BERLIN. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil ziehe sich, witzelte ein Christdemokrat, so plötzlich aus der Politik zurück, weil er den Rentenplänen der Union zuvorkommen wolle. Das ist natürlich übertrieben, der SPD-Politiker Weil wird ausreichend vorgesorgt haben. Bemerkenswert ist jedoch der Sarkasmus, der hinter dieser Äußerung steht. Selbst die eigenen Leute sind nicht einverstanden mit dem, was der Parteivorsitzende Friedrich Merz und andere Spitzenleute gerade mit der SPD verhandeln. Die Umfragen gehen in den Keller, Mitglieder treten aus.
»Die Schuldenbremse ist die DNA der CDU. Durch die Grundgesetzänderung wurde sie aufgehoben«
Die Rentenpläne der Union sind der neueste Aufreger. CDU und CSU wollen die sogenannte Standardrente – es handelt sich um einen Durchschnittswert zur Berechnung der tatsächlichen Rentenhöhe – auf der Grundlage von 47 Beitragsjahren ermitteln und nicht mehr wie bisher auf der Basis von 45 Jahren. Die Folge: Versicherte müssten zwei Jahre länger arbeiten, um auf dieselbe Rente zu kommen wie heute.
Der Vorstoß ruft in der Union schlechte Laune und wenig gute Witze hervor, weil er dem Wahlprogramm widerspricht. Dort wurde versprochen, an den bestehenden Regeln festzuhalten: Arbeiten grundsätzlich bis 67 Jahre, abschlagsfrei in Rente, wenn 45 Versicherungsjahre voll sind. So fand es auch Eingang ins Sondierungspapier von Union und SPD. Doch das gilt offenbar nicht mehr.
Merz hatte zuvor schon sein Versprechen gebrochen, nicht an der Schuldenbremse zu rütteln. So sehen es unter anderem Mitglieder der CDU Kühlungsborn, die gerade ihre Parteimitgliedschaft gekündigt haben. »Die Schuldenbremse ist die DNA der CDU. Durch die aktuelle Grundgesetzänderung wurde diese faktisch aufgehoben«, heißt es im Kündigungsschreiben der Norddeutschen. Jetzt kommt die Rente zur Versprochen-gebrochen-Liste dazu.
»Mit Hendrik Wüst wären wir jetzt womöglich besser dran«, sagt ein langjähriges Berliner CDU-Mitglied und blickt dabei auf die Koalitionsverhandlungen, die nicht wie geplant verlaufen. Es gibt zu viele Baustellen, zu viele Durchstechereien von Papieren, der Zeitplan kann wohl nicht eingehalten werden. Was auch daran liegt, dass Merz im Wahlkampf vielen in der SPD zur Hassfigur geworden ist. Jetzt auf freundlich umzuschalten, fällt schwer. Wüst hätte der bessere Vermittler sein und das zum schlechten Wahlergebnis wenig passende Selbstbewusstsein der SPD besser kanalisieren können.
Verstärkt wird die Unruhe durch eine neue Forsa-Umfrage für das »Trendbarometer« der Sender RTL und ntv. Merz büßt dem Meinungsforschungsinstitut zufolge Vertrauen ein: 28 Prozent halten ihn für vertrauenswürdig, 70 Prozent tun das nicht. Anfang Dezember vertrauten Merz noch 36 Prozent der Befragten, 60 Prozent taten das nicht. Viel schlimmer noch aus Sicht der Union: Die Schwesterparteien verlieren einen Punkt auf 25 Prozent und liegen nur noch einen Zähler vor der AfD. Über die letzten Wochen hinweg zeichnet sich da ein Trend ab, der zum Fiasko werden kann. Die Schlagzeile »AfD gleichauf mit CDU« würde die Union in eine Situation bringen wie 2015, als sie an der Debatte über den richtigen Umgang mit den Fluchtbewegungen fast zerbrach.
Mittlerweile reicht es nicht mehr, dass Merz die Koalitionsverhandlungen zu einem Abschluss bringt. Es kommt mehr denn je auf die Inhalte an. Denn das, was aus den Koalitionsgesprächen öffentlich wurde, lässt in der Wirtschaft die Alarmglocken schrillen. 100 Verbände zeigen sich in einer am Mittwoch veröffentlichten gemeinsamen Erklärung zutiefst enttäuscht von der Wirtschaftspartei CDU. »In den vergangenen Wochen hat sich die wirtschaftliche Lage dramatisch zugespitzt, doch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Koalitionsverhandlungen zeigen sich von diesen Entwicklungen scheinbar unbeeindruckt«, schreiben BDI, DIHK, Arbeitgeber- und Handwerksverband nebst vielen anderen. Weiter heißt es: »Ihre bisherigen Zwischenergebnisse sind unzureichend und tragen der sich zuspitzenden Lage in den Unternehmen und Betrieben nicht Rechnung.«
»Die wirtschaftliche Lage hat sich zugespitzt. Die Koalitionsverhandler zeigen sich unbeeindruckt«
Eine Anfrage bei der CDU Deutschlands lässt den Schluss zu, dass sich die Unzufriedenheit auf Merz, nicht aber auf die Partei insgesamt erstreckt. »Nachdem wir im Jahr 2024 schon mehr als 20.000 neue Mitglieder in unserer Partei willkommen heißen konnten, setzte sich dieser erfreuliche Trend auch in den ersten beiden Monaten dieses Jahres fort. Fast 6.500 Neueintritte sind hierfür ein deutlicher Beleg«, teilte ein Parteisprecher mit. Mehr noch: Seit 2015 hat die CDU erstmals wieder mehr Mitglieder als die SPD. Die Gesamtmitgliederzahl betrug im November den Angaben zufolge exakt 364.661. Die SPD kam Ende Dezember auf 357.117 Mitglieder. (GEA)