BERLIN. Seit einem Monat ist Alexander Hoffmann Landesgruppenchef der CSU. Im Interview spricht er über seine Kritik an Außenminister Wadephul, den Koalitionsfrieden mit der SPD und das Ende des Bürgergelds. Beim Thema Zurückweisungen an den Grenzen kritisiert Hoffmann die von ihm sogenannten »Asyl-Aktivisten«.
GEA: Herr Hoffmann, der neue Innenminister von der CSU lässt Asylbewerber an der Grenze zurückweisen, die neue Justizministerin von der SPD feiert eine Gerichtsentscheidung, die genau das in Zweifel zieht, als wichtigen Beitrag für die Migrationspolitik. Bahnt sich da schon der erste Koalitionskrach an?
Alexander Hoffmann: Ich erlebe die SPD in dieser Frage bisher als durchaus konstruktiv. Im aktuellen Fall an der deutsch-polnischen Grenze reden wir von einer Entscheidung im einstweiligen Verfahren, das ist noch kein abschließendes Urteil. Bei der Migrationswende gibt es im Übrigen nicht die eine Maßnahme, die alles regelt. Wir machen die Zurückweisungen an den Grenzen, wir streichen die Turbo-Einbürgerung, wir setzen den Familiennachzug teilweise aus und wir beenden den Irrsinn mit dem Recht auf einen Pflichtverteidiger im Abschiebegewahrsam. Bei den Zurückweisungen war von Anfang an zu erwarten, dass es darüber juristische Auseinandersetzungen geben wird.
Hält es der Koalitionsfrieden aus, wenn auch andere Gerichte Zurückweisungen für rechtswidrig erklären?
Hoffmann: Es wird weitere Entscheidungen geben, ja. Ob die ähnlich ausfallen, wage ich allerdings zu bezweifeln. Der Fall, über den wir jetzt reden, trägt ja schon fast absurde Züge: Wir haben drei Menschen aus Somalia, die zweimal schon versucht haben, über die Grenze zu kommen, die zweimal zurückgewiesen worden sind und zweimal kein Asyl beantragt haben. Dann kommt ein dritter Versuch, wo die gleichen drei Personen plötzlich angeben, dass sie in ihrem Heimatland politisch verfolgt seien. Eine Person war bei den ersten beiden Einreiseversuchen volljährig und ist beim dritten Versuch auf einmal minderjährig, sie hat Ausweisdokumente dabei, die Merkmale von Fälschungen aufweisen. Und alle drei Personen haben nagelneue Handys dabei, mit denen man ihre Reiseroute nicht zurückverfolgen kann. Für mich trägt das klare Züge einer Inszenierung durch Asyl-Aktivisten.
»Für mich trägt das klare Züge einer Inszenierung durch Asyl-Aktivisten«
Welche Rolle spielen denn Organisationen wie Pro Asyl hier?
Hoffmann: Pro Asyl ist schon seit Jahren entlang der Fluchtrouten unterwegs, auch an den Grenzübergängen. Dort wird Flüchtlingen empfohlen, ihre Ausweise wegzuwerfen, weil das eine Abschiebung aus Deutschland deutlich erschwert. Und es wird ihnen empfohlen, sich ein neues Handy und eine neue Prepaid-Karte anzuschaffen, weil die Route dann nicht mehr nachvollzogen werden kann. Ich weiß aus meiner Zeit als Innenpolitiker noch sehr gut, wie Asyl-Aktivisten Politik machen – nicht nur gegen die Bundesregierung, sondern auch gegen die 75 Prozent der Bevölkerung, die eine andere Migrationspolitik wollen.
Der Innenminister beruft sich auch auf den Schutz der inneren Sicherheit. Sehen Sie die wirklich bedroht?
Hoffmann: Die illegale Migration hat unser Land verändert. Ich habe selbst bei mir zu Hause in einer sehr leistungsfähigen Region Kommunen, die das Migrationsgeschehen einfach nicht mehr bewältigen können. Unsere Landrätin etwa musste im letzten Jahr auf eine Schulturnhalle zurückgreifen, um noch Menschen unterbringen zu können. Rein rechnerisch hätte man für die illegalen Migranten, die seit 2015 gekommen sind, eine eigene Großstadt bauen müssen. Hinzu kommen mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine. Und, nicht zu vergessen: Wir haben durch die Migration eine veränderte Sicherheitslage im Land. Deshalb denkt nicht nur die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland heute anders über das Thema als vielleicht noch 2015. Wir haben in ganz Europa einen Stimmungsumschwung.
Ein anderes Thema. Die Beliebtheitswerte des Kanzlers gingen zuletzt steil nach oben. Muss man jetzt Israel kritisieren, um populär zu werden in Deutschland?
Hoffmann: Nein, das sicher nicht. Die steigenden Beliebtheitswerte von Friedrich Merz hängen damit zusammen, dass die Menschen endlich die richtigen Bilder sehen. Nämlich eine unionsgeführte Bundesregierung, die handelt, und einen Kanzler, der führt. Und das in einer schwierigen geopolitischen Situation. Außerdem glaube ich, dass die Entschlossenheit von Friedrich Merz und Alexander Dobrindt, die illegale Migration zu begrenzen, dazu führt, dass die Menschen sagen: das ist genau das, was wir von der Bundesregierung seit Jahren schon erwarten.
Nichtsdestotrotz hatte man nach der Kritik von Merz und Außenminister Johann Wadephul an Israel und Ihrer doch deutlichen Erwiderung das Gefühl, dass es grummelt in der Union.
Hoffmann: Niemanden lassen die Bilder aus dem Gazastreifen kalt. Aber mir ist es wichtig, dass wir den maximalen Druck auf die Hamas aufrechterhalten und an unserer Freundschaft zu Israel keinen Zweifel lassen. Freunde kann man kritisieren, das macht sogar eine gute Freundschaft aus. Aber Freunde darf man nicht sanktionieren. Insoweit war das auch keine Kritik am Kanzler, der Israel schlicht dazu aufgerufen hat, das Völkerrecht einzuhalten. Aber die Diskussion in Richtung Sanktionen, da muss ich klar sagen: Das wäre das Ende der Staatsräson gegenüber Israel und das ist mit der CSU nicht zu machen.
Der Außenminister sprach davon, dass Waffenlieferungen an Israel geprüft würden. Aber das werden sie ja ohnehin. Insofern hat er doch nur den Status Quo beschrieben. Oder nicht?
Hoffmann: Über Waffenlieferungen wird im Bundessicherheitsrat entschieden. Aber wir dürfen nicht vergessen, welches Signal eine solche Diskussion aussendet, auch an die Jüdinnen und Juden in unserem Land.
Von Herrn Wadephul war unter anderem das Wort »Zwangssolidarität« zu hören.
Hoffmann: Diese Wortwahl hat mich überrascht. Ich hatte mit dem Außenminister Anfang der Woche aber ein Gespräch, wo er mir klar gesagt hat, dass er keine Sanktionen unterstützt. Das hat er auch im Bundestag bestätigt. Insofern ist das Thema vom Tisch.
Sie haben die Jüdinnen und Juden in Deutschland angesprochen. Letzte Woche hat die Meldestelle Rias neue Zahlen zu antisemitischen Vorfällen vorgestellt, die um fast 80 Prozent zugenommen haben. Was kann die Politik dagegen unternehmen?
Hoffmann: Der Antisemitismus vor allem aus dem linken politischen Spektrum und der importierte Antisemitismus sind in den letzten Jahren offenkundiger geworden. Plötzlich fühlen sich Israelfeinde sogar dazu aufgerufen, mit entsprechenden Kleidungsstücken ins Plenum des Bundestages zu gehen. Das geht so nicht.
Sie sprechen die Linke-Abgeordnete an, die mit einem Palästina-Pulli ins Plenum kam. Besonders deutlich wird das Problem an den Universitäten, dort haben sich die Fälle fast verdreifacht. Woran liegt das?
Hoffmann: Ich sehe die Gefahr, dass sich so etwas an Universitäten verfestigen kann, gerade was linken Antisemitismus angeht. Da muss die Politik klare Grenzen aufzeigen. Das wurde bisher nicht immer offensiv genug gemacht. Aber da sind auch die Universitäten selbst in der Pflicht.
Wie wollen Sie denn Grenzen aufzeigen?
Hoffmann: Zunächst einmal darf es keine Strukturen geben, die Antisemitismus befördern oder begünstigen. Ich glaube, dass da jede Universität für sich in einer kritischen Selbstprüfung feststellen muss, ob es auf dem eigenen Campus entsprechende Strukturen gibt. Und der Bund muss sich fragen, wo er vielleicht Institutionen fördert, bei denen es einen unterschwelligen Antisemitismus gibt. Solche Förderungen müssen gestoppt werden.
Lassen Sie uns noch über das Bürgergeld reden. Sozialministerin Bärbel Bas schließt bei der geplanten Reform Sanktionen für Familien aus und erweckt auch sonst den Eindruck, als sei sie nicht ihr Herzensprojekt. Lässt die Union ihr das durchgehen?
Hoffmann: Die Arbeitsministerin denkt gerne laut, aber im Koalitionsvertrag ist klar vereinbart, dass wir das Bürgergeld abschaffen und es zu einer neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende umgestalten. Jede arbeitslose Person muss sich künftig aktiv um Beschäftigung bemühen, sonst drohen Sanktionen. Und Frau Bas denkt ja auch in die richtige Richtung, wenn sie sagt, es gebe mafiöse Strukturen beim Bürgergeld, die bekämpft werden müssen. Da haben wir lange Zeit eine ganz andere SPD erlebt. Hubertus Heil hat am Anfang angekündigt, dass das Bürgergeld um die 30 Milliarden Euro im Jahr kosten solle, jetzt sind wir bei mehr als 50 Milliarden Euro. In einem Land, in dem Millionen von Arbeitskräfte fehlen, ist das nicht mehr hinnehmbar.
»Unsere Maßnahmen geben unserer Wirtschaft neuen Schwung«
Das heißt, das Bürgergeld stirbt Ende des Jahres?
Hoffmann: Das muss das Ziel sein. Weiter abzuwarten, wäre grob fahrlässig.
Das Kabinett hat gerade den Investitionsbooster von Finanzminister Lars Klingbeil beschlossen. Im Bundesrat allerdings sind die Mehrheitsverhältnisse kompliziert. Können die Länder Ihnen noch einen Strich durch die Rechnung machen?
Hoffmann: Ich bin zuversichtlich, dass wir zu einem guten Ergebnis kommen. Die Maßnahmen, die wir ergreifen, geben unserer Wirtschaft neuen Schwung. Und wenn wir die Wirtschaft ankurbeln und die Steuereinnahmen steigen, profitieren davon auch die Länder. Dazu bekommen sie zusätzlich 100 Milliarden aus dem Sondervermögen, für die der Bund auch noch die Zinsen bezahlt.
Friedrich Merz hat gesagt, nun gehe es Schlag auf Schlag mit den Reformen. Was ändert sich denn schon zum Jahreswechsel?
Hoffmann: Das große Wirtschaftspaket und die Elektroauto-Förderung haben wir bereits durch das Kabinett gebracht. Und natürlich setzen wir auch die Projekte um, die uns als CSU besonders am Herzen liegen: die Wiedereinführung der Agrardiesel-Rückvergütung, die Senkung der Gastrosteuer und die Erhöhung der Pendlerpauschale. Das alles kommt zum 1. Januar des neuen Jahres. Die Ampel ist damals angetreten als Fortschrittskoalition, mit Kuschel-Selfies und einer Art Aufbruchstimmung. Und was ist passiert? Die ersten vier, fünf Wochen überhaupt nichts, dann kam der Streit. Wir dagegen bringen das Land vom ersten Tag an wieder in Ordnung. (GEA)
ZUR PERSON
Alexander Hoffmann (Jahrgang 1975) ist seit einem Monat Landesgruppenchef der CSU. Der Jurist, der gemeinhin als bodenständiger Franke gilt, war zuvor parlamentarischer Geschäftsführer. Hoffmann ist verheiratet, Vater eines Sohnes und hat eine Pflegetochter. (kali)