BERLIN. Wenn es nicht vorher schon anderweitig durchsickert, dann wird die Öffentlichkeit am Mittwochvormittag erfahren, ob nach CDU und CSU auch die SPD dem Koalitionsvertrag zustimmt. SPD-Generalsekretär Matthias Miersch will im Willy-Brandt-Haus das Ergebnis des Mitgliedervotums bekanntgeben, eine Mehrheit gilt als sicher. Die spannenden Fragen werden erst danach beantwortet: Welche Politikerinnen und Politiker besetzen in Zukunft die sieben Ministerien, die den Sozialdemokraten zustehen? Wer wird neuer Fraktionschef? Und was wird aus der Co-Vorsitzenden Saskia Esken? Die Fragen sind alle miteinander verknüpft, Antworten will die Partei erst Anfang kommender Woche geben.
Es sind wie so oft in den letzten Tagen nur Spekulationen darüber möglich, wen die Partei ins Kabinett entsendet. Partei- und Fraktionschef Lars Klingbeil soll Vizekanzler und Finanzminister werden. Verteidigungsminister Boris Pistorius dürfte im Amt bleiben. Das scheint einigermaßen gesichert. Danach wird es schon kompliziert.
Neben den Schlüsselressorts Finanzen und Verteidigung haben die Sozialdemokraten in den Koalitionsverhandlungen das wichtige Arbeitsministerium für sich herausschlagen können. CDU-Chef Friedrich Merz, so ist aus Unionskreisen zu hören, wollte unbedingt sein vor der Wahl angekündigte Digitalministerium durchbekommen. Die SPD setzte ein Preisschild drauf, und darauf stehen nicht nur die sieben Ministerien. Sie bekam vor allem Ressorts ab, die maßgeblich Einfluss auf die Außendarstellung der neuen Regierung haben werden.
Zu viel Niedersachsen
Das Arbeitsministerium wäre, da sind sich viele Sozialdemokraten einig, beim Amtsinhaber Hubertus Heil weiterhin in guten Händen. Er wäre damit neben Pistorius und Klingbeil aber der dritte Niedersachse im Kabinett – das dürfte den Protest anderer Landesverbände provozieren. Statt Heil könnte es dessen Parteifreundin Bärbel Bas machen. Die ehemalige Bundestagspräsidentin wiederum wäre in den Augen vieler Abgeordneter eine ausgezeichnete Fraktionsvorsitzende. Ein Posten, den Lars Klingbeil innehat. Auf den er aber wohl verzichten würde, wenn er Minister wird.
Die Genossen spannen die Wählerinnen und Wähler zunächst auf die Folter. Erst Montagmittag ist die Öffentlichkeit schlauer. Die SPD will dann ihre Ministerriege vorstellen, und es wird spätestens dann klar sein, was aus Saskia Esken wird. Von einer »tragischen Figur« sprechen die einen mit Blick auf die gebürtige Stuttgarterin. »Zum Abschuss freigegeben«, das fällt anderen ein, wenn über die 63-Jährige gesprochen wird. Beides hängt eng zusammen, wie der vergangene Montagabend zeigte.
Der Landesvorstand der baden-württembergischen SPD tagte, um die Kandidatinnen und Kandidaten für den Bundesvorstand zu nominieren. Der wird auf dem im Juni anstehenden Parteitag gewählt, und die Parteivorsitzende Esken steht nicht auf der BaWü-Liste. Die Böswilligen interpretieren das als Abstrafung. Die Wohlmeinenden hingegen erklären, dass Amtsinhaber beziehungsweise Amtsinhaberinnen nicht von ihrem Landesverband, sondern von der Bundes-SPD vorgeschlagen werden. Was die scharfen Kritiker wiederum zu der Anmerkung veranlasst, dass die seit 2019 amtierende Esken im Jahr 2023 sehr wohl von ihrem eigenen Landesverband nominiert worden sei. Esken habe in diesem Jahr keine eigene Kandidatur vorgelegt, eine Vorentscheidung sei also nicht getroffen worden, heißt es dann wieder von den anderen.
Binders Blutgrätsche gegen Esken
Sascha Binder, Generalsekretär des SPD-Landesverbandes Baden-Württemberg, hatte kürzlich in einem Interview gesagt, dass er Esken nicht als eine der vier besten SPD-Frauen für ein Ministeramt sehe. Die ehemalige SPD-Landesvorsitzende Leni Breymaier warf Binder daraufhin Sexismus vor. »Wenn ein paar Männer ihr Mütchen kühlen wollen und vielleicht noch andere mit Posten versorgen möchten, haben sie das nicht an Saskia Esken auszulassen«, griff sie Binder in der Bild-Zeitung an.
Auch wenn Binders öffentlich geäußerte Formulierung manchen im Landesverband als zu hart aufstößt, geben viele Genossen Binder doch in der Sache recht. Sie verweisen auf die niedrigen persönlichen Umfragewerte von Esken, einige unglückliche TV-Auftritte und die niedrigen SPD-Ergebnisse im konservativen Wahlkreis Calw. Auch aus dem linken Flügel der SPD, den Esken repräsentiert und mit dessen Unterstützung sie sich einst gegen Olaf Scholz als Parteivorsitzende durchsetzte, habe niemand für das einstige Aushängeschild der Parteilinken gekämpft, heißt es.
Parteilinke lassen Esken fallen
Auffällig ist, dass der Landesverband aus dem Südwesten seit 2002 mit Walter Riester und Hertha Däubler-Gmelin keinen Bundesminister mehr gestellt hat. Obwohl Esken womöglich die Kandidatin aus dem Südwesten mit der besten Chance auf ein Ministeramt sei, habe sie in ihrem Landesverband keine Hausmacht mehr, heißt es aus SPD-Kreisen. Die Vorsitzende werde an den Wahlkampfständen auch mit Hinblick auf die kommende Landtagswahl in Baden-Württemberg eher als Belastung denn als Zugpferd wahrgenommen. Lieber gar keine Ministerin aus dem Südwesten als Saskia Esken, sei die Stimmungslage vieler Genossen, so heißt es aus SPD-Kreisen im Südwesten.
Wenn Esken nicht mehr Parteivorsitzende sein soll, dann müsste sie eine andere Aufgabe zugeteilt bekommen. Sie selbst, heißt es in Parteikreisen, denkt nicht an Rückzug, und das Lager ihrer Unterstützerinnen ist groß. Könnte sie Ministerin werden, wäre Esken womöglich zum Verzicht auf den Co-Parteivorsitz bereit. Und so taucht sie dann in der Spekulationsliste als mögliche neue Entwicklungsministerin auf – was allerdings als Affront gegen Amtsinhaberin Svenja Schulze (SPD) aufgefasst werden könnte. Wer ganz tief in die Glaskugel blickt, findet dort gar den Gedanken, dass Esken für den Posten der Wehrbeauftragten in Frage kommen könnte. Die Amtszeit von Eva Högl läuft im Mai aus. Ob sie weitermachen kann, darüber haben CDU, CSU und SPD nach Angaben aus Unionskreisen noch kein Einvernehmen erzielt.
Einen spruchreifen Fortschritt hat die SPD immerhin schon erzielt. Für die Annahme Koalitionsvertrags ist nicht nur eine Mehrheit der Stimmen, sondern auch eine Teilnahme von mindestens 20 Prozent der Mitglieder erforderlich. Dieses Quorum, erklärte Generalsekretär Matthias Miersch, sei bereits erreicht. (GEA)