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Aktuell Regierung

Jens Spahn auf der politischen Kippe

Der CDU-Politiker hatte gute Aussichten auf das Amt des Wirtschaftsministers. Bis er eine AfD-Debatte auslöste

Jens Spahn (CDU) will zurück in die erste politische Reihe.  FOTO: BRANDT/DPA
Jens Spahn (CDU) will zurück in die erste politische Reihe. FOTO: BRANDT/DPA
Jens Spahn (CDU) will zurück in die erste politische Reihe. FOTO: BRANDT/DPA

BERLIN. Es könnte gut laufen für Jens Spahn so kurz vor Ostern. Sein Freund Carsten Linnemann hat ihm eine Tür aufgemacht. Linnemann will nicht mehr Wirtschaftsminister werden und bleibt CDU-Generalsekretär. Der Weg ist also frei für Spahn. Als früherer Gesundheitsminister und Finanzstaatssekretär hat er Erfahrung in der Regierungsarbeit.

Zudem hat er die Wirtschaftsthemen in den Koalitionsverhandlungen federführend für seine Partei mit der SPD besprochen. Ihn zum Wirtschaftsminister zu machen, erscheint logisch. Die von der Union ausgerufene Wirtschaftswende einem politischen Leichtgewicht in die Hände zu geben, wäre ein schlechtes Zeichen an die Unternehmer, die große Hoffnungen in die Partei gesetzt haben.

Doch der 44-Jährige hat ein Problem am Hals. Er hat eine Debatte um die Rechte der AfD im Bundestag ausgelöst, die Wellen schlägt. Am Anfang stand eine Aussage in einem Interview mit der Bild-Zeitung: Man müsse, sagte Spahn, bei organisatorischen Fragen im Bundestag mit der AfD »wie mit jeder anderen Oppositionspartei auch« umgehen. Er zielte damit beispielsweise auf die Vergabe von Vorsitzendenposten parlamentarischer Ausschüsse. Dort fallen die AfD-Kandidaten bei den Wahlen regelmäßig durch, weil die anderen Parteien ihnen die Stimme verweigern.

Einflussreiche Politiker aus dem eigenen Lager sprangen Spahn bei, aber die SPD reagierte empört. »Dieser Satz von Jens Spahn, es müsste Normalität entstehen, das halte ich für grundfalsch und für sehr, sehr gefährlich«, sagte SPD-Generalsekretär Matthias Miersch dem Fernsehsender ntv.

»Man muss mit der AfD umgehen wie mit jeder anderen Oppositions-partei auch«

Die Genossen entscheiden sich in diesen Tagen per Mitgliederentscheid, ob die Koalition mit CDU und CSU zustande kommt. Der Kampf gegen Rechts gehört zum Selbstverständnis der Sozialdemokraten, die sich mutig den Nationalsozialisten entgegenstellten. Wenn die Union laut über eine Normalisierung der in Teilen rechtsextremen AfD nachdenkt, könnte das einen Teil von ihnen dazu bringen, mit Nein zu stimmen.

In Berlin werden zwei Deutungen diskutiert, warum Spahn diese Debatte losgetreten hat. In beiden kommt er nicht gut weg. Variante 1: Im Interview war ihm die Tragweite seiner Worte nicht bewusst und den SPD-Mitgliederentscheid hatte er nicht im Kopf. Variante 2: Der Mann aus dem Münsterland will die Union bewusst an die Rechtsaußen-Partei annähern, um langfristig eine Zusammenarbeit vorzubereiten. Diejenigen, die der zweiten These anhängen, begründen sie mit Spahns oft scharfer Rhetorik in der Asylpolitik und seinen Kontakten zu den Trump-Republikanern in den USA.

Unterstützt wird diese Sichtweise dadurch, dass die CDU durch die Absage jedweder Kooperation mit der AfD von SPD und Grünen abhängig ist und deshalb keine echte konservative Politik machen kann. Durch die sogenannte Brandmauer hat sich die Union selbst eingemauert.

Die Anhänger von Deutung 1 meinen hingegen, dass Spahn weiß, dass die AfD die CDU kaputt machen will, um selbst die Vorherrschaft im rechten Spektrum der Parteienlandschaft zu übernehmen. In Frankreich ist es so geschehen und auch in Italien. Wahr ist auch, dass Spahn als Gesundheitsminister der Corona-Jahre und wegen seiner Homosexualität bei der AfD besonders verhasst ist.

Und es stimmt, dass die etablierten Parteien im Bundestag noch keine Strategie im Umgang mit der AfD gefunden haben. Weder lautes Zurückweisen noch Ignorieren haben die Partei geschrumpft. Sie ist über die Jahre stärker geworden und liegt in den Umfragen erstmals gleichauf mit der Union. In diesem Sinne hat Spahn also unbedacht agiert.

Es wäre spannend zu erfahren, was der Auslöser der Debatte darüber denkt. Und ob er Wirtschaftsminister werden will. Am Mittwoch empfängt Jens Spahn im Reichstag in seiner Funktion als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Union zum Pressegespräch. Wo sonst eine Handvoll Journalisten vorbeischauen, haben sich dieses Mal vier Dutzend Reporter eingefunden. Es gibt Kaffee und Brezeln.

Der Fraktionsvize will über die Wirtschaft reden, nicht aber darüber, ob er das dafür zuständige Ministerium übernehmen will. »Wir haben ein gemeinsames Verständnis, dass wir die Wirtschaftswende brauchen, dass wir im dritten Jahr in der Rezession schnell Impulse für Wachstum brauchen«, sagt er. Mit »wir« meint er die SPD. Spahn wird mit Fragen zum Umgang mit den Rechtspopulisten gelöchert, hält sich aber bedeckt. Er geht erst mal in Deckung und setzt darauf, dass die Diskussion über die Osterfeiertage erlischt.

»Dass wir schnell ins Tun kommen, ist nämlich der einzige Weg, tatsächlich Vertrauen zu gewinnen«

Damit nimmt er in Kauf, dass andere die Lautstärke aufdrehen. Heidi Reichinnek von der Linken zum Beispiel. »Die AfD ist eine rechtsextreme Partei, die die Menschenrechte verachtet und die Demokratie abschaffen will. Aussagen wie die von Jens Spahn tragen dazu bei, sie zu normalisieren. Das ist ein großes Problem«, sagte die Linken-Frontfrau unserer Redaktion. Die AfD sei keine normale politische Konkurrenz, sondern »sie ist der politische Gegner«. Reichinnek forderte, dass der Alltag der Menschen verbessert werden müsse (Lohn, Rente, Miete), um den Aufstieg der Partei zu bremsen.

Die Fraktionschefin der Linken und Jens Spahn verbindet politisch wenig, in diesem Punkt stimmen sie jedoch überein. »Dass wir schnell ins Tun kommen, ist nämlich der einzige Weg, tatsächlich Vertrauen zu gewinnen«, sagt er unter der Kuppel des Reichstags. Nach seiner Zeit als Gesundheitsminister hatte er überlegt, mit der Politik aufzuhören. 20 Jahre sind eine lange Zeit. Seine Anstrengungen, zwischenzeitlich CDU-Vorsitzender und damit Kanzlerkandidat zu werden, waren nicht von Erfolg gekrönt.

Doch Spahn machte weiter, wollte wieder zurück in die erste Reihe, wieder zurück zur Macht. Nach dem Rückzug von Linnemann hat er die Chance dazu. Sollte sich Friedrich Merz für jemand anderen als Wirtschaftsminister entscheiden, dann ist Spahn noch als Fraktionsvorsitzender im Gespräch. Dieser Posten würde sogar noch mehr Einfluss für ihn bedeuten. (GEA)