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Aktuell Konflikt

Israel hat sich in Hamas getäuscht

Generalkonsulin Lador-Fresher über den neuen Krieg, die Stimmung in Israel, über Hoffnungen und Ziele

Die neue israelische Generalkonsulin in München,Talya Lador-Fresher, im Gespräch mit Jürgen Rahmig.  FOTO: GENERALKONSULAT
Die neue israelische Generalkonsulin in München,Talya Lador-Fresher, im Gespräch mit Jürgen Rahmig. FOTO: GENERALKONSULAT
Die neue israelische Generalkonsulin in München,Talya Lador-Fresher, im Gespräch mit Jürgen Rahmig. FOTO: GENERALKONSULAT

MÜNCHEN. Für ihre Zeit in Deutschland hatte sich Talya Lador-Fresher so viel vorgenommen. Dazu gehörten Projekte zum Klimaschutz und Klimawandel, und Wasser spielt dabei eine wichtige Rolle. Doch seit dem 7. Oktober sind alle ihre Vorhaben und Projekte zunächst einmal nachrangig. »Seitdem beschäftige ich mich zusammen mit dem gesamten Generalkonsulat nur noch mit Krieg«, sagt die 61-jährige erfahrene Diplomatin. Lador-Fresher ist seit September die neue israelische Generalkonsulin in München.

»Als ich eine junge Diplomatin war, hat man uns erzählt, dass der größte Konflikt in Nahost das Wasser zum Inhalt hat. Wasser ist Leben und Frieden wird es erst geben, wenn wir diese Herausforderung gelöst haben. Das Problem haben wir gelöst, aber den Frieden gibt es nach wie vor nicht«, sagt sie beim Gespräch in den Räumen des Konsulats im Herzen der bayerischen Landeshauptstadt.

Dabei hat sich die Wassersituation in Israel entspannt. Das innovative Land hat die größten und modernsten Meerwasserentsalzungsanlagen, die nach dem Umkehrosmoseverfahren funktionieren. Seit 2005 sind sechs neue Anlagen entstanden, die siebte befindet sich im Bau. Durch innovative Techniken sind die Anlagen auch nicht mehr so teuer und solche Energiefresser wie früher. »Inzwischen ist das von den Unternehmen angebotene Wasser, das diese Anlagen produzieren, nicht teurer als das bislang gewonnene Wasser«, versichert Lador-Fresher. Damit hat sich die Wassersituation in Israel dramatisch entschärft. Das Land beliefert auch den Gazastreifen sowie vor allem Jordanien mit zusätzlichem Wasser.

»Die Stimmungin Israel ist deprimierend«

Als das Massaker begann, das die Terrororganisation Hamas in Israel anrichtete, hatte die Generalkonsulin noch nicht einmal alle Antrittsbesuche in den fünf Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland absolviert, die zu ihrem Zuständigkeitsbereich gehören. »Die Stimmung in Israel ist deprimierend und es sind immer wieder die schrecklichen Geschichten von den Leuten zu hören, die dabei waren, die überlebt haben. Und jetzt kommen jeden Tag Namen von Soldaten hinzu, die ihr Leben verloren haben. Und es gibt die Raketen. Über 10.000 Raketen wurden bislang nach Israel geschossen.«

Braucht Israel Hilfe aus Deutschland? »Wir stehen in engem Kontakt mit dem deutschen Verteidigungsministerium, dem Kanzleramt und dem Außenministerium, das auch bei den Geiseln zu helfen versucht. Natürlich waren wir alle enttäuscht, dass Deutschland sich in der UNO-Abstimmung enthalten hat.« Aber Israel erhalte viel Unterstützung aus der Politik.

»Ich war schon dreimal in Stuttgart. Gleich in der ersten Woche nach dem Anschlag gab es eine Sondersitzung des Landtags, eine würdige Veranstaltung in Stuttgart mit dem Ministerpräsidenten, der Landtagspräsidentin und allen Fraktionsvorsitzenden. Dass deutsche Politiker in der Öffentlichkeit ihre Solidarität mit Israel zeigen, ist wichtig.«

Seit 1992 gibt es die Patenschaft zwischen dem Landkreis Karlsruhe und dem israelischen Landkreis Sha’ar Hanegev, der bei dem Hamas-Angriff am 7. Oktober am stärksten getroffen wurde. Der israelische Landkreispräsident Ofir Liebstein und seine Schwiegermutter wurden ermordet, erzählt sie. Ihm zu Ehren gab es eine Veranstaltung in Karlsruhe. Es gibt Ängste der Israelis in Deutschland. »Wir müssen noch sehr viel tun.« Selbst israelische Studenten in Deutschland würden an das Konsulat schreiben und unangenehme Situationen schildern. Lador-Fresher wünscht sich, dass die Kanzler der Universitäten klar sagen, »was noch Meinungsfreiheit ist und was Hetze. Es gibt da Grenzen und die gilt es, klar aufzuzeigen. Man muss Mut beweisen.«

Dabei helfen auch kleine Dinge. Sie sei kürzlich in Regensburg gewesen und habe dort auf der Straße ein Fahrrad mit einer kleinen israelischen Fahne gesehen. »Gerade jetzt ist es besonders wichtig, die Israelflagge als Friedenssymbol gut sichtbar wehen zu lassen.«

»Das sind Leute, die möchten, dass der Staat Israel vernichtet wird«

Lador-Fresher betont, dass »die Leute, die jetzt bei pro-palästinensischen Demonstrationen auf die Straße gehen und radikale Parolen äußern wie ›From the River to the Sea, Palestine will be free‹, nicht für die Palästinenser, sondern für Gewalt und Terror sind. Das sind Leute, die möchten, dass der Staat Israel vernichtet wird. Ich wünsche mir, dass die Bundesregierung im Rahmen der Gesetze alles unternimmt, damit diese Demonstrationen entweder nicht stattfinden und wenn doch, dass die Polizei eingreift.« Die jüdische Gemeinde in Deutschland fühle sich unsicher. Es gebe eine Zunahme antisemitischer Vorfälle. Die Generalkonsulin mit deutschen Wurzeln sieht hier durchaus eine Gefahr für die deutsche Demokratie.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat vor wenigen Tagen die radikal-islamische Organisation Hamas und das palästinensische Netzwerk Samidoun in Deutschland verboten. Samidoun wird aufgelöst. Die Verbote kommen reichlich spät, aber besser spät als nie, denn »Organisationen wie Samidoun benutzen die deutsche Demokratie wie trojanische Pferde und befeuern den Antisemitismus«, warnt Talya Lador-Fresher.

»Es gibt jetzt natürlich Hoffnung, dass weitere Geiseln freikommen«

Ihr Vater ist in Leipzig geboren worden. Er überlebte das Naziregime und kam 1975 als israelischer Diplomat zurück nach Deutschland. So lebte Talya Lador-Fresher als Jugendliche einige Jahre in Bonn. Nach ihrem Militärdienst in Israel studierte sie Betriebswirtschaft und Politikwissenschaft in Jerusalem. Seit 1989 ist sie Diplomatin. Sie hatte Stationen in Jamaika, den USA und Großbritannien, ehe sie von 2015 bis 2019 Botschafterin in Österreich war und nun wieder nach Deutschland zurückgekehrt ist.

»Katar vermittelte die Geiselfreilassung, und es gibt jetzt natürlich Hoffnung, dass noch weitere Geiseln freikommen. Das ganze Land Israel setzt sich dafür ein.« Lador-Fresher weiß natürlich nicht, inwieweit man Hamas in dieser Sache tatsächlich trauen kann. Auch die Rolle des Golf-Emirats Katar ist zwiespältig. »Es hat Hamas über die Jahre leider finanziell unterstützt, da sind Koffer voller Geld in den Gazastreifen gebracht worden. Wir hatten irrtümlich angenommen, dass das alles helfen werde, den Gazastreifen zu stabilisieren und zu entwickeln. Wir waren bis zum 7. Oktober zu blauäugig.« Und die Führer von Hamas seien nach wie vor in Luxushotels auf Kosten der katarischen Regierung in Doha untergebracht.

Wie viel Unterstützung hat die Hamas bei der Bevölkerung im Gazastreifen? »Bis zum 7. Oktober, würde ich sagen, hatte sie sehr viel Unterstützung. Am 7. Oktober dann vielleicht sogar fast 100 Prozent. Jetzt würde ich sagen, weniger, weil viele Leute dort ihre Häuser verloren haben, weil die Lage in Gaza sehr schlecht ist. Inzwischen gibt es Menschen, die vor Kameras sogar Kritik an Hamas üben.« Die Umfrage einer palästinensischen Organisation aus den letzten Tagen hat die Diplomatin allerdings erschreckt. Es ging um die Frage, ob das, was Hamas am 7. Oktober angerichtet hat, befürwortet wird. »60 Prozent der Befragten im Gazastreifen meinen immer noch, dass es eine positive Sache war. Ganz besonders erschreckend aber: Im Westjordanland glauben das sogar 80 Prozent.«

»Die Palästinenser sehen sich nach wie vor und immer in der Opferrolle«

»Die wichtigste UN-Resolution, die eigentlich die Zweistaatenlösung vorgab, hatten die Palästinenser 1947 abgelehnt und auch danach Möglichkeiten wie die Oslo-Abkommen nicht genutzt«, sagt Lador-Fresher. »Es gibt auch in der vierten Generation danach noch Flüchtlingslager. Warum gibt es sie noch?«, fragt sie. Unter dem damaligen deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer sei das Wiedergutmachungsabkommen zwischen Israel und Deutschland geschlossen worden. Es habe deswegen viel Kritik an dem israelischen Staatschef David Ben Gurion gegeben. Doch dieser hat laut Lador-Fresher zu seinen Ministern gesagt, »wir benötigen die Unterstützung Deutschlands zum Aufbau des Staates. Wir reden nicht über die moralischen Seiten, wir graben da nicht weiter, sonst gibt es kein Ende. Wir müssen unsere Beziehungen auf dieser Ebene bauen.«

Lador-Fresher nimmt dieses Beispiel und betont: »Man muss einfach mal sagen, okay, wir machen jetzt weiter. Doch mit den Palästinensern geht das nicht, weil sie sich nach wie vor und immer in der Opferrolle sehen. Wenn jemand immer nur Opfer ist, was kann er dann machen?« Man halte daran fest und könne daher nicht neu anfangen.

Wie geht es weiter? »Eines ist klar: Wir werden nicht im Gazastreifen bleiben, wir wollen ihn nicht erobern und dort bleiben.« Israel hatte unter Ministerpräsident Ariel Sharon 2005 die israelischen Siedlungen im Gazastreifen aufgelöst und sich zurückgezogen. »Wir wollen die Geiseln befreien und die Hamas entmachten.« Das seien für Israel die wichtigsten Ziele, so Lador-Fresher. Was danach kommt, ob es eine Macht gibt, die im Gazastreifen regieren kann, sei unklar.

»Wir werden nicht im Gazastreifenbleiben«

Der schiitische Gottesstaat Iran, der als Unterstützer hinter dem Hamas-Massaker gesehen wird, »macht alles dafür, dass die Lage in Nahost instabil ist«. Es habe vor dem 7. Oktober viele positive Zeichen bei den Gesprächen zwischen Israel und Saudi-Arabien gegeben, betont Lador-Fresher. Ein solcher Durchbruch könnte auch der Grund für das Timing des Hamas-Angriffs gewesen sein. Letztlich aber habe Hamas Israel überfallen, »weil die Realität so ist, wie es Hamas in seiner Charta formuliert: Israel vernichten und so viele Juden wie möglich töten. Wir in Israel gingen mit der Zeit von der Annahme aus, dass es Hamas wichtiger ist, für die Menschen dort zu sorgen und dafür, dass sie besser leben können. Doch das war falsch.« (GEA)