REUTLINGEN. Es ist noch einmal gut gegangen. Marine le Pen wird nicht Premierministerin in Frankreich. Dank des französischen Mehrheitswahlrechts und durch die Wahlbündnisse linker, liberaler und grüner Parteien haben die Rechtsextremen die Wahl in Frankreich nicht gewonnen. Doch der verständliche Jubel vieler deutscher Politiker über den Sieg der Demokratie bei Deutschlands wichtigstem europäischen Partner ist verfrüht. Denn zunächst müssen sich die heterogenen Wahlsieger auf einen Premierminister einigen.
Jean-Luc Mélenchon, der Anführer des in Rekordzeit geschmiedeten siegreichen Linksbündnises »Neue Volksfront«, beansprucht das Amt des Premierministers für sich. Er gilt als Linkspopulist, einigen Kritikern sogar als Europaskeptiker, Verschwörungstheoretiker und sogar Antisemit . Sicher ist, dass seine Forderungen nach der drastischen Erhöhung des Mindestlohnes bei gleichzeitiger Senkung der Wochenarbeitszeit auf 32 Stunden und niedrigerem Renteneintrittsalter die Wirtschaft im hoch verschuldeten Frankreich teuer zu stehen kommen würden. Ob sich das linke Lager auf ihn als Premierminister einigen kann, ist unklar.
Die französische Politik hat keine Erfahrung mit Koalitionen und Kompromissen. Das Wahlsystem wurde unter Charles de Gaulle dafür geschaffen, in einem bipolaren System mit zwei großen Parteien klare Mehrheiten zu schaffen. Doch genau das ist bei dieser Wahl nicht gelungen. Es wird sich nun zeigen, ob die vor der Wahl geschmiedeten Bündnisse sich nach der Wahl auf reale Kompromisspolitik einigen können. Das Motto »Gemeinsam gegen Rechts« mag zwar stark genug für ein Wahlbündnis sein, es ist aber noch keine konstruktive politische Agenda.