Kanzler sein, ist nicht so schwer – Kanzler werden umso mehr. Friedrich Merz hat viel versprochen im Wahlkampf, und zeitweise sah es schon so aus, als würde der CDU-Vorsitzende seine eigenen Anhänger verprellen und zu einem Regierungschef von Gnaden der SPD werden, so in die Defensive gedrängt wirkte er zuletzt.
Nach dem Abschluss der ersten Gesprächsrunde allerdings kann die Union nun doch vieles von dem einlösen, was sie auf ihrem Verhandlungszettel stehen hatte: Eine Asylwende, die diesen Namen auch verdient, deutliche Korrekturen am Bürgergeld, niedrigere Energiepreise, eine höhere Pendlerpauschale und wettbewerbsfähige Unternehmenssteuern zum Beispiel. Sogar für einen ebenso alten wie teuren Wahlkampfschlager der CSU fand sich im Sondierungspapier noch ein Plätzchen: die Ausweitung der Mütterrente. Dafür bekommt die SPD, unter anderem, einen Mindestlohn von 15 Euro.
Noch ist nicht alles durchgerechnet, noch wird in den Koalitionsverhandlungen um manches Detail heftig gerungen werden müssen, noch klafft vor allem in der Sozialpolitik eine große Reformlücke – und noch haben die Grünen der geplanten Änderung des Grundgesetzes zum Lockern der Schuldenbremse und den 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur nicht zugestimmt. Zwei Wochen nach der Wahl allerdings weiß das Land jetzt, wohin die Reise unter einem Kanzler Merz gehen wird. Die mit irrwitzig hohen Schulden erkaufte Koalition will die Zumutungen für die Bürgerinnen und Bürger in Grenzen halten, sie an einigen Stellen sogar entlasten – zu einem Politikwechsel, wie Merz ihn ja eigentlich avisiert hatte, hätte allerdings auch mehr Mut bei der Umgestaltung des Rentensystems gehört.
Die Gleichung, nach der höhere Löhne und ein stärkeres Wirtschaftswachstum alleine schon halbwegs stabile Beiträge und ein dauerhaft stabiles Rentenniveau garantieren, wird so einfach jedenfalls nicht aufgehen. Hier kneifen Union und SPD aus Angst vor den Wählerinnen und Wählern, Vernünftiger wäre es gewesen, das Rentenalter schrittweise über die geltenden 67 Jahre hinaus anzuheben und die abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren wieder abzuschaffen. Das wäre, um im Polit-Deutsch zu bleiben, eine echte Rentenwende gewesen.
Am weitesten ist die SPD-Spitze Merz bei der Migration entgegengekommen. Schärfere Kontrollen an den Grenzen, Zurückweisungen inklusive, ein zumindest vorübergehend reduzierter Familiennachzug und der Verzicht auf umstrittene Aufnahmeprogramme wie das mit Afghanistan: Hier atmet das Sondierungspapier Union pur. Befreit von der Loyalität zu den Grünen, die in den Ampeljahren vieles verhindert hat, konnte die SPD allerdings auch ruhigen Gewissens zustimmen: Zwei von drei ihrer eigenen Wähler, das belegen Umfragen, denken in Migrationsfragen wie Merz. Nun muss das Vereinbarte allerdings auch durchgesetzt werden. Strengere Regeln nutzen nichts, wenn sie nur auf dem Papier gelten – man denke nur an die Zigtausenden von Ausreisepflichtigen, die noch immer in Deutschland leben.
Den Warnschuss aber, so scheint es, haben Union und SPD, gehört. Ein durchwachsenes Wahlergebnis für die Union, ein historisch schlechtes für die Genossen: Wenn die politische Mitte nicht noch weiter erodieren soll, muss diese Mitte in den nächsten Jahren zeigen, dass sie dem Land neue Zuversicht, und neue Dynamik vermitteln kann. Die Ergebnisse der Sondierung, schon fast ein kleiner Koalitionsvertrag, sind ein erster Schritt auf diesem Weg. Und weiß Gott kein kleiner.