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Aktuell INTERVIEW

Kiesewetter: Teilmobilmachung ein »Zeichen der Schwäche Russlands«

Roderich Kiesewetter sieht im Ukraine-Krieg einen Wendepunkt.  FOTO: PIETH
Roderich Kiesewetter sieht im Ukraine-Krieg einen Wendepunkt. FOTO: PIETH
Roderich Kiesewetter sieht im Ukraine-Krieg einen Wendepunkt. FOTO: PIETH

REUTLINGEN. Die von Russlands Präsident Wladimir Putin angekündigte Teilmobilmachung ist »ein Zeichen der Schwäche Russlands«, sagt der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter (59) im GEA-Interview. »Wir sollten uns nicht einschüchtern lassen.« Der Außen- und Sicherheitspolitiker fordert nun endlich die Lieferung von Schützen- und Kampfpanzern an die Ukraine. Die Nato-Partner hätten nichts dagegen, sagt der Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages und stellvertretende Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Er geht davon aus, dass Kanzler Olaf Scholz einlenken wird, »die Frage ist nur, wann?«

GEA: Was bedeutet die Teilmobilmachung, die Putin angekündigt hat, was bezweckt er damit und gibt es für uns in Deutschland Anlass zur Besorgnis?

Roderich Kiesewetter: Russlands angeordnete Teilmobilmachung verbunden mit dem Gesetz, das künftig härtere Strafen für Desertieren und Ungehorsam vorsieht, zeigt die politische Schwäche Russlands und des russischen Militärs, das erhebliche Verluste von Personal und Material zu verzeichnen hat. Wir sollten uns jetzt von der Teilmobilisierung deshalb nicht einschüchtern lassen. Es ist ein Zeichen der Schwäche Russlands, nicht der Stärke. Gerade deshalb ist es so akut wichtig, die Ukraine militärisch noch besser zu unterstützen, damit sie die Gegenoffensive erfolgreich weiterführen kann.

Deutschland tut offensichtlich nicht das Bestmögliche, um die Ukraine optimal auszurüsten.

Kiesewetter: Das Bestmögliche wäre drin, aber wir tun es nicht. So ist beispielsweise die noch immer leistungsfähige deutsche Rüstungsindustrie bereits Ende Februar bereit gewesen, die Ukraine aus eigenen Beständen mit Ausbildung und auch mit Waffensystemen zu unterstützen. Aber es dauerte dann Monate, bis die Bundesregierung überhaupt reagiert hat. Es ist auch ein Affront gegenüber der Rüstungsindustrie, dass die Verteidigungsministerin nicht alle zu einem Gipfel einberufen hat. Es ist klar, Deutschland bleibt weit hinter seinen Möglichkeiten.

Warum hat das Monate gedauert?

Kiesewetter: Zu Beginn des Krieges gab es von deutscher Seite die Aussage, es lohnt nicht, Waffenlieferungen verlängerten nur das Sterben und die Ukraine habe keine Chance. Wir wurden eines Besseren belehrt – und heute sagt das auch keiner mehr. Es wäre sehr hilfreich gewesen, die Zeitenwende nicht nur als Zeitenwende innerhalb der SPD zu begreifen, sondern als eine Zeitenwende, die uns bewusst gemacht hat, dass der Krieg zurück ist, dass die nukleare Abschreckung funktioniert, und dass andere Länder der EU offenbar weniger vertrauen als der Nato, beispielsweise Schweden und Finnland, die in die Nato streben. Und dass wir feststellen können, dass alle Erpressungsversuche Russlands gescheitert sind: Es ist nichts passiert, egal wer welche Waffen geliefert hat.

»Wir können liefern, doch das Kanzleramt hat das unterbunden«

Was wäre zu tun?

Kiesewetter: Es war sehr früh klar, dass Deutschland als wichtigste Landmacht in Europa und mit dem Führungsanspruch, den Klingbeil und Lambrecht von der SPD nun damit verbinden, diesem in der Wirklichkeit nicht gerecht wird. Russlands Zwischenziel ist zwar die Vernichtung der Ukraine, aber unsere regelbasierte Ordnung, unsere Lebensart, Freiheit und Demokratie ebenso, also auch wir sind Kriegsziel. Es wäre klug gewesen, wenn sich Deutschland gleich als Anlehnungspartner für die anderen in Europa organisiert hätte. Die ukrainischen Soldaten gehen noch immer zu Fuß in den Einsatz, sie fahren – nur von Planen geschützt – auf Lkw-Ladeflächen und erleiden deshalb große Verluste. Es wäre von Anfang an möglich gewesen, Schützenpanzer Marder zu liefern, die in der Bundeswehr ein Auslaufmodell sind. Von modernem Kriegsgerät kann da überhaupt keine Rede sein. Das Verteidigungsministerium selbst hatte intern gesagt, wir können sofort 30 liefern, doch das Kanzleramt hat das unterbunden. Das war bereits im März. Wenn es darum geht, befreite Gebiete zu erhalten und wirklich die Wende bei der Gegenoffensive zu schaffen, braucht es zwingend Schützen- und Kampfpanzer.

ZUR PERSON

Roderich Kiesewetter, geboren 1963 in Pfullendorf, ist Diplomkaufmann und war Berufssoldat bis zur Wahl in den Bundestag 2009 für den Wahlkreis Aalen-Heidenheim. Der Oberst der Reserve ist seit 1981 CDU-Mitglied. Von 2011 bis 2016 war er Präsident des Reservistenverbandes. Kiesewetter ist stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums und unter anderem Mitglied des Auswärtigen Ausschusses. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. (jr)

Die Bundesregierung behauptet, sie könne und wolle nur zusammen mit Nato-Partnern schweres Gerät liefern. Anders gehe es nicht. Was ist da dran?

Kiesewetter: Ja, es wird immer gesagt, wir unterstützen nur zusammen mit Partnern. Tatsächlich hat Spanien sehr früh die Freigabe für Kampfpanzer Leopard 2 erbeten, aber auch das wurde von deutscher Seite unterbunden. Es wurde also Partnern, die helfen wollten, sogar verboten, Panzer zu liefern. Dazu kommt, dass wir den Amerikanern oder den Franzosen auch keine Alleingänge vorwerfen, obwohl sie die Ukraine schon im Mai mit modernen HIMARS-Raketenwerfern und Haubitzen beliefert haben, oder Polen, das über 240 T72-Kampfpanzer geliefert hat. So gesehen war unsere Außenkommunikation verheerend. Doch auch das, was wir schließlich geliefert haben, war nicht viel. Jetzt bitten uns unsere Partner, der Nato-Generalsekretär Stoltenberg, die USA sogar darum, doch bitte mehr zu liefern.

Dabei wird doch immer behauptet, wir hätten die Ukraine schon entscheidend mit Waffen unterstützt.

Kiesewetter: Wir haben aus Altbeständen Panzerfäuste und Fliegerfäuste geliefert, dann Lkw, Betten, Helme, aber an schweren Waffen nur 10 Panzerhaubitzen 2000, 3 Raketenwerfer Mars und alte Gepard-Flugabwehrpanzer. Versprochen haben wir in den nächsten zweieinhalb Jahren 18 Haubitzen auf Rädern. Ein Luftabwehrsystem Iris-T kommt im November, drei weitere in den nächsten zwei Jahren. Es wurde also immer auf Zeit gespielt nach dem Motto, vielleicht ist der Krieg vorher vorbei.

Wäre der Vorschlag von Ex-Bundeswehr-General Egon Ramms ein Kompromiss, den Vorgänger des Leopard 2, den Leopard 1 an die Ukraine zu liefern?

Kiesewetter: Der Leopard 1 A5, von dem es in Deutschland 88, in Italien 100 und insgesamt noch zwischen 300 und 400 gibt und noch eine ganze Menge Munition, ist ein guter Vorschlag. Er ist immer noch sehr leistungsfähig. Das wäre eine Kompromissformel und mit Blick auf später würde das bedeuten, dass man dann mit dem Leopard 2 einen Modernisierungsschub machen könnte.

Aus der SPD heraus wird kräftig gebremst. Sie sprachen von einer Zeitenwende innerhalb der SPD. Wie weit kann Scholz eigentlich gehen mit Blick auf die eigene Partei?

Kiesewetter: Die Zeitenwenderede vom 27. Februar war primär erst einmal eine auf militärische Sicherheitspolitik fokussierte Zeitenwende innerhalb der SPD. Sie hat alles, was die SPD in den letzten acht Jahren verhindert hatte, auf den Kopf gestellt. Jetzt hieß es: Modernisierung der Tornado-Flotte, Zwei-Prozent-Ziel erreichen, bewaffnete Drohnen, schwerer Transporthubschrauber. Das war für die SPD ein Schock.

Wie weit wird die SPD noch mitgehen?

Kiesewetter: Ich glaube, dass die SPD mitgeht, aber ganz anders als gedacht. Das Problem sind wohl jene in der SPD aus der alten Friedensbewegung. Die junge SPD wird das wohl mittragen. Aber es ist Scholz mit seiner Kohorte, die ein ganz anderes Ansinnen haben, die sagen, wir müssen mit Russland ja auch wieder verhandeln können. Die sagen, wenn wir eine Vermittlerrolle übernehmen, dann ist Russland das Land, das mit uns wieder verhandelt und wir fungieren als Türöffner. Das ist eine Hybris, das geht schief. Die Zeitenwende ist in unserem Land und in der Regierung nicht angekommen, weil die Grünen und die Liberalen viel weiter sind als Scholz. Scholz hat sich offensichtlich von Putin in mehreren Telefonaten einschüchtern lassen.

Wenn man diese Führungsrolle einnehmen will, müssen wir nun auch Leopard-Panzer in die Ukraine schicken. Sonst kann man diese Führung nicht ausüben. Wir können doch nicht immer die Amerikaner voranschicken.

Kiesewetter:Das ist auch der Grund, warum US-Präsident Biden so zurückhaltend ist, jetzt auch noch Kampfpanzer zu liefern – einmal abgesehen von der schwierigen Logistik, denn die M1 Abrams-Panzer fahren mit Kerosin, verbrauchen über doppelt so viel bei geringerer Reichweite. Die Ukraine hat zudem eine Diesel-Versorgungskette aufgebaut. Und die Abrams sind anfällig. Die deutschen Leopard fahren mit Diesel und sind robuster. Und weil Biden bei den Zwischenwahlen einen Erfolg braucht, arbeitet er im Hintergrund sehr stark daran, dass die Europäer, also dass die Deutschen Führung übernehmen und dann sagen, das mit den Panzern machen wir. So kann er sagen, schaut, sie machen was. Denn die USA leisten derzeit 30-mal mehr Hilfe für die Ukraine als die Europäer.

Wird die Ampel die Leopard-Kampfpanzer liefern?

Kiesewetter:Ich glaube, am Ende ja. Wenn sie es nicht tut, wird das den massiven Schaden an Vertrauen und Reputation noch vergrößern. Es würde schon helfen, wenn sie Schützenpanzer Marder liefern, ein Auslaufmodell der Bundeswehr, dessen Handhabung in wenigen Wochen erlernt werden kann. Es muss etwas in diese Richtung erfolgen, weil wir das Sterben der ukrainischen Soldaten in ungeschützten Fahrzeugen oder zu Fuß nicht länger begründen können. Der Druck von Politikern wie Michael Roth, SPD, Anton Hofreiter, Grüne, und Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP, auf Scholz ist ungeheuer. Ich hoffe, dass der Antrag der Union dazu in dieser Sitzungswoche eine Mehrheit im Parlament findet. Aber wir sehen unsere Rolle nicht so sehr als Treiber in dieser Sache, sondern letztlich als Unterstützer. Die Frage ist, wann Scholz einlenkt.

 

Verstehe ich richtig: Die Amerikaner haben nichts gegen die Lieferung von deutschen Kampfpanzern?

Kiesewetter:Nein, überhaupt nicht. Sie bitten uns darum.

Wie könnte der Ukraine-Krieg zu Ende gehen?

Kiesewetter: Es gibt zwei Szenarien: Die Ukraine erhält nicht die Unterstützung, die sie braucht, es gibt zu viele Opfer, Russland setzt zu neuen Angriffen an, beschießt Kernkraftwerke, zerstört die Infrastruktur, die Menschen fliehen und Präsident Selenskyj wird abgelöst. Dann fällt die Ukraine Putin in den Schoß, Putin hat Erfolg mit seinem völkerrechtswidrigen bestialischen Vorgehen und es geht weiter gegen Moldau, Georgien, das Baltikum.

»Es ist auf jeden Fall ein psychologischer Wendepunkt«

Das andere Szenario?

Kiesewetter:Das Positiv-Szenario ist, dass die Ukraine in den nächsten acht Wochen die Kampfpanzer und Schützenpanzer erhält, die sie braucht, dass die Ukrainer daran ausgebildet werden, um dann in einer Frühjahrsoffensive die Russen aus dem Land zu treiben. Die Russen verlieren also, vielleicht sogar schon eher, die Ukraine erhält ihre Souveränität und volle territoriale Integrität wieder (zumindest in den Grenzen vom Januar dieses Jahres), die Russen müssen die Kriegsverbrechen aufklären, sie werden zu Reparationen verurteilt und Ende nächsten Jahres wird eine internationale OSZE-Friedenstruppe ohne Russland die Ukraine schützen und die erhält glaubhafte Sicherheitsgarantien.

Die Rückeroberungen in den letzten Tagen durch die ukrainische Armee – ist das eine Wende im Krieg?

Kiesewetter: Ja, es ist eine Wende. Aber es ist immer noch nur ein Prozent der Landesfläche, während noch immer fast 20 Prozent besetzt sind. Aber es ist ein Wendepunkt, weil die russischen Truppen heillos geflohen sind. Das war kein geordneter Rückzug. Das muss nun ausgenutzt werden. Es ist also auf jeden Fall ein psychologischer Wendepunkt. Daraus muss nun eine militärische Wende werden. Russland darf nicht die Chance erhalten, sich einzugraben. Putin muss eine militärische Niederlage erleiden, für die er sich innenpolitisch rechtfertigen muss. (GEA)