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Aktuell Fall Kiesewetter

»Kein Kontakt in die rechte Szene«

STUTTGART. Bereits eine Woche nach dem Mord an Michele Kiesewetter am 25. April 2007 äußerte deren Patenonkel Mike Wenzel, den Verdacht, dass das Kriminaldelikt im Zusammenhang mit dem Mord an neun ausländischen Mitbürgern stehen könnte, die allesamt mit einer Ceska getötet wurden. Wie konnte er das wissen, wo es doch bis zu jenem Zeitpunkt zumindest offiziell keinerlei Verbindung zwischen der Tat in Heilbronn und den Taten des Terrortrios NSU gegeben hat?

Vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss erklärte dies der 48-jährige Kriminalhauptkommissar damit, dass ihn ein Kollege darauf angesprochen hätte. Dem wiederum seien bei der Lektüre eines polizeiinternen Fernschreibens mehrere Gemeinsamkeiten aufgefallen. Insbesondere seien die Täter bei allen Delikten äußerst brutal vorgegangen, auch ein Fahrrad habe bei allen Taten eine Rolle gespielt. Zunächst sei beim Schusswaffengebrauch sogar vom gleichen Kaliber die Rede gewesen. Den ersten Widerspruch musste Wenzel jedoch vor den Parlamentariern einräumen, als er auf seine von ihm protokollierte Aussage vom 3. Mai 2007, also einen Tag nach der Beerdigung von Michele Kiesewetter im thüringischen Oberweißbach, aufmerksam gemacht wurde: »Nach meinem Wissen war so kurz nach der Tat niemand bei mir zur Vernehmung.«

Kriminalhauptkommissar Udo Möller war es, der seinen Kollegen Wenzel bei einem Gespräch über die Auffälligkeiten aufmerksam machte. Auch nach seinen Angaben muss dieses Gespräch weit nach dem Tod Kiesewetters stattgefunden haben. Ihm sei aufgefallen, dass es beim Kiesewetter-Mord und bei den Tötungsdelikten der ausländischen Gastarbeiter dieselbe »Tätersprache« gab. In allen Fällen seien Schusswaffen verwendet worden, es gab jeweils ein äußerst brutales Vorgehen, das sich als eine Art Hinrichtung verstehen lasse, zudem gab es ein geringes Spurenaufkommen und schließlich habe auch jeweils ein Radfahrer eine Rolle gespielt.

Einen Rechtsradikalen observiert

Von Verbindungen seiner Nichte Michele Kiesewetter in die rechte Szene wisse er nichts, sagte Wenzel. »Es gab diesen Kontakt nicht«, erklärte er. Allerdings wusste er auch aus seiner Tätigkeit als Staatsschützer zu berichten, dass es in Oberweißbach, wo Kiesewetter aufwuchs und einen Freundeskreis hatte, »diese und jene Personen gab, die man dem rechten Spektrum zuordnen konnte«. Das Treffen der Rechten spielte Wenzel jedoch etwas herunter. Zu der Szene gehörten nicht nur Fanatiker, sondern auch Personen, die sich lediglich nach ihrem Aussehen und ihren Gedanken dazu rechnen, ohne dies jedoch mit Straftaten zu untermauern.

Etwas einsilbiger wurde Wenzel, als er nach seiner ehemaligen Freundin Anja Teichmann, verheiratete Wittig, befragt wurde – einer ehemaligen Polizeibeamtin, die Kontakte in die rechte Szene pflegte. »Frau Wittig ist psychisch angegriffen, um es gelinde auszudrücken«, erklärte der Zeuge. Dass seine eigene Tochter Verbindungen zu den Ewiggestrigen pflegte, stelle Wenzel jedoch in Abrede. Und ebenso sei ihm nichts darüber bekannt, dass sich Michele Kiesewetter mit den Rechtsaußen in dem Szenetreff »Zur Bergbahn« getroffen hat, einem Gasthof, der in dem Oberweißbacher Ortsteil Lichtenhain steht.

Unter dem Staunen der Parlamentarier verriet dann der Kriminalbeamte, dass er einst den Rechtsradikalen Tino Brandt observiert hat, der in den 1990er Jahren einer der aktivsten Neonazis war und lange Zeit als Spitzel auf der Gehaltsliste des Verfassungsschutzes Thüringen stand. Tino Brandt besaß zum Zeitpunkt des Polizistenmordes eine Doppelhaushälfte in Hardthausen, keine 15 Kilometer Luftlinie vom Tatort entfernt. (GEA)