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Hart oder zu hart: Wie gerichtsfest ist der Teil-Lockdown?

Einschneidende Corona-Beschlüsse bedeuten meist: viele Klagen. Gerade erst haben mehrere Gerichte die umstrittenen Beherbergungsverbote zerlegt. Droht den neuen Maßnahmen ein ähnliches Schicksal?

Justitia-Statue
Eine Bronzeplastik der römischen Göttin der Gerechtigkeit, Justitia. Foto: picture alliance/dpa/Symbolbild
Eine Bronzeplastik der römischen Göttin der Gerechtigkeit, Justitia. Foto: picture alliance/dpa/Symbolbild
KARLSRUHE. Restaurants und Kneipen zu, keine Urlaubsreisen, kein kulturelles Leben, so wenig private Kontakte wie irgend möglich - Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nennt den Teil-Lockdown im November selbst hart und belastend. Zu hart womöglich? FDP-Politiker sehen die Grundrechtseingriffe als »Ritt auf Messers Schneide« und rufen zum Klagen auf. Könnten Gerichte einzelne Maßnahmen wieder kassieren? Was sich aus bisherigen Corona-Entscheidungen lernen lässt:

Wie weit darf die Politik bei der Pandemie-Bekämpfung gehen?

Der Staat darf zum Infektionsschutz in Grundrechte eingreifen - aber nicht alles, was vorstellbar ist, ist auch rechtmäßig. Die Maßnahmen müssen verhältnismäßig sein, das bedeutet: geeignet, erforderlich und angemessen. Grundlage ist das Infektionsschutzgesetz. Als »notwendige Schutzmaßnahme« dürfen unter anderem die Freiheit der Person, die Versammlungsfreiheit und die Freizügigkeit eingeschränkt werden. Das Problem: Nirgendwo steht im Detail, wann genau, warum, in welcher Form und für wie lange welche Rechte eingeschränkt werden dürfen.

Was bedeutet das für die Gerichte?

Sie müssen oft unter großem Zeitdruck in Eilverfahren eine Abwägung leisten, die selbst Experten an den Rand der Überforderung bringen kann. Im Frühjahr, als die Infektionszahlen hoch und die Krankheit noch weitgehend unerforscht waren, gingen die Richter daher lieber auf Nummer sicher - landauf, landab wurden so gut wie alle Klagen abgewiesen. Das hat sich in den relativ entspannten Sommermonaten geändert: Inzwischen schauen die Gerichte sehr viel genauer hin.

Wie positioniert sich das Bundesverfassungsgericht?

Die Karlsruher Richter haben inzwischen ein gutes Dutzend Eilanträge inhaltlich beschieden. Ob zur Testpflicht für Reiserückkehrer, zur Quarantäne bei Einreise oder den Kontaktbeschränkungen im Frühjahr - die meisten blieben erfolglos. Wichtig ist, dass die Erfolgsaussichten der eigentlichen Verfassungsbeschwerde oft trotzdem offen sind. Im Eilverfahren klären die Richter nur: Was hätte schlimmere Folgen - wenn wir die Maßnahme jetzt irrtümlicherweise kippen oder wenn sie in Kraft bleibt und sich später als rechtswidrig herausstellt? Dabei hatte so gut wie immer der Lebensschutz als überragend hohes Verfassungsgut Vorrang. Fachlich stützt sich das Gericht auf die Einschätzungen des Robert Koch-Instituts.

Wo ist eine rote Linie überschritten?

Deutliche Worte fanden die Verfassungsrichter vor allem zu den Gottesdienst- und Demonstrationsverboten im Frühjahr. Ein so »überaus schwerwiegender Eingriff in die Glaubensfreiheit« sei nur eng befristet hinnehmbar, Lockerungen unter Auflagen müssten immer wieder geprüft werden. Auch zum Schutz der Versammlungsfreiheit müssen alle Entscheidungsspielräume ausgeschöpft werden. Generell waren Karlsruhe immer zwei Punkte wichtig: Jede Maßnahme muss regelmäßig überprüft werden, und es sollten Ausnahmen möglich sein. Und schon in einer Entscheidung aus dem Mai steht, dass der staatliche Spielraum mit der Zeit geringer werden kann - »etwa bei besonders schweren Grundrechtsbelastungen und wegen der Möglichkeit zunehmender Fachkenntnis über Risiken und anderweitige Eindämmungsmöglichkeiten«.

Welche Kriterien können noch eine Rolle spielen?

Bisher haben die wenigsten Fragen das Bundesverfassungsgericht erreicht, denn Betroffene müssen erst bei den Verwaltungsgerichten klagen. Dort wurden auf Landesebene zuletzt die Beherbergungsverbote zum Debakel: Dass deutsche Feriengäste aus Gegenden mit vielen Corona-Fällen nur mit frischem Negativ-Test willkommen sein sollten, veranlasste mehrere Oberverwaltungsgerichte zum Einschreiten. Das Hauptargument hier: Die wirtschaftlichen Nachteile für die Hoteliers stünden in keinem Verhältnis zum Nutzen. Denn Ansteckungen im privaten Bereich seien viel häufiger als Ansteckungen im Hotel.

Was heißt das alles für den bevorstehenden Teil-Lockdown?

Er muss vor allem wasserdicht begründet sein. Es dürfte kein Zufall sein, dass die Kanzlerin die Maßnahmen in ihrer Regierungserklärung ausdrücklich als »geeignet, erforderlich und verhältnismäßig« verteidigt hat. Tatsächlich sind die Schließungen bis Ende November befristet, nach zwei Wochen soll nachjustiert werden. Ein noch entscheidenderer Punkt dürfte aber sein, dass für die Einbußen der betroffenen Branchen nun erstmals eine Ausgleichszahlung vorgesehen ist - der massive Eingriff in die Berufsfreiheit wird so deutlich gemildert. Und dann sind da noch die dramatisch steigenden Infektionszahlen, der drohende Kontrollverlust der Gesundheitsämter: Sie könnten manches rechtfertigen, was noch vor kurzem völlig unverhältnismäßig gewesen wäre. Beurteilen müssen das die Gerichte. (dpa)