BERLIN. Kaum ein politischer Satz ist über die Jahrzehnte so unwahr geworden wie der von Norbert Blüm. »Die Rente ist sicher«, erklärte der frühere Bundesarbeitsminister im Wahlkampf 1986. Als er den Satz ein paar Jahre später wiederholte, schwankte die Altersvorsorge schon bedenklich. Inzwischen hat die Finanzierung der Rente eine solche Schieflage bekommen, dass von Sicherheit nicht mehr wirklich gesprochen werden kann. Ihre Zukunft ist denn auch einer der größten Knackpunkte in den laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD. Bei den Sozialdemokraten arbeitet vor allem der geschäftsführende Bundesarbeitsminister Hubertus Heil daran, zusammen mit CDU und CSU eine tragfähige Altersvorsorge auf die Beine zu stellen.
Verteidiger des Mindestlohns
Seit März 2018 ist Heil ununterbrochen Ressortchef. Er kam mit einer Großen Koalition ins Amt und könnte möglicherweise mit Schwarz-Rot in der neuen Legislaturperiode eine weitere Amtszeit dranhängen. »Um ein Ministeramt bewirbt man sich nicht«, sagt Heil so und so ähnlich, wenn er nach seinen Zukunftsplänen gefragt wird. Und meist folgt die Bemerkung, dass einem solch ein Posten angetragen wird. Es ist kein Geheimnis, dass der 52-Jährige weitermachen würde, wenn man ihn lässt.
Heil gehört der »19er-Runde« an. Der Verhandlungsrunde also, die aus den rund 150 Papierseiten der 16 Arbeitsgruppen einen Koalitionsvertrag erarbeitet. Die Gruppe mit den Parteivorsitzenden Friedrich Merz (CDU) und Lars Klingbeil (SPD) an der Spitze wahrt die vereinbarte Verschwiegenheit. Aus dahingeworfenen Bemerkungen und wenigen Halbsätzen lässt sich allerdings erahnen, wie es um die Stimmung bestellt ist. Demnach stehen die Chancen auf eine Weiterbeschäftigung so schlecht nicht.
Was für ihn spricht: Der gebürtige Hildesheimer macht offenbar ein paar Dinge besser als seine Partei insgesamt. Während die bei der Bundestagswahl nur auf magere 16,4 Prozent kam, holte er mit 33,94 Prozent erneut das Direktmandat für seinen Wahlkreis Gifhorn/Peine. Innerparteilich wächst seine Beliebtheit stetig. Als er 2019 zu einem von fünf stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt wurde, bekam er 70 Prozent der Stimmen und galt da schon als neuer starker Mann der Partei. Zwei Jahre später bestätigten ihn die Delegierten mit knapp 89 Prozent im Amt und die Zahl seiner Fans wuchs offenbar weiter. Beim letzten Parteitag 2023 in Berlin vereinte er gar 96,6 Prozent auf sich.
»Deutschland ist und bleibt ein sozialer Rechtsstaat. Anstand, Solidarität und Nächstenliebe sind eine Stärke unserer Gesellschaft«, hat sich Heil auf seine Internetseite schreiben lassen. Das beschreibt ziemlich gut den Kompass, mit dem der verheiratete Vater von zwei Kindern politisch unterwegs ist. Gegen zahlreiche Widerstände setzte er die sogenannte Grundrente durch. Die ewigen Beschwerden der Arbeitgeber über die Mindestlohnhöhe durchbrach der frühere Rechtsverteidiger des SV Adler Hämelerwald ein ums andere Mal und setzte sich immer wieder für eine Erhöhung ein. Gerade konnte er den rund 21 Millionen Rentnerinnen und Rentnern in Deutschland die frohe Botschaft verkünden, dass ihre Renten zum 1. Juli um 3,74 Prozent steigen. Das Plus geht zwar auf einen gesetzlich festgelegten Mechanismus zurück. Aber es kann nie schaden, der Überbringer guter Nachrichten zu sein.
Ersatzmann für Klingbeil
Wobei die Kehrseite der Medaille dazu führen könnte, dass Heil doch nicht Minister wird. Sein Etat ist der größte im ganzen Bundeshaushalt und viele Milliarden Euro daraus fließen als Zuschuss des Bundes an die Rentenversicherung. Der Blick auf Heils Jahre als Politiker zeigt, dass Machterhalt um jeden Preis seine Sache nicht ist. Wenn es mit dem Ministeramt nicht klappt, weil die Union ihn nicht will oder das Arbeitsministerium mit einem anderen Haus zusammenlegt, dann findet sich etwas anderes. Lars Klingbeil ist Partei- und Fraktionsvorsitzender. Sollte er auch noch Minister und Vizekanzler werden, könnte einer dieser Posten an Heil gehen. (GEA)