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Aktuell Industriepolitik

Letztes britisches Stahlwerk gerettet

Die Hochöfen in Scunthorpe sind stark defizitär. Der chinesische Eigner wollte sie dichtmachen

Das britische Parlament hat zur Rettung des letzten Primärstahlwerks des Landes in Scunthorpe ein Notgesetz beschlossen.  FOTO:
Das britische Parlament hat zur Rettung des letzten Primärstahlwerks des Landes in Scunthorpe ein Notgesetz beschlossen. FOTO: BYRNE/DPA
Das britische Parlament hat zur Rettung des letzten Primärstahlwerks des Landes in Scunthorpe ein Notgesetz beschlossen. FOTO: BYRNE/DPA

LONDON. Im Eilverfahren peitschte die britische Regierung am Wochenende ein Gesetz durch beide Häuser des Parlaments, um die Kontrolle über ein Stahlwerk im nordenglischen Scunthorpe zu übernehmen. Eigentlich hatten sich die Abgeordneten schon letzte Woche in die Osterpause verabschiedet. Doch dann ordnete Premierminister Keir Starmer einen Rückruf für Unter- wie Oberhaus an: Das Feuer in Scunthorpe drohte zu erlöschen, und Eile war geboten, um die beiden letzten britischen Hochöfen zu retten, in denen aus Eisenerz gewonnener Primärstahl erzeugt wird. Was sonst Monate dauert, benötigte am Samstag nur Stunden. Am frühen Abend schon trat ein Gesetz in Kraft, das dem britischen Staat den Zugriff auf Scunthorpe ermöglicht – zur Erleichterung der rund 2.700 Beschäftigten des 135 Jahre alten Stahlwerks.

Hohe Subvention geboten

Seit Monaten hatte Wirtschaftsminister Jonathan Reynolds mit dem Unternehmen British Steel verhandelt, das der chinesischen Jingye-Gruppe gehört, um den Betrieb aufrechtzuerhalten und eine halbe Milliarde Pfund (575 Millionen Euro) an Subventionen angeboten. Jingye lehnte ab, verlangte eine Milliarde Pfund und gab an, dass man pro Tag einen finanziellen Verlust von 700.000 Pfund einfahren würde. Als die Regierung erfuhr, dass Jingye die Bestellung von Eisenerzpellets storniert hatte, musste man handeln. Denn wenn die Hochöfen abgeschaltet werden, ist das meist das Ende eines Stahlwerks, denn ein Wiederhochfahren ist technisch schwierig und sehr teuer.

Das Eilgesetz erlaubt der Regierung, den Weiterbetrieb der Stahlkocher anzuordnen. Es bedeutet noch keine Verstaatlichung des Betriebs, auch wenn dies, so sagte Reynolds gegenüber dem Nachrichtensender Sky News, eine »wahrscheinliche Option« darstelle. Man bemühe sich um privatwirtschaftliche Investoren, da die Kosten für eine Modernisierung des Stahlwerks »sehr bedeutend« seien. Doch vorerst sei ein schnelles Einschreiten der Regierung geboten gewesen, »um Tausende von Arbeitsplätzen zu retten«.

Daneben spielte natürlich auch eine strategische Überlegung eine Rolle: In welchem Maße will man von chinesischen Unternehmen abhängig bleiben? Erst kürzlich hatte die britische Regierung eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes beschlossen und will zudem ein ambitioniertes Infrastrukturprogramm auflegen. Sowohl für die Aufrüstung wie für den Bau von Huntertausend neuer Wohnungen braucht es, so Keir Starmer, »mehr Stahl, nicht weniger«.

Zustimmung aller Fraktionen

Der Premierminister scheut sich nicht, eine dezidiert interventionistische Industriepolitik zu verfolgen. Denn es liege »im nationalen Interesse«, erklärte er, den Standort Scunthorpe zu sichern, die Erzeugung von britischem Stahl sei »unentbehrlich für unsere Zukunft«. Sein Argument, einen strategisch wichtigen Industriezweig im Land behalten zu wollen, überzeugte am Samstag beide Häuser des Parlaments. Abgeordnete aller Fraktionen stimmten überwältigend für die Vorlage. In einer Zeit, in der ein globaler Handelskrieg droht, will man sich, so gut es geht, autarker aufstellen und unabhängig vom Weltmarkt machen. (GEA)