größe der Aufgaben bezogen sein, nicht unbedingt auf die Länge des Koalitionsvertrags. Trotzdem ist von Verschlankungswillen wenig zu spüren.

Friedrich Merz fügte hinzu, es gebe »noch einige Brocken«, die jetzt zu klären seien. Im Vordergrund steht die Finanzierung. Zwar hätte die Koalition aus Union und SPD durch die Reform der Schuldenbremse und das Sondervermögen für Infrastruktur viel Geld zur Verfügung. Aber im regulären Haushalt ist der Spielraum nur bedingt größer. Und daraus müssen teure Wahlgeschenke finanziert werden.

Stichworte: Mütterrente oder die Senkung der Gastro-Mehrwertsteuer. Jetzt gelte es, zu priorisieren, sagte SPD-Chef Klingbeil. »Da werden wir uns nicht nur Freunde machen.« Aber man wolle nicht den Ampel-Fehler begehen und »gute Sachen« in den Koalitionsvertrag schreiben, die sich hinterher nicht finanzieren ließen. Auch Friedrich Merz sagte: »Wir werden umfassend sparen müssen.« Das darf durchaus auch als Kritik an den eigenen Leuten verstanden werden. Bei manchen Arbeitsgruppen hätte eher eine »Wünsch dir was«-Mentalität geherrscht, sagte der CDU-Vorsitzende.

Nichtsdestotrotz gaben sich alle vier Chef-Verhandler betont zuversichtlich. Merz beispielsweise sagte, dass in der Migration – immerhin eine der großen Streitfragen – »die Richtung stimmt«. Selbst der sonst streitlustige Markus Söder meinte, er sei »sehr optimistisch«, was eine Regierungsbildung angeht. Nur wie lange die Gespräche noch dauern werden, ist unklar. Zuletzt hatte vor allem die Union die Hoffnungen auf eine schnelle Regierungsbildung etwas gedämpft. (GEA)