KABUL. Es war ein einzelnes Foto, das den Mann mit den sorgenvollen Augen in mächtige Schwierigkeiten bringen sollte. Es war der März 2022, die Taliban waren da in Afghanistan schon seit mehr als einem halben Jahr an der Macht. »In diesem März wurden Hausdurchsuchungen gemacht«, erinnert sich der ehemalige Übersetzer, der seinen Namen aus Sorge um seine Sicherheit nicht öffentlich machen will. »Deswegen habe ich meine Dokumente versteckt.« Dennoch fanden die Taliban ein Foto, das ihn als ehemaligen Mitarbeiter ausländischer Streitkräfte, als Ortskraft, verriet. Drei Jahre lang hatte er im Norden Afghanistans mit den Deutschen zusammengearbeitet.
Bis 2006 war er dort als Übersetzer tätig, Deutsch spricht er bis heute noch. Damals war er überzeugt davon, dass sich die Dinge in seinem Land bessern würden. Heute muss der Familienvater in ständiger Angst leben, festgenommen zu werden, immer wieder seinen Wohnort wechseln. Seine Kinder sieht er kaum noch. Zweimal hätten ihn die Taliban seit der Hausdurchsuchung bereits ins Gefängnis gesteckt, ihn mit Waffen und Metallstangen geschlagen, sagt er.
Ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Rawadari vom Januar zeigt Ähnliches: Seit ihrer Machtübernahme im August 2021 nahmen die Taliban demnach zahlreiche Menschen willkürlich fest, unter ihnen Journalisten, Menschenrechtsaktivisten oder Mitarbeiter der ehemaligen Regierung. Rawadari berichtet außerdem, dass die Inhaftierten geschlagen und misshandelt worden seien.
Eine Situation, die man zumindest für viele ehemalige Ortskräfte hätte vermeiden können, sagt Qais Nekzai vom Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte. Denn die prekäre Lage Afghanistans habe sich schon Monate vor der Machtübernahme der Taliban im August 2021 abgezeichnet.
»Anonyme Anrufer haben mich als Sklave der Ungläubigen beschimpft«
Auch der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig sagt, dass der schnelle Fall Kabuls absehbar war. Denn das gängige Narrativ, die afghanische Armee habe den schnellen Siegeszug der Taliban durch mangelnden Kampfeswillen ermöglicht, sei falsch. »Oft wurde über lange Zeit verbissen Widerstand geleistet«, sagt Ruttig. Vielmehr habe der Vormarsch der militanten Islamisten schon Jahre vorher begonnen. Ab 2018 sei die Situation für den Westen und seine Verbündeten sogar so schlecht geworden, dass die USA nicht mehr offen darüber berichtet hätten, wie viele Gebiete bereits in den Händen der Taliban gewesen seien.
Das Auswärtige Amt betont hingegen, dass das Aufnahmeprogramm für Ortskräfte schon seit 2013 bestehe, die Nachfrage bis zu der Machtübernahme der Taliban hingegen deutlich geringer gewesen sei als heute. 4 100 Ex-Ortskräfte sind laut Auswärtigem Amt bisher nach Deutschland gekommen, 2 600 seit Antritt der Ampel-Regierung.
Für Ortskräfte, die vor 2013 bei der Bundesregierung tätig waren, gilt das derzeitige Aufnahmeverfahren jedoch nicht. Das trifft auch auf den ehemaligen Übersetzer zu, der nun feststeckt, weil ihm und seiner Familie die Flucht in den chaotischen Tagen nach dem Fall von Kabul nicht gelungen war. An seine deutschen Kollegen, die er als »ehrlich und verlässlich« beschreibt, denkt der Mann mit der ruhigen Stimme gerne zurück. Von der Bundesregierung fühlt er sich jedoch im Stich gelassen. Die Hoffnung, eines Tages das Land verlassen zu können, will er jedoch nicht aufgeben.
Zurückgelassen fühlt sich auch ein ehemaliger Gärtner, der ab 2006 für 13 Monate für die Bundeswehr angestellt war. »Ich habe schon vor Jahren anonyme Anrufe erhalten, bei denen man mich als Sklave der Ungläubigen beschimpft hat«, erzählt der Mann, der anonym bleiben will. Jetzt würden ihm sogar Bekannte raten, das Land zu verlassen, da er Drohungen erhalte.
Zwar habe er bereits ein Jobangebot in Dubai bekommen, dort hätte er jedoch nicht mit seiner Familie hinziehen können, sagt der Mann. Das komme für ihn nicht infrage. »Ich lasse meine Frau und Kinder nicht hier«, sagt der fünffache Vater. Stattdessen müsse er bei Verwandten untertauchen, könne nie länger an einem Ort bleiben. »Stell dir einfach das Leben eines Gefangenen vor«, beschreibt der Mann seine Situation. »Das bin ich.«
Schließlich mache es für die Taliban keinen Unterschied, wann jemand genau für die in Afghanistan stationierten Deutschen beschäftigt war, sagt auch Qais Nekzai vom Patenschaftsnetzwerk. Alle würden gleichermaßen als Kollaborateure gelten.
»Die Menschen, die jahrelang ihr Leben für die Bundesregierung riskiert haben, haben es nicht verdient, zurückgelassen zu werden«, sagt Nekzai. Zu vielen Ortskräften habe das Patenschaftsnetzwerk bereits den Kontakt verloren. »Ob sie noch leben, wissen wir nicht.« (dpa)