SINGEN. Und da sage einer, Politik sei langweilig. »Au Backe, au Backe, die CDU ist Kacke«, rufen Demonstranten der Kleinpartei Volt, die sich vor der Stadthalle in Singen versammelt haben. »Fritze Merz fischt frische Faschos«, ist auf einem Plakat zu lesen. Es ist nur ein kleines Grüppchen vorwiegend junger Leute, die ihren Protest gegen die CDU und den Asylkurs von Friederich Merz lautstark hinausschreien.Wenige Meter weiter stehen die Menschen Schlange. Sie wollen zur Wahlkampfveranstaltung von Friedrich Merz in die Stadthalle. Die Reihe ist über hundert Meter lang. Binnen kürzester Zeit waren die Karten vergriffen, obwohl die Halle 1.000 Gäste fasst. So groß war der Andrang, den Parteichef zu erleben und ihm Rückhalt zu versichern.
Mehrheit der Bevölkerung
Merz zieht an der Parteibasis, trotz aller öffentlichen Proteste. Oder vielleicht auch gerade deshalb. Denn das führt in der CDU dazu, dass die Reihen enger geschlossen werden. Doch vor allem bildet der laute Widerspruch der Medienschaffenden und der linken Gruppierungen gegen den Migrationskurs in Wirklichkeit nur die Meinung einer Minderheit ab. Die Mehrheit der Deutschen will eine Verschärfung der Migrationspolitik, ja sogar Zurückweisungen an der Grenze. Die Forderung nach einer ausnahmslosen Zurückweisung von Asylsuchenden ohne gültige Einreisedokumente an der Grenze wird laut Politbarometer von einer Mehrheit der Befragten (63 Prozent) unterstützt (dagegen: 33 Prozent). Ebenfalls mehrheitlich befürwortet (56 Prozent) werden dauerhafte Kontrollen an allen deutschen Grenzen (dagegen: 42 Prozent).
Insofern ist Singen für Merz ein Heimspiel. Doch in personelle Hinsicht ist es ein Fingerzeig. Es ist der Wahlkreis von Andreas Jung, den Merz sehr schätzt und den er durch seinen Auftritt am Hohentwiel unterstützen will. Es ist aber auch die alte Verbundenheit zur Hans-Peter Repnik, der ebenfalls im Landkreis Konstanz wohnt. Repnik war von 1998 bis 2002 Parlamentarischer Geschäftsführer im Bundestag und sein Verbündeter im Kampf um den Fraktionsvorsitz gegen Angela Merkel, die damals dieses Amt für sich beanspruchte.
Merz fühlt sich sichtlich wohl in Singen. Er wirkt entspannt und skizziert eine Art Regierungsprogramm. Zunächst beschreibt es die Weltlage. Die Wahl von Trump, das Ampel-Aus, der Krieg in der Ukraine und der Machtkampf mit China, all das seien tektonische Verschiebungen der Weltpolitik. Deshalb brauche es in Deutschland eine stabile Regierung, die nicht fortwährend streitet, sondern Entscheidungen trifft. In seiner Rede streift er alle wichtigen Politikfelder von Europa, Wirtschaft, Steuer, Umwelt, Soziales und Digitalisierung. Deutschland müsse wieder stark werden. Doch das könne nur durch eine echte Politikwende gelingen. Dazu gehöre auch eine veränderte Mentalität der Bevölkerung. »Mit Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand nicht erhalten können«, ruft Merz in den Saat und erntet viel Applaus. Deutschland sei wirtschaftlich zurückgefallen. Deshalb brauche es nun eine tief greifende Veränderung der Rahmenbedingungen. »Arbeit ist nicht eine Unterbrechung der Freizeit. Wir müssen wieder eine andere Einstellung zur Arbeit entwickeln«, sagt Merz. Das soll nicht durch Zwang, sondern durch gute Angebote erreicht werden.
Immer wieder spricht der CDU-Chef von Überzeugungen und der Notwendigkeit, dafür zu kämpfen. »Wir dürfen uns nie wieder von den Grünen oder jemand anderem dazu treiben lassen, Dinge abzuschalten, ohne zu wissen, wie wir diese ersetzen.« In Deutschland sei zu viel verboten worden. »Die Abschaltung von drei funktionierenden Atomkraftwerken mitten in der Energiekrise war eine Schnapsidee«, schimpft der Sauerländer. Auch bei der Heizung und beim Verbrennungsmotor zeige sich das das gleiche Muster: ausschalten, verbieten, bevor man weiß, wie es ersetzt wird. Die CDU stehe für Klimaschutz. Das Ziel müsse sein, CO2 zu reduzieren und nicht vorzuschrieben, welcher Motor unter der Haube eines Autos eingebaut wird.
Signal an SPD und Grüne
Schließlich spricht er es doch an. Sein Fünf-Punkte-Plan zur Migration. Er hat nur mit den Stimmen der AfD eine Mehrheit im Bundestag gefunden und im Land eine Protestwelle ausgelöst. »Ich fand, das war eine Klärung, wo jemand beim Thema Migration steht. Ich hätte mir gewünscht, eine Einigung mit SPD und Grünen zu erzielen. Doch ich bin nicht bereit, Anträge zurückzustellen, nur weil die AfD zustimmt.« Die CDU werde auch nach dem lautstarken Protest im Bundestag mit Grünen und SPD zusammenarbeiten. Es sei jetzt an der Zeit, im Wahlkampf die Temperatur runterzudrehen. »Ich will die Grenzen nicht schließen, sondern besser kontrollieren, so lange die EU-Außengrenze nicht ausreichend geschützt ist. Sonst wird die AfD immer stärker.«
Merz glaubt, dass es bei der SPD bald eine Kehrtwende in der Migrationspolitik geben wird. Laut Umfragen befürwortet eine Mehrheit der SPD-Wähler den Asylkurs der CDU. Erneut schließt Merz eine Zusammenarbeit mit der AfD aus. »Meine Partei wird unter keinen Umständen mit der AfD zusammenarbeiten«, sagt Merz. Damit würde man die Seele der CDU verkaufen. Die Folge wäre ein Raus aus der EU, ein Raus der Nato, ein Raus aus dem Euro. »Wir werden das nicht tun« . Gleichzeitig warnt er: »Wer der AfD die Stimme gibt, erschwert die notwendige Politikwende bei Sicherheit, Asyl und Wirschaft.«
Nach dem Ende der Veranstaltung sieht man viele zufrieden Gesichter in Singen. Die versprochene Politikwende ist auch eine Wende für die CDU: Eine Abkehr von Merkels Willkommenskultur. Darauf haben viele gewartet. (GEA)