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Fragen zu tödlichem Polizeiunfall in Stuttgart während der EM

In Degerloch ist während der Fußball-EM ein Motorradpolizist verunglückt. Eine Detektei sucht Zeugen.

Nach dem Unfall wurden an der Kreuzung Blumen niedergelegt.  FOTO: LG/KOVALENKO
Nach dem Unfall wurden an der Kreuzung Blumen niedergelegt. FOTO: LG/KOVALENKO
Nach dem Unfall wurden an der Kreuzung Blumen niedergelegt. FOTO: LG/KOVALENKO

STUTTGART. In Degerloch staunt man dieser Tage nicht schlecht. Der Unfall ist mehr als fünf Monate her, und auf einmal steht eine Zeugensuche im örtlichen Mitteilungsblatt – das ist schon erstaunlich. Aber noch nicht der einzige Grund, sich zu wundern. Denn nicht die Polizei sucht hier nach Zeuginnen und Zeugen, die am 24. Juni den tragischen Unfall gesehen haben, bei dem der Motorradpolizist Thomas Hohn ums Leben kam. Sondern eine private Detektei in Ulm. Unter einer Handynummer möge man sich dort melden, wenn man Angaben zum Unfallhergang machen kann. Nach Informationen unserer Zeitung sucht die Detektei Zeugen, welche die Frau entlasten können, die den Unfall verursacht haben soll.

»Kein Einfluss auf polizeiliche Ermittlungen«

Der Unfall geschah, als die Motorradstaffel der Polizei den Konvoi des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán zum Flughafen geleitete. Er war bei der Fußball-Europameisterschaft zum Spiel der ungarischen Nationalmannschaft nach Stuttgart gekommen. Eine Autofahrerin, die von der Rubensstraße auf der linken von zwei Abbiegespuren auf die Löffelstraße in Richtung Stadtmitte einbog, erfasste mit ihrem Auto das Motorrad des 61-jährigen Hauptkommissars. Er wurde so schwer verletzt, dass er wenig später starb.

Den Ermittelnden bei der Ludwigsburger Verkehrspolizei, die den Unfall aufklären sollen, ist die Suchanzeige der Detektei bekannt, sagt der Polizeisprecher Steffen Grabenstein. Natürlich sei das rechtlich in Ordnung. »Der Sachverhalt hat keinen Einfluss auf die polizeilichen Ermittlungen«, fügt er hinzu. Diese seien weitestgehend abgeschlossen. Die Ermittlungsakten würden nach Eingang eines noch ausstehenden Gutachtens der Staatsanwaltschaft zur Entscheidung übersandt. Die Ludwigsburger Polizei ist deshalb zuständig, weil ein Beamter des Polizeipräsidiums Stuttgart in den Unfall verwickelt war. Es ist bei der Polizei üblich, dass aus Neutralitätsgründen eine andere Dienststelle übernimmt.

Bis die Staatsanwaltschaft die Akten auf dem Tisch hat und eine Entscheidung treffen kann, werden wohl noch einige Tage ins Land ziehen. Über der zur Unfallzeit 69-jährigen BMW-Fahrerin schwebt das Damoklesschwert einer Anklage wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung und Gefährdung des Straßenverkehrs. Mit Spannung wird auch eine mögliche Antwort des Gutachters über die Frage erwartet, ob die Absperrung wirklich für alle Verkehrsteilnehmer erkennbar war und die Absicherungsmaßnahmen der Polizei ausreichend gewesen sind.

Denn auch hierzu sind nach dem tragischen Unfall Zweifel geäußert worden. Staatsanwältin Stefanie Ruben bestätigt den Eingang einer Strafanzeige wegen des Vorwurfs eines »Organisationsversagens« durch Polizeiverantwortliche. Außerdem scheinen die Ermittler nicht bei allen Zeugen nachgefragt zu haben. Ein Autofahrer, der in der Wartekolonne der Rubensstraße stand und beobachtet hatte, wie die BMW-Fahrerin an ihm vorbei auf der Linksabbiegespur auf die Kreuzung zusteuerte, berichtet auf Nachfrage unserer Zeitung, dass er seit der Unfallaufnahme »nicht mehr befragt worden« sei.

Damals seien zwar seine Personalien aufgenommen worden. Weil er aber am Unfallort gegenüber einem Beamten geäußert habe, dass er keinen absperrenden Polizisten habe erkennen können, »war ich plötzlich nicht mehr interessant«, so der Autofahrer heute. Das erste Polizeimotorrad, das zur Absperrung vorgesehen war, habe die Kreuzung langsam passiert und sei aus seinem Blickfeld verschwunden. »Ich dachte noch, wo ist der jetzt hin?« Seiner Ansicht nach hätte der Beamte sich vor beide Spuren der Rubensstraße stellen müssen. Kurz darauf habe die BMW-Fahrerin auf der Linksabbiegespur den Zeugen überholt. Er selbst habe Sicht nach links auf die B 27 gehabt, wo er den Motorradfahrer aus der Innenstadt kommen sah. Die Frau nicht. Sie sei bei Grün weitergefahren – bis zur Kollision.

»Das habe ich in vielen Jahren nicht gesehen«

Zum Hinweisaufkommen macht die Detektei mit Sitz in Ulm und Stuttgart keine Angaben, auch nicht zu ihrem Auftrag. Ob Hinweise kommen und wie diese verwertet werden, wird sich daher im weiteren Verlauf der Ermittlungen oder – wenn es zu einem Gerichtsverfahren kommt – im Laufe der Beweisaufnahme einer Verhandlung ergeben. Jedenfalls haben sich über das Einschalten nicht nur die Leserinnen und Leser des Degerlocher Blattes gewundert. Auch bei der Polizei war man erstaunt. »Das habe ich jetzt in vielen Jahren so noch nicht gesehen«, sagt ein erfahrener Beamter. Was die Polizei kennt, sind Zettel an Laternenpfosten von Unfallopfern, die hoffen, noch weitere Zeuginnen und Zeugen aktivieren zu können. Aber auch, wenn die Detektei »Zeugenermitlung« in ihrem Portfolio hat: Für die Polizei ist das eine Seltenheit. (GEA)