STUTTGART. Deutschland hustet und schnupft. Seit Anfang Februar steigt die Zahl der Grippeinfektionen kontinuierlich an. Sie kursiert zwar in allen Altersgruppen, betrifft derzeit aber vor allem Kinder und Jugendliche . In Baden-Württemberg sind von den seit Jahresbeginn gut 17.500 ans Landesgesundheitsamt gemeldeten Fällen fast ein Drittel der Erkrankten unter 18 Jahre alt, heißt es aus dem Landesgesundheitsministerium. Da-zu kommen zahlreiche weitere akute Atemwegserkrankungen wie Bronchitis, Erkältungen oder Infektionen mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV).
Das ist auch im Olgahospital des Klinikums Stuttgart spürbar, dem größten Kinderkrankenhaus in Deutschland. Die Grippewelle falle jedes Jahr unterschiedlich aus, sagt Pressesprecher Stefan Möbius: »Dieses Jahr ist wieder etwas heftiger.« Auch schwere und schwerste Verläufe mit Beatmung seien 2025 schon vorgekommen und im Klinikum versorgt worden. Gegenüber früheren schweren Grippesaisons steche dieses Jahr aber nicht besonders hervor.
Dennoch bilanziert Professor Markus Rose, Leiter der Kinderpneumologie am Olgahospital: »Unser medizinisches Versorgungssystem erlebt derzeit eine massive Grippewelle mit Schwerpunkt auf Klein- und Schulkindern, parallel dazu eine abgeschwächte RSV-Welle.« Doch woran liegt das? Und bringt es was, Kinder nun noch zu impfen? Ideal sei eine Impfung für alle Altersklassen im Herbst, so Rose, sie sei aber auch jetzt noch sinnvoll.
Eine Woche bis zum Schutz
Der Ansicht schließt sich der Stuttgarter Kinder- und Jugendarzt Özgür Dogan an: »Die Welle kann bis in den März dauern«, andere Experten sprechen gar von April. Eine klassische intramuskuläre Impfung mit Injektion in den Oberarm braucht allerdings eine gute Woche, bis sie eine Schutzwirkung aufgebaut hat. »Bei der sogenannten Nasenspray-Grippeimpfung, die vor allem für Kinder vorgesehen und noch vereinzelt in Apotheken unter dem Namen Fluenz erhältlich ist, besteht schon binnen zwei bis vier Tagen ein Schutz«, sagt Rose.
Warum er zur Impfung rät, erklärt der Kinderlungenarzt und Infektiologe so: Es sei seit Jahren bekannt, dass Kinder in den ersten fünf Lebensjahren nicht nur die Hauptkrankheitslast für Influenza trügen, sondern auch die wichtigsten Überträger auf andere Altersgruppen seien. »Daher wird in vielen Ländern und seitens der Weltgesundheitsorganisation WHO für alle Kinder dieser Altersgruppe eine Schutzimpfung gegen Influenza empfohlen.« In Deutschland sei diese allerdings ein Stiefkind: »Selbst unter chronisch kranken Kindern sind die Durchimpfungsraten kritisch niedrig«, kritisiert Rose. Die Experten sind sich jedoch uneins, ob Impfungen für alle Kinder angebracht sind. Burkhard Rodeck etwa, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin in Berlin, schränkt ein: »Die Standard-Grippeschutzimpfung ist von der Ständigen Impfkommission ab 60 empfohlen.« Bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen unter 60 sei sie sonst »nur als Indikationsimpfung« sinnvoll, »wenn eine erhöhte Gefährdung infolge eines Grundleidens vorliegt«. Obwohl die Ständige Impfkommission (Stiko) nur Risikogruppen und deren Kontaktpersonen rät, sich piksen zu lassen, spricht sie sich auch nicht generell gegen eine Impfung von gesunden Kindern aus.
Impfung für Kinder im Alter zwischen sechs Monaten und fünf Jahren
Die WHO hingegen plädiert für eine Impfung aller Kinder von sechs Monaten bis fünf Jahren. Andere Länder, etwa die USA, Großbritannien und Schweden, schließen sich der Empfehlung an – genauso wie der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte.
Dass so viele Kinder und Jugendliche erkrankt sind, hat laut Burkhard Rodeck unter anderem mit den Wetterbedingungen zu tun: »Anhaltend kaltes Wetter mit mehr Infektionsgelegenheiten in Innenräumen mit größeren Personenzahlen« – das seien Bedingungen, bei denen sich Infekte schnell verbreiten. Insbesondere, wenn man nicht konsequent auf Maßnahmen wie häufiges Händewaschen, Abstand halten sowie freiwilliges Maskentragen achte.
Markus Rose vom Olgahospital sieht einen weiteren Grund für die hohen Fallzahlen bei Kindern auch in einer Art »Nachholeffekt der Corona-Pandemie«. Damals hätten die Hygienemaßnahmen zwar die Sars-CoV-2-Ausbreitung eingedämmt, aber auch das normale Immuntraining gegen andere Erreger von Atemwegsinfektionen verhindert. »So treffen die jedes Jahr neu entstehenden Grippeviren auf empfängliche Menschen«, sagt Rose.
Doch wie zuverlässig ist eine Impfung? »Einen hundertprozentigen Schutz gibt es nicht«, sagt Frank Eickmann, der stellvertretende Geschäftsführer des Landesapothekerverbands Baden-Württemberg: »Wer trotzdem erkrankt, hat aber in der Regel einen abgeschwächten Krankheitsverlauf.« Das bestätigt auch der Kinderlungenarzt Rose: »Die Schutzwirkung liegt bei gut 60 Prozent.« Erwische es einen dann doch, profitierten alle Patienten von Ruhe und Schonung, genug Flüssigkeit, etwa Tee mit Honig, und bei Kopf- und Gliederschmerzen von Paracetamol oder Ibuprofen. (GEA)