STUTTGART. Auf die Ergebnisse ist man im Gesundheitsamt selbst gespannt gewesen. Wie hat sich Corona auf den Einschulungsjahrgang 2023 in Sachen Gewicht, Sprachentwicklung und Motorik ausgewirkt? Welche Trends lassen sich ablesen? Denn dass es sich um Trends handelt, darauf legt der Stuttgarter Gesundheitsamtsleiter Stefan Ehehalt wert. Ob sich in der Pandemie etwas verschoben hat, kann man erst sagen, wenn zu mehr Jahrgängen Daten vorliegen.
Vor der Esu kann sich kein Elternhaus drücken. Es ist die einzige Untersuchung, die alle 5.000 bis 6.000 Kinder eines Einschulungsjahrgangs in Stuttgart ablegen. Notfalls wird die Teilnahme mittels Bußgeld durchgesetzt, was aber extrem selten vorkomme, sagt der zuständige Abteilungsleiter Tobias Bischof. Etwas Vergleichbares wie die Esu gibt es sonst nicht, entsprechend wertvoll sind die Daten, um etwas über die Gesundheit der Bevölkerung herauszufinden. Wichtigstes vorläufiges Ergebnis der Untersuchungen: Im Großen und Ganzen seien die Vorschulkinder gut durch die Pandemie gekommen. Aber es gebe besonders belastete Gruppen, was sich vor allem beim Thema Gewicht zeige.
Mehr als 50 statt 20 Kilogramm
Die allermeisten Vorschulkinder haben keine Gewichtsprobleme. Nach vielen Jahren, in denen der Anteil übergewichtiger Kinder laut den Esu-Ergebnissen zurückging, verzeichnet das Gesundheitsamt für den Einschulungsjahrgang 2023, der 2021 und 2022 untersucht wurde, allerdings wieder einen leichten Anstieg auf 9,1 Prozent. Beim Einschulungsjahrgang 2020 lag der Wert bei lediglich 7,9 Prozent. Dennoch sind auch die 9,1 Prozent immer noch besser als die Vergleichszahlen der Jahrgänge 2010 bis 2013, als mehr als zehn Prozent der Vorschulkinder übergewichtig waren.
Schaut man sich genauer an, wie sich das Übergewicht verteilt, fällt allerdings ein Trend auf, der auch dem Gesundheitsamtsleiter Sorgen macht. Der Anstieg bei den adipösen oder sogar extrem adipösen Kindern ist auffällig – von 3,0 (159 Kinder) im Jahr 2020 auf 4,3 Prozent (229). Das sei ein bundesweit zu beobachtendes Phänomen, sagt Ehehalt. Extrem fettleibig sind demnach 90 Kinder. Beim 2020er-Jahrgang waren dagegen 53 extrem adipös gewesen. Das schwergewichtigste Kind, das untersucht wurde, war fünfeinhalb Jahre alt. Statt der üblichen 18 bis 20 Kilogramm wog es 53,4 Kilogramm bei einer Größe von 1,19 Meter – das macht umgerechnet einen Body-Mass-Index (BMI) von 38. In einem solchen Fall müsse man von einer chronischen Erkrankung ausgehen, sagt Ehehalt. Dieses Kind brauche eine kontinuierliche Betreuung und eine spezialisierte Therapie. Leider gebe es in Deutschland zu wenig entsprechende Angebote. Natürlich habe man das Kind – wie alle von starkem Übergewicht betroffenen Kinder – an die eigene Adipositasberatungsstelle vermittelt, die den Familien zur Seite steht und ihnen kostenlose Angebote macht, damit sich die Kinder zum Beispiel mehr bewegen.
Für das Grobmotorik-Screening müssen die Kinder auf einem Bein hüpfen und auf einer Linie laufen. Beim 2012er-Jahrgang war das Screening bei mehr als 30 Prozent der Vier- bis Fünfjährigen auffällig, beim 2020er-Jahrgang dann nur noch bei 23,2 Prozent. »Wir blicken auf eine Erfolgsgeschichte«, bilanziert Ehehalt. Der Jahrgang 2023 schneidet mit 24,1 Prozent zwar schlechter als der Jahrgang 2020 ab, aber immer noch deutlich besser als der von 2012. Eine Umkehr des rückläufigen Trends sieht Ehehalt daher »zum jetzigen Zeitpunkt« nicht. Auch bedeute es nicht, dass 24,1 Prozent der 5.357 untersuchten Kinder tatsächlich im medizinischen Sinne auffällig in der Grobmotorik wären. Das gelte nur für sehr wenige. Das Screening biete die Gelegenheit auf Fördermöglichkeiten hinzuweisen, er-klärt Ehehalt. Man sei insgesamt in einem guten Bereich. Für die positive Entwicklung der vergangenen Jahre macht er vor allem Fördermaßnahmen wie den Stuttgarter Bewegungspass und das Kita-fit-Programm verantwortlich, an dem sich mehr als 75 Prozent der Kitas beteiligen.
Probleme mit deutscher Sprache
Bei der sprachlichen Entwicklung zeigten 41 Prozent der untersuchten Vier- bis Fünfjährigen Auffälligkeiten. Hier sind die Unterschiede allerdings groß – je nachdem, ob die Eltern Deutsch als Muttersprache haben oder nicht. Nur bei 17 Prozent der Kinder, deren Familiensprache ausschließlich Deutsch ist, war das Screening auffällig. Bei 78 Prozent der Kinder mit einer anderen Familiensprache war es dagegen der Fall. Dahinter verbergen sich also vor allem Probleme mit der deutschen Sprache. Würde man die Untersuchung in der Familiensprache machen, gäbe es andere Ergebnisse. Im Wartezimmer plapperten die Kinder munter mit ihren Müttern, so der stellvertretende Amtsleiter Bischof, da reiche normale Sprachförderung aus. Nur noch die Minderheit des 2023er-Jahrgangs hatte Deutsch als Muttersprache; der Anteil beträgt 43 Prozent. »Wir haben einen gleichbleibenden Förderbedarf«, betont der Kinder- und Jugendarzt. »Intensiven Sprachförderbedarf« sahen die Fachleute des Gesundheitsamts bei 32,9 Prozent der Kinder – bei genauso vielen wie beim Einschulungsjahrgang 2020. (GEA)