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Doch noch ein Star

Wie SPD-Chef Lars Klingbeil aus der schrecklichen Wahlniederlage als Sieger hervorgeht

Lars Klingbeil, SPD-Fraktions- und Bundesvorsitzender, ist der neue starke Mann der Sozialdemokraten.  FOTO: KOALL/DPA
Lars Klingbeil, SPD-Fraktions- und Bundesvorsitzender, ist der neue starke Mann der Sozialdemokraten. FOTO: KOALL/DPA
Lars Klingbeil, SPD-Fraktions- und Bundesvorsitzender, ist der neue starke Mann der Sozialdemokraten. FOTO: KOALL/DPA

BERLIN. Erstaunlich wenig weiß man über den neuen starken Mann der SPD. Die Partei liegt am Boden, aber Lars Klingbeil ist oben auf. Vorsitzender, Fraktionschef und bald Vizekanzler in einem Regierungsbündnis mit der Union. Sind da nicht 16,4 Prozent bei der Wahl zu verantworten? Das schlechteste Ergebnis der Genossen seit 1890.

Am Wahlsonntag hat Klingbeil das Sagen bei den Sozialdemokraten übernommen. Es war eine leise Übernahme der Macht, von der sich Olaf Scholz im Getöse nach der krachenden Niederlage verabschieden musste. »Ich sage hier mit absoluter Klarheit, der Generationswechsel in der SPD muss eingeleitet werden«, erklärte Klingbeil an diesem Abend, als die Monitore für die SPD dramatische Werte anzeigten.

Zufällig fiel die Wahl mit seinem Geburtstag zusammen. Er wurde 47 Jahre alt. Es gab nichts zu feiern, da beschenkte sich Klingbeil eben selbst. Mit 47 Jahren zählt man in der hohen Luft der Spitzenpolitik noch zu den Jungen. Neu und unverbraucht ist nichts an Klingbeil, er sitzt seit 2005 im Bundestag. Er hat von einem Profi gelernt, arbeitete als Juso im Büro von Gerhard Schröder. Wie einst Schröder fing er unten links in der Partei an und wurde mit den Jahren und dem Weg nach oben immer bürgerlicher.

»Ich wollte ja Rockstar werden, aber irgendwie wollte das kein anderer«

Doch von der Persönlichkeit her ist Klingbeil ganz anders. Während Schröder auf die Pauke haute, das eigene Ich stets groß und größer schrieb, nimmt sich sein einstiger Schüler zurück, dreht die Lautstärke meistens runter und nur selten hoch. Klingbeil misst knapp zwei Meter, aber wenn er einen Raum betritt, nimmt diesen nicht sofort für sich ein. Für was steht er? Und warum ist das 20 Jahren im Betrieb noch immer eine Unbekannte?

Anfang des Jahres lässt sich der SPD-Chef ein wenig hinter die Fassade schauen. Er ist ins Fernsehen gegangen zu Ulknudel Ina Müller, die ihre Gäste in einer Hamburger Kneipe empfängt. Bei Bier und Schnaps wird geschnackt und ein paar Witze gerissen. Zum Aufwärmen spielt Klingbeil auf der E-Gitarre ein Stück von Nirvana. 14 Jahre hat er in einer Punkband gespielt, die durch den Norden Deutschlands tingelte. Der erste Name der Gruppe: Pflaumenmus. »Du hättest ja auch Rockstar werden können«, sagt Müller. »Ich wollte das ja auch, aber irgendwie wollte das kein anderer. Dann dachte ich, gehe ich in die Politik«, antwortet Klingbeil. Ein paar Jahre versucht er beides – Musik und Politik. 40 Zigaretten zieht er damals pro Tag durch. Heute spielt er nur noch ab und zu. Der Musiker Thees Uhlmann ist ein guter Freund: Eine Gitarre steht im Büro im Willy-Brandt-Haus, aber als Vorsitzender hat man keine Zeit.

Klingbeil ist ein Kind der Provinz. Er kommt aus Munster, einer Kleinstadt in der Lüneburger Heide. Munster nicht Münster. »Das ist einer der häufigsten Sätze meines Lebens«, sagt er zu Ina Müller. Munster kennt man allerhöchstens, weil die Bundeswehr dort einen großen Truppenübungsplatz hat. Klingbeils Vater war Soldat, Unteroffizier. Sein politisches Erweckungserlebnis: Die erste Liebe. Der Vater seiner Freundin wollte nicht, dass sie mit ihm zusammen ist, weil die Tochter eines Offiziers nicht mit dem Sohn eines Unteroffiziers geht. Deshalb SPD, die Partei der kleinen Leute, wie es so schön heißt. Vielleicht lag es aber auch an den langen Haaren und der Musik, dass er nicht als Schwiegervaters Traum galt.

Nach dem Abi verweigert er sich dem Bund, macht stattdessen Zivi. Die Jungs aus seinem Jahrgang rücken beinahe geschlossen in die Kasernen ein, am Wochenende fiebern sie mit dem HSV aus Hamburg. Der Zivi Klingbeil hält zu Bayern München. Mittlerweile sitzt er im Verwaltungsbeirat des Klubs und schaut manchmal in der Loge Heimspiele mit Uli Hoeneß. Gemeinsam mit dem Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter bildet er ein sozialdemokratisches Gegengewicht zur sehr CSU-nahen Bayern-Führung. Zusammen kommen sie im Verwaltungsrat auf einen Stimmenanteil von 18 Prozent, was erstaunlich nah an den 16,4 Prozent der Bundestagswahl liegt.

Wenn der SPD-Chef dort ähnlich erfolgreich ist, wie in den laufenden Koalitionsverhandlungen, dann würde das der Unions-Dominanz einen Hieb verpassen. Noch bevor die Verhandlungen anfingen, hat er in den Vorgesprächen dem designierten Kanzler Friedrich Merz das 500 Milliarden Euro schwere Schuldenpaket für Straßen, Schienen und Schulen abverhandelt. Merz steht seitdem als Politiker da, der sein Wahlversprechen stabiler Finanzen schneller verkauft als Uli Hoeneß unliebsame Spieler. Die AfD rückt der Union in den Umfragen gefährlich nahe.

Die vom CDU-Chef während des Wahlkampfs ins Schaufenster gestellten Steuerentlastungen für Gutverdiener und Unternehmen droht am Widerstand der SPD zu scheitern. Als sichere Wette gilt in der Hauptstadt, dass sich Klingbeil als Minister das Finanzministerium sichern und dann auch Vizekanzler wird. Der Finanzminister hat nach dem Kanzler den mächtigsten Posten im Kabinett inne. Welcher Finanzminister verzichtet schon gerne auf Einnahmen von Leuten, die aus seiner Sicht ohnehin genug haben?

Leitartikler gemahnen Klingbeil von Zeit zu Zeit daran, auf das Wahlergebnis zu schauen und nicht zu überziehen. Schließlich haben CDU/CSU bei der Wahl beinahe doppelt so viele Stimmen wie die Genossen geholt. Doch das ist keine Logik von Koalitionsverhandlungen. Die Ge-nossen sind der einzige Partner für die Konservativen, ohne sie wird Merz nicht Kanzler, wenn er die AfD draußenhalten will. Ergo kann Klingbeil weit über seinem Gewicht boxen. In dem zähen Hin und Her mit Merz, Söder, Dobrindt und Doro Bär kann er das Debakel der Wahl noch in einen halben Sieg umbiegen.

In der SPD jedenfalls gibt es derzeit keine Gelüste nach dem großen Reinemachen an der Spitze. Den angekündigten Generationenwechsel hat Klingbeil angestoßen. Die 38-jährige Josephine Ortleb aus dem Saarland schlug er zur Überraschung aller für das Amt der stellvertretenden Bundestagspräsidentin vor. Die Abgeordnete aus dem Saarland erhielt bei der Wahl ein starkes Ergebnis. In Anlehnung an die erfolgreiche US-Politikserie House of Cards sprechen sie von der SPD-Zentrale vom House of Lars. (GEA)