BERLIN. Es ist ein Stadion, in dem Sportgeschichte geschrieben wurde. Bejubelt von Zehntausenden Zuschauern, katapultierte der DDR-Sportler Uwe Hohn seinen Speer vor genau 40 Jahren über 100 Meter weit – ein ewiger Rekord; der Spieß bohrte sich nur knapp neben den Hochspringern in den Boden. Auch Stasi-Chef Mielke erwählte hier seinen Tribünenplatz, wenn er im Stadion dereinst seinen Lieblingsverein, den ostdeutschen Serienmeister BFC Dynamo, anfeuerte. Doch bald wird von dem historischen Friedrich-Ludwig-Jahn-Stadion im Prenzlauer Berg kaum noch etwas übrig bleiben.
Initiative fordert Umbau
Ein Bagger steht schon vor dem Stadion, seine Kralle hat bereits das erste Loch hineingerissen. Für den Architekten Philipp Dittrich unverständlich, wie solch »ein einzigartiges Denkmal der Ostmoderne« zerstört werden kann. »Die Stadt kaufte sogar einen DDR-Wachturm teuer über Ebay ein. Und dann wird das größte Exponat der Mauer einfach abgerissen?« Das Stadion sei eng mit der Nachkriegsgeschichte verbunden: Die Grenze zog sich nur 14 Meter entfernt von der Gegentribüne entlang; es wurde im Jahr 1951, zwei Jahre nach der Teilung, inmitten eines Hügels aus Kriegstrümmern errichtet.
Die markanten Flutlichtmasten und das schwebende Tribünendach kamen erst 1987 anlässlich der 750-Jahrfeier Berlins hinzu, von tschechischen Architekten geplant. »Und damit steht das Stadion mit seiner einzigartigen Architektur für den Anfang und das Ende der DDR«, sagt Dittrich. Für den in der Schweiz geborenen und in Süddeutschland aufgewachsenen Architekten ist klar: Ein Umbau des maroden Stadions wäre sowohl ökologisch als auch ökonomisch sinnvoller. Denn für den geplanten Neubau müssen nicht nur 50 Bäume weichen, auch die Kosten explodieren über die Jahre. Während diese 2019 noch mit knapp 100 Millionen Euro beziffert wurden, liegen die Schätzungen mittlerweile bei mehr als dem Doppelten. Zu viel, wie 14.000 Kritiker des Projekts mit einer Petition sagen.
Dittrich gründete vor vier Jahren mit Gleichgesinnten die Bürgerinitiative für den Erhalt des Stadions. Er betont: »Wir sind für keine Sanierung, sondern für einen Umbau. Dieser Unterschied ist wichtig, da uns oftmals vorgeworfen wird, dass wir gegen Inklusion seien.« Denn das neue Stadion soll laut dem Berliner Senat ein »Leuchtturmprojekt für Inklusion, Teilhabe und Gleichberechtigung« sein, das in Europa seinesgleichen suche. Alle Stadionplätze barrierefrei, mit »voll-inklusivem Sportpark« für behinderte Menschen.
Neubau für mehr Inklusion
Schließlich ist der Stadion-Neubau nur ein Teil eines weitläufigen Areals, das der Senat plant: Fünf statt drei Fußballfelder, ein Blinden-Fußballplatz, vier neue Beachvolleyballfelder, eine Tennishalle, ein Jogging-Pfad für Blinde mit Noppen und Bluetooth-Signalen, ein Bürogebäude, eine neue Merkzweck-Halle mit insgesamt sieben Spielfeldern auf zwei Ebenen und einem Haus der Begegnung, mitten im Park.
Beim inklusiven Sport geht es laut Dennis Mellentin, selbst Radfahrer mit Behinderung und Mitorganisator der Special Olympics 2023, nicht nur um barrierefreie Sportstätten: »Wir benötigen etwa Geländer für Menschen mit Spastiken und einen gut erreichbaren Bahnhof in der Nähe. Und vor allem den Willen, bei der Inklusion einen Schritt nach vorn zu gehen.« Dafür ging Mellentin kürzlich mit rund 150 weiteren Protestierenden auf die Straße. Denn das Projekt steht unter Druck, die Hauptstadt muss sparen, im Haushalt klafft ein Milliardenloch. Zu der Demonstration hatte der Landessportbund Berlin aufgerufen.
Die Bürgerinitiative stellte in der vergangenen Woche gemeinsam mit dem Umweltverband »Naturfreunde Berlin« einen Eilantrag am Berliner Verwaltungsgericht. Der Grund: Die über 350 Nisthöhlen für die ansässigen Vogel- und Fledermausarten, die wegen einer Artenschutzauflage ersetzt werden müssen, fehlen bisher. Der Abriss könnte dadurch vorläufig gestoppt werden. (GEA)