REUTLINGEN. Ex-Finanzminister Christian Lindner wetterte kürzlich bei seinem Wahlkampfauftritt in Reutlingen, dass es 700 oberste Bundesbehörden gebe, wovon viele überflüssig seien. Als Beispiel für eine Behörde, die man sofort abschaffen könnte, nannte Lindner das Umweltbundesamt. Auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann äußerte kürzlich, dass man bis 2030 etwa 20 Prozent des Personals in Bundesbehörden abbauen wolle. Aber warum gibt es so viele Bundesbehörden? Ein Überblick:
- Wie viele Bundesbehörden gibt es und wie viele Beschäftigte haben sie?
Laut Bundesinnenministerium arbeiten rund 500.000 Menschen in über 900 Bundesbehörden, Bundesministerien, Bundesgerichten und der Bundeswehr. Friedrich Merz sprach im letzten Jahr von 946 Bundesbehörden und 45 Bundes-beauftragten. Insgesamt arbeiten in Deutschland rund 5 Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Davon sind 1,75 Millionen Beamte. Die Anzahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst ist nach der Wiedervereinigung stark gesunken, steigt jedoch seit 2009 wieder an, bedingt durch den Ausbau der Kinderbetreuung und durch den Personalzuwachs im Bereich Bildung und Polizei. Der Anteil der Beamten an den Bundesbeschäftigten sank zwar innerhalb von zehn Jahren von 71,8 auf 71,3 Prozent. Die Beamtenquote ist beim Bund jedoch höher als bei Landesbehörden (53,5 Prozent) und Kommunen (12,0 Prozent).
- Wie sind die Bundesbehörden gegliedert?
Es gibt 31 Oberste Bundesbehörden, darunter Bundesoberbehörden, Bundesmittelbehörden und Bundesunterbehörden. Die meisten Obersten Bundesbehörden haben immer noch zwei Dienstsitze in Bonn und Berlin. Bei den Bundesoberbehörden wurden einige in den letzten Jahren neu geschaffen, etwa 2018 das Fernstraßen-Bundesamt in Leipzig, das 2021 seine Tätigkeit aufnahm.
- Wer hat sich das von Lindner als überflüssig erachtete Umweltbundesamt eigentlich ausgedacht?
Das von Lindner als überflüssig erachtete Umweltbundesamt wurde 1974 auf Forderung des damaligen Innenministers geschaffen – ironischerweise war der Mann die FDP-Ikone Hans-Dietrich Genscher. Ursprünglich war es in Berlin, wurde jedoch 2005 nach Dessau in Sachsen-Anhalt verlegt, wo 2023 ein neues Gebäude eingeweiht wurde. Das Umweltbundesamt ist mit 1.600 Mitarbeitern die größte Umweltbehörde Europas und soll vor allem die wissenschaftliche Unterstützung der Bundesregierung gewährleisten.
- Wie wurde mit Bundesbehörden Standortpolitik gemacht?
Behörden des Bundes wurden bewusst in strukturschwachen Regionen angesiedelt. Neben dem neu geschaffenen Fernstraßen-Bundesamt und dem Umweltbundesamt ist auch das durch seine Verkehrssünderdatei bekannte Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg ein Beispiel dafür. Man kann sich vorstellen, dass es gegen die Auflösung einer Bundesbehörde vor Ort Widerstände geben könnte.
- Was passiert, wenn eine Bundes-behörde aufgelöst wird?
Im Jahr 1994 wurde das Bundesgesundheitsamt wegen eines Skandals mit 600 Toten aufgrund von mit HIV verseuchten Blutpräparaten aufgelöst. Seine Aufgaben wurden auf drei neue Bundesbehörden verteilt. Das in der Corona-Pandemie bekannt gewordene Robert Koch-Institut in Berlin ist eines davon. Außerdem gibt es das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn und das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV), das wiederum 2002 aufgelöst wurde. Die Aufgaben des BgVV übernahmen das Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin und das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit mit Hauptsitz in Braunschweig und einer zusätzlichen Dienststelle in Berlin. Außerdem ging der Institutsteil Jena in das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit auf der Insel Riems bei Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern über – ebenfalls eine selbstständige Bundesoberbehörde.
- Was sagt der Bundesrechnungshof zu den Bundesbehörden?
»Der Bund plant und nutzt seine Bürogebäude weiter nach jahrzehntealten Richtlinien«, heißt es im Jahresbericht 2022. Und weiter: »Sie werden den flexiblen Arbeitsformen nicht mehr gerecht und müssen aktualisiert werden.« Der Rechnungshof empfiehlt: »Der Bund sollte überzählige Büroflächen abgeben und Neubauten auf ein Mindestmaß be-schränken.« Der Bundesrechnungshof schätzt, dass zivile Bundesbehörden an Kaltmiete jährlich mindestens 300 Millionen Euro einsparen können, wenn sie 20 Prozent der Büroflächen aufgeben. Bereits vor Ausbruch der Corona-Epidemie stellte eine Bundesbehörde fest, dass bei ihr in der Regel nur 40 bis 70 Prozent der Arbeitsplätze belegt sind. Das mag auch daran liegen, dass viele Bundesbehörden mehrere Dienstsitze haben.
- Wie sieht es in Baden-Württemberg auf Landesebene aus?
In Baden-Württemberg gibt es fünf Verwaltungsebenen: Gemeinden, Landkreise, Regionalverbände, Regierungspräsidien und das Land mit den Landesoberbehörden. CDU-Landesvorsitzender Manuel Hagel sagte kürzlich, das seien zu viele Ebenen, da dadurch im Durchschnitt jeder dritte Verwaltungsvorgang mindestens zweimal bearbeitet werde. (GEA)