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Innenminister Dobrindt: »Europa braucht eine Migrationswende«

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt will die Zuwanderung bremsen. Im GEA-Interview verrät der CSU-Politiker, was er konkret vorhat.

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (Mitte) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (Zweiter von rechts) besuchen Bundespo
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (Mitte) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (Zweiter von rechts) besuchen Bundespolizisten an der Grenzkontrollstelle Kiefersfelden. FOTO: KNEFFEL/DPA
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (Mitte) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (Zweiter von rechts) besuchen Bundespolizisten an der Grenzkontrollstelle Kiefersfelden. FOTO: KNEFFEL/DPA

BERLIN. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt verbucht die umstrittene Zurückweisung von Migranten an deutschen Grenzen als Erfolg. Im GEA-Interview wirbt der CSU-Politiker erneut für die Migrationswende und verrät, was er konkret vorhat – sowohl im nationalen Alleingang als auch gemeinsam mit den europäischen Partnern.

GEA: Herr Dobrindt, woran wollen Sie sich künftig messen lassen: An der Zahl derer, die nun zusätzlich an der Grenze zurückgewiesen werden – oder an den Prozentpunkten, die die AfD einbüßt?

Alexander Dobrindt: Mir geht es darum, die Polarisierung in dieser Gesellschaft zurückzudrängen. Das hängt auch davon ab, ob es uns gelingt, in der Migrationspolitik eine neue Ordnung zu schaffen. Die Menschen spiegeln mir nur eine Stimmung wider: Endlich passiert etwas! Die Zahlen belegen das: Wir haben seit Start der härteren Kontrollen 7.500 Menschen zurückgewiesen. Dazu kommen 350 Schleuser, die wir enttarnt haben.

Ihr Kurs sorgt aber für Unruhe unter Deutschlands Nachbarn. Polen hat im Gegenzug sogar Grenzkontrollen eingeführt. Bedroht Ihr Vorgehen das Europa ohne Grenzen, eine der größten Errungenschaften der EU?

Dobrindt: Wir schaffen nicht Unruhe, wir schaffen Ordnung. Ich unterstütze die Polen und ihre Grenzkontrollen, vor allem diejenigen an der polnischen Grenze zu Litauen und Belarus. Dadurch werden Tag für Tag illegale Einreisen nach Polen und damit auch nach Deutschland verhindert. Ich habe Polen angeboten, eine gemeinsame Grenzpatrouille mit unseren Polizisten zu machen, auch gerne vollständig auf deutscher Seite.

»Mir geht es darum,die Polarisierung indieser Gesellschaft zurückzudrängen«

 

Sie haben sich am vergangenen Freitag auf der Zugspitze mit Ihren Kollegen aus den Nachbarländern getroffen. Was ist das Ergebnis des Treffens?

Dobrindt: Wir haben deutlich gemacht, dass wir auch in Europa eine Migrationswende brauchen. Das neue gemeinsame Europäische Asylsystem hat unsere Unterstützung, aber es hätte deutlich härter ausfallen können, wenn die damalige Bundesregierung ihren Job gemacht hätte. Leider saß die Ampel-Regierung im Bremserhäuschen. Ich will unseren Nachbarn zeigen, dass diese Zeiten vorbei sind. Gemeinsam mit Polen, Tschechien, Österreich und Dänemark wollen Deutschland und Frankreich eine Verschärfung der europäischen Migrationspolitik insgesamt herbeiführen.

Was haben Sie konkret vor?

Dobrindt: Es kommt immer noch viel zu oft vor, dass Flüchtlinge in mehreren europäischen Ländern gleichzeitig Asylanträge stellen. Trotzdem muss jeder einzelne Antrag vollumfänglich geprüft werden – obwohl das Ergebnis immer gleich ist – das erste Land ist und bleibt zuständig. Diese Mehrfachverfahren wollen wir beenden.     Zweiter Punkt: Wir wollen die Rückführung abgelehnter Asylbewerber weiter vereinfachen. Ein großes Hindernis ist bislang, dass einige Heimatländer ihre Staatsangehörigen nicht zurücknehmen wollen. In diesem Fall wollen wir die Möglichkeit schaffen, Migranten in Nachbarländer in der Nähe der Herkunftsländer zurückzuführen.

Wenn die Rückführung nach Afghanistan nicht funktioniert, dann sollen die Migranten nach Pakistan gebracht werden?

Dobrindt: Auch wenn es um diesen konkreten Fall nicht geht – das Prinzip ist, Menschen in Nachbarregionen ihrer Herkunftsländer unterzubringen, in denen sich oft schon Angehörige dieser Bevölkerungsgruppen befinden.

Ihre Politik an den deutschen Grenzen wurde von einem Gericht in Berlin bereits als rechtswidrig eingestuft. Auch wenn es sich um einen Einzelfall handelt – müssten Sie Ihr Vorgehen jetzt nicht überdenken?

Dobrindt: Sie sagen es: Das ist eine Einzelfallentscheidung. Ich handele im Rahmen europäischen Rechts, aber mit einem klaren Willen zur Wirksamkeit. Wir führen unsere Maßnahmen fort, solange das notwendig ist.

Dreh- und Angelpunkt einer Prüfung durch den EuGH wird die Frage sein, ob Deutschland mit der Migration überfordert ist. Wie wollen Sie diese begründen?

Dobrindt: Die Überforderung Deutschlands ist mit den Händen zu greifen: in unseren Kommunen, in den Sozialsystemen, in Kitas und Schulen, am Wohnungsmarkt. Und genau diese Überforderung gibt uns Möglichkeiten innerhalb des europäischen Rechts, die wir nutzen.

Die Zahl der Migranten, die nach Deutschland kommen, geht derzeit deutlich zurück – widerspricht das nicht Ihrer Argumentation?

Dobrindt: Wir erleben einen Rückgang der Zahlen, das stimmt. Das ändert aber nichts daran, dass auch die geringere Zahl zusätzlicher Migranten auf die aktuell ungelösten Probleme aus der Vergangenheit oben draufkommt und die Situation weiter verschärft. Deswegen bleibt die Überforderung bestehen.

Was sind die Gründe dafür, dass derzeit weniger Menschen kommen?

Dobrindt: Da ist – zuallererst – die Migrationswende der neuen Bundesregierung. Geholfen hat auch die richtige Entscheidung der letzten Wahlperiode im September vergangenen Jahres, nach langem Zögern Grenzkontrollen überhaupt erst einzuführen. Auch europäische Maßnahmen zeigen Wirkung. Diese gesamte Entwicklung zeigt, dass auch nationale Maßnahmen das Migrationsgeschehen beeinflussen können – genau das wurde ja oft bestritten. Die Aussetzung des Familiennachzugs, die Abschaffung der Expresseinbürgerung und unsere anderen Maßnahmen, all das reduziert die Magnetwirkung Deutschlands.

Dennoch ist es denkbar, dass der EuGH gegen Deutschland entscheidet. Riskieren Sie ein zweites Maut-Urteil?

Dobrindt: Ich habe Vertrauen in den EuGH, auch wenn ich bestimmte Urteile aus der Vergangenheit nicht überzeugend finde. Gerichte sind in der Lage, die Realität zu betrachten. Niemand kann ausblenden, dass Europa ein großes Problem mit der Polarisierung der Gesellschaft hat, mit dem Erstarken demokratiegefährdender Kräfte. Viele EU-Länder argumentieren wie wir mit der spürbaren Überforderung. Ich glaube nicht, dass ein Gericht das einfach ignorieren kann.

Die neue Bundesregierung hat versprochen, deutlich mehr abgelehnte Asylbewerber abzuschieben. Wo stehen Ihre Verhandlungen mit Syrien und Afghanistan?

Dobrindt: Die Rückführungen sind eine offene Stelle bei der Migrationswende. Daher steht das Thema bei mir ganz oben auf der Agenda. Im Fokus stehen Rückführungen nach Afghanistan und Syrien, weil ein Großteil der illegalen Migration aus diesen Ländern kommt. Mir geht es darum, dass wir in der Lage sind, straftätige Asylbewerber nach Afghanistan zu-rückzuschicken.

Würden Sie dafür persönlich mit den Taliban verhandeln?

Dobrindt: Ja. Mangelnde Gesprächsbereitschaft von unserer Seite darf kein Argument dafür sein, dass ausreisepflichtige Straftäter länger in Deutschland bleiben. Es ist doch absurd: Gespräche mit Afghanistan gibt es immer dann, wenn man Afghanen aus Afghanistan zu uns holen will – und der umgekehrte Weg soll unmöglich sein? Diese Argumentation leuchtet mir und der Mehrheit im Land nicht ein.

»Die Überforderung ist mit Händen zu greifen: in den Sozialsystemen, Schulen, am Wohnungsmarkt«

 

Zur Wahrheit gehört aber, dass Tausende Afghanen und deren Familien, die in den vergangenen Jahren für die Bundeswehr oder deutsche Organisationen gearbeitet haben, in Pakistan auf ihre Ausreise warten. Welche Botschaft haben Sie an diese Menschen?

Dobrindt: Die Ampelregierung hat etwa 2.500 Afghanen nach Pakistan geholt, nur 250 davon sind im sogenannten Ortskräfteverfahren, haben also etwa für die Bundeswehr gearbeitet. Wir werden in allen Fällen die erfolgten Zusagen prüfen, rechtlich, aber auch, was die Identität angeht und ob es Sicherheitsbedenken gibt. Ein Teil dieser Menschen, die vom Auswärtigen Amt derzeit in Pakistan betreut werden, sind seit 2023 dort. Annalena Baerbock hatte zwei Jahre Zeit – und hat diese Fälle nicht gelöst. Wir werden das jetzt klären, aber längst nicht jeder wird nach Deutschland kommen können.

Sie sprachen die Polarisierung der Gesellschaft an. Zuletzt zeigte sich diese kulturkampfähnliche Stimmung bei der Frage der Berufung der von der SPD vorgeschlagenen Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf zum Bundesverfassungsgericht.

Dobrindt: Die entscheidende Frage ist: Hätte es am vergangenen Freitag eine Mehrheit für Frau Brosius-Gersdorf gegeben? Mein Eindruck ist – nein, es hätte nicht gereicht. Das hätte man in den Tagen vorher erkennen können. Die Debatten über die Kandidatin in den Wahlkreisen, in der Gesellschaft, die vielen Briefe und Mails, die Diskussion in der Kirche, all das hat Wirkung entfaltet. Ich sehe aber nicht, dass das Verfassungsgericht dadurch beschädigt ist.

ZUR PERSON

Alexander Dobrindt ist seit Mai 2025 Bundesinnenminister. Davor amtierte er als Vorsitzender der CSU im Bundestag (2017 bis 2025), Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur (2013 bis 2017) sowie CSU-Generalsekretär (2009 bis 2013). Der Oberbayer wurde 2002 erstmals in den Deutschen Bundestag gewählt und trat 1990 der Christlich-Sozialen Union (CSU) bei. Vor seiner politischen Karriere arbeitete der Diplom-Soziologe als Geschäftsführer eines Maschinenbauunternehmens. Der 55-Jährige ist verheiratet und hat ein Kind. (GEA)

Wie geht es jetzt weiter?

Dobrindt: Unabhängig von Frau Brosius-Gersdorf – die Überhöhung einer Person für ein, wenn auch herausgehobenes Amt, wäre die falsche Reaktion. In einem politischen Auswahlprozess kann es zu einer Veränderung der Kandidaten kommen. Das war in diesem Kandidatenpaket übrigens bereits der Fall und aktuell sind ja wohl auch zwei der drei Kandidaten mehrheitsfähig. Frau Brosius-Gersdorf macht sich bestimmt Gedanken, wie sie mit dieser Situation umgeht. Als Bewerberin für eine Position im Verfassungsgericht hat man wohl kaum die Intention, die Polarisierung in der Gesellschaft weiter zu befördern.

Zu einer Koalition gehört ja, dass beide Seiten Kompromisse schließen. Für die SPD war die Einschränkung des Familiennachzugs zuletzt eine schwere Last, jetzt macht die Union bei der Verfassungsrichterin nicht mit. Wie instabil ist diese Koalition?

Dobrindt: Jetzt darf man Vereinbarungen im Koalitionsvertrag nicht mit Personalfragen vermischen, die bei der Regierungsbildung gar nicht zur Diskussion standen. Die Migrationswende war eine Grundbedingung für das Zusammenkommen dieser Koalition. Das war bereits im Sondierungspapier angelegt, wie auch die Grundgesetzänderung zur Schuldenaufnahme der 500 Milliarden Euro, das für die SPD eine Grundbedingung war. Es wäre falsch, in der Debatte um eine Bewerbung fürs Verfassungsgericht jetzt inhaltliche Vereinbarungen der Koalition infrage zu stellen. Diese Koalition hat einen ausgewogenen Koalitionsvertrag für Wachstum, soziale Sicherheit und Ordnung der Migration. Ich rate, am Erfolg dieser Vereinbarung zu arbeiten.

Als Landesgruppenchef hatten Sie schärfere Gesetze gegen antisemitische Ausländer in Aussicht gestellt. Was planen Sie?

Dobrindt: Unser Ziel ist es, den Straftatbestand der Volksverhetzung zu verschärfen und bei Verurteilungen zu Freiheitsstrafen wegen antisemitischer Straftaten schneller auszuweisen. Wir werden nicht dulden, dass sich Judenhass in Deutschland ausbreitet, und uns Antisemitismus, egal aus welcher Richtung er kommt, entgegenstellen. (GEA)