BERLIN. Die Europäische Union will durch ein Abkommen mit dem Libanon erreichen, dass sich künftig weniger Flüchtlinge per Boot auf den Weg übers Mittelmeer machen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte dem Land bei ihrem Besuch in Beirut Finanzhilfen von bis zu einer Milliarde Euro bis 2027 zu. Mit dem Geld soll der Libanon beim Kampf gegen Schleuserbanden, aber auch bei Wirtschafts- und Finanzreformen unterstützt werden. »Dabei geht es vor allem um die Bereitstellung von Ausrüstung und Ausbildung für die Grenzverwaltung«, so von der Leyen. Gleichzeitig solle die legale Migration erleichtert werden. Mit ihr war Zyperns Präsident Nikos Christodoulidis zur Vertragsunterzeichnung in den Libanon gekommen. Denn auf der Inselrepublik Zypern steigt seit Monaten die Zahl der Flüchtlinge, die mit Booten aus dem Libanon ankommen. Wurden im ersten Quartal 2023 lediglich 78 Ankünfte gezählt, waren es in diesem Jahr bereits 4.000. Zypern hat im Verhältnis zu seiner Einwohnerzahl (1,25 Millionen) europaweit bereits die meisten Flüchtlinge aufgenommen, die Lager sind überfüllt.
Rund 160 Kilometer übers Meer liegen zwischen Zypern und dem politisch chronisch instabilen und wirtschaftlich strauchelnden Libanon. Das 5,5-Millionen-Einwohner-Land hat bis zu zwei Millionen Flüchtlinge aus dem benachbarten, vom Bürgerkrieg erschütterten Syrien aufgenommen. Doch der Libanon ist selbst seit vielen Jahrzehnten ein Krisenstaat. Mit dem Geld aus Brüssel soll der Druck auf die libanesische Regierung gemildert werden. Nadschib Mikati, der libanesische Ministerpräsident, stellte allerdings klar, dass sein Land nicht dauerhaft Heimat für geflüchtete Syrer werden wolle. Seine Regierung vertritt die Meinung, dass die Lage in Teilen Syriens inzwischen eine Rückkehr Vertriebener erlaube. Das Abkommen mit dem Libanon erinnert an den »Deal«, den die EU 2016 mit der Türkei geschlossen hatte. Europa sicherte der Türkei dabei Finanzhilfen von sechs Milliarden Euro und eine Vertiefung der gegenseitigen Beziehungen zu. Im Gegenzug verpflichtete sich die Türkei, Fluchtrouten über das Mittelmeer abzuriegeln und aus der Türkei nach Griechenland geflohene Flüchtlinge zurückzunehmen. Das Geld aus Europa sollte auch für deren Versorgung genutzt werden. In der Türkei mit ihren 85 Millionen Einwohnern leben rund vier Millionen Syrer. Die Wirksamkeit des Vertrags ist umstritten. Zwar sank die Zahl der Geflüchteten, die in Griechenland ankamen, von mehr als 850.000 im Jahr 2015 stark auf knapp 42.000 im vergangenen Jahr. Doch Experten gehen davon aus, dass viele Flüchtlinge schlichtweg auf andere Routen ausgewichen sind.
Der EU-Rechnungshof bezeichnete die Milliardenhilfen für die Türkei als »nicht nachhaltig«, viele der geplanten Projekte seien deutlich langsamer vorangekommen, als geplant. Kritiker warnen zudem, Europa habe sich mit dem Handel erpressbar gemacht. Um Druck auf die EU zu erzeugen, setzte die Türkei die Grenzkontrollen zeitweise aus, Griechenland reagierte mit illegalen Zurückweisungen (»Pushbacks«).
Die Europäische Union hält derartige Abkommen dennoch für einen unverzichtbaren Bestandteil ihrer Asylpolitik. Im kürzlich beschlossenen Reformpaket sind Prüfungen von Asylanträgen direkt an den EU-Außengrenzen vorgesehen. Abgelehnte Bewerber sollen dann rasch zurückgeführt werden. Dazu aber müssen die Herkunfts- und Transitländer der Migranten kooperieren. So setzt die EU auf ein möglichst lückenloses Netz von Partnern in Nahost und Afrika. Ähnliche Verträge wie nun mit dem Libanon hatte die EU zuletzt mit Mauretanien, Tunesien und Ägypten geschlossen. (GEA)