Das Mut machende Gemeinschaftsgefühl, das er in den Tagen nach den Anschlägen auf den Straßen der Stadt gespürt hat, hätte Hartmaier allerdings zu gerne bewahrt gesehen: »Ich wünschte mir, die New Yorker hätten sich mit ihrer Friedfertigkeit mehr durchsetzen können gegenüber Herrn Bush.«
Zum »Big Apple« hat der Schwabe eine Verbindung voll starker Gefühle. Die Geschichte, wie er den 11. September 2001 dort verbrachte, beginnt noch immer mit einem Espresso im »Büro für Gestaltung Hartmaier und Mangold« in Kirchentellinsfurt. »Den besten Espresso außerhalb Italiens« hat ihn der New Yorker Fotograf Tony Vaccaro genannt, der durch Zufall in diesen Genuss gekommen ist. Ein Zufall, aus dem Freundschaft entstand und die Idee einer Fotoausstellung - über Frank Lloyd Wright, den Architekten des Guggenheim-Museums, den Vaccaro Jahrzehnte zuvor porträtiert hatte. Im Spätsommer 2001 fliegt Hartmaier zu Vaccaro nach New York, um gemeinsam Bilder auszuwählen. Auch das World Trade Center ist Thema ihrer Gespräche: Tony Vaccaro kannte auch dessen Architekten Minoru Yamasaki persönlich und hat die Zwillingstürme jahrelang mit der Kamera begleitet.
Die spitzbogenförmige Außenverkleidung, so erzählt Vaccaro seinem Gast, sei auf Anregung von Yamasakis Tochter entstanden, die damals in Florenz studierte und von den vielen Bögen dort beeindruckt war. Dass genau diese Stahlstreben, aufragend aus dem qualmenden Trümmerhaufen, drei Tage später zum Symbol der Apokalypse werden würden, lag jenseits aller Vorstellungskraft.
Am 8. September steht Hartmaier selbst auf der Aussichtsplattform des Südturms. Noch heute klebt der hellblaue Streifen mit dem Aufdruck "Top of the World" und der Uhrzeit "18:55" im Fotoalbum. Es ist ein Zufall, dass es dieser Abend wird und nicht der Morgen drei Tage später.
"9/11" erleben die beiden Freunde am Long Island Pier, blicken vom östlichen Stadtteil Queens über den East River auf das Inferno an der Südspitze Manhattans. Als einen der stärksten Sinneseindrücke schildert Stefan Hartmaier ein Jahr später den Lärm beim Zusammenbrechen der Türme: "ein völlig fieses Geräusch - ein Knirschen und Rumpeln in einem, splitterndes Glas, ein unglaubliches Bersten". Ein Geräusch, dessen Gewaltigkeit kaum in Worte zu fassen ist.
Zehn Jahre nach dem Erlebnis sind es vor allem die Bilder, die Hartmaiers Kopf nicht loslassen. Das Gefühl kommt plötzlich, etwa morgens beim Joggen, wenn er den Flieger am Himmel entdeckt. Ein Zucken im Unterbewussten, bevor das Denken einsetzt und die Situation entschärft. "Im Fernsehen kann ich heute noch nicht richtig hinschauen." (GEA)