REUTLINGEN/MAGDEBURG. »Der Staat steht an der Seite der Betroffenen des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg und wird die Hilfe koordinieren. Es geht um jedes einzelne Anliegen«, sagt der Reutlinger FDP-Bundestagsabgeordnete und evangelische Militärpfarrer Pascal Kober. Als Bundesopferbeauftragter ist Kober zentraler Ansprechpartner für alle Betroffenen von terroristischen oder extremistischen Anschlägen im Inland. Die Nachricht vom Anschlag erreichte Kober per Handy am Freitag gegen 20 Uhr in der Premierenvorstellung des Reutlinger Weihnachtszirkus’. Gleich von dort aus traf er die ersten Vorbereitungs- und Koordinierungsmaßnahmen, die ihn die ganze Nacht in Atem hielten.
Bei dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg sind fünf Menschen ums Leben gekommen. Unter den mehr als 200 Verletzten gibt es über 40 schwer oder sehr schwer Verletzte. »Sie alle müssen über die Möglichkeiten der finanziellen und psychosozialen Hilfen informiert werden. Kein Anliegen darf dabei unbeachtet bleiben«, sagt Kober.
Wenn man Hinterbliebene, Tatzeugen und Ersthelfer von Magdeburg hinzurechnet, geht es laut Kober um eine hohe dreistellige Zahl von Betroffenen. Viele bräuchten zunächst einmal Orientierung und Informationen darüber, wo es welche Hilfe und Unterstützung gibt. »Neben der medizinischen Betreuung benötigen die Leute jetzt konkret die Zusicherung, dass sie in ihrer Situation nicht alleinegelassen werden. Und es geht auch um eine langfristige, dauerhafte Unterstützung.«
Obwohl es sich noch nicht ausdrücklich durch den Bundesanwalt festgestellt um einen terroristischen Anschlag handelt, hat die Bundesregierung Kober in diesem speziellen Fall gebeten, die Aufgaben als Opferbeauftragter zu übernehmen. Kober hatte sich nach dem Gedenkgottesdienstes am Samstagabend im Magdeburger Dom mit Bundeskanzler Olaf Scholz und dem Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, abgestimmt. Ausdrücklich lobt Kober gegenüber dem Reutlinger General-Anzeiger die dortige Landesregierung, »die sofort alles Nötige angestoßen und in die Wege geleitet hat«.
Das Amt des Bundesopferbeauftragten war nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz an Weihnachten 2016 geschaffen worden. Pascal Kober ist seit Januar 2022 Bundesopferbeauftragter. Den Anschlag auf dem Breitscheidplatz nennt er eine Zäsur. »Die regelrechte Sprachlosigkeit des Staates gegenüber den Opfern terroristischer Anschläge wurde glücklicherweise überwunden. Von meinen Vorgängern Kurt Beck und Edgar Franke wurde in diesem Sinne viel Gutes erreicht und auf den Weg gebracht.«
Der Bundesopferbeauftragte ist in seiner Tätigkeit unabhängig. Er wird durch eine Geschäftsstelle im Bundesministerium der Justiz unterstützt. Bis Ende Januar ist Kober nach dem Zusammenbruch der Bundesregierung noch im Amt. Mit Roland Weber als Opferbeauftragter des Landes Berlin steht sein Nachfolger schon fest, und er begleitet ihn bereits, was die Übernahme der Aufgabe speziell im Falle des Magdeburger Anschlags erleichtern wird.
»Wir werden jetzt alle Betroffenen per Brief persönlich kontaktieren«
"Wir werden jetzt alle Betroffenen, von denen wir Kenntnis erhalten, mit einem Brief persönlich kontaktieren. Der erste Gang war zur Besprechung ins Landesjustizmimistrium, wo erste Absprachen zur koordinierten Opferbetreuung von Bund und Land getroffen wurden, erklärt Kober.
Bei der Arbeit des Opferbeauftragten handelt es sich oft auch um Fälle, die Jahre oder Jahrzehnte zurückliegen und die dann erneut Hilfe brauchen, beispielsweise wenn bestimmte Leistungen ausgelaufen sind oder Fristen beachtet werden müssen. »Es gibt aber auch Betroffene, die erst viel später merken, dass sie dem normalen Leben nicht mehr gewachsen sind, nicht mehr die Kraft haben und merken, mit mir stimmt etwas nicht mehr.« Hier handelt es sich um Traumata, um Spätfolgen eines solchen Anschlags. Als Militärseelsorger, der unter anderem auch in Mali war, kennt der 53-Jährige das Krankheitsbild der sogenannten Posttraumatischen Belastungsstörungen und weiß, dass es gravierende Spätfolgen gibt.
Kober sieht sich gleichzeitig als »politische Stimme« der Betroffenen in Politik und Öffentlichkeit. Es bleibe aber trotz aller Fortschritte noch viel zu tun, »denn noch immer empfinden Opfer und Angehörige den Umgang mit ihnen und ihren Anliegen oft als verstörend und verletzend. Ich bin mir der großen Aufgabe und Verantwortung bewusst und stelle mich ihr mit großem Respekt.« Kober mahnt im Umgang mit Opfern noch mehr Sensibilität an.
Betroffene können sich per Email (opferbeauftragter@bmj.bund.de) melden. Außerdem ist unter der kostenfreien Telefonnummer 0800 – 0009546 eine Hotline geschaltet. Aus dem Ausland ist die Hotline unter +49 (0)30 185 80 8050 erreichbar. (GEA)