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Aktuell Führungsstil

Die Rückkehr der starken Männer

Entscheider, Macher, Brutalos: In der Politik wie im Alltag geben harte Kerle wieder den Ton an. Feiert das Patriarchat sein Comeback?

Kämpfer: US-Präsident Donald Trump nach einem versuchten Attentat. Mit blutverschmiertem Gesicht und geballter Faust ruft er sei
Kämpfer: US-Präsident Donald Trump nach einem versuchten Attentat. Mit blutverschmiertem Gesicht und geballter Faust ruft er seine Anhänger zur Gegenwehr auf. FOTO: VUCCI/DPA
Kämpfer: US-Präsident Donald Trump nach einem versuchten Attentat. Mit blutverschmiertem Gesicht und geballter Faust ruft er seine Anhänger zur Gegenwehr auf. FOTO: VUCCI/DPA

WASHINGTON/MOSKAU/FREIBURG. Wo kommen die plötzlich alle her? Die dunklen Jahrhunderte, wo Kraftprotze mit Hauruck-Politik die Welt drangsalierten, waren doch überwunden. Der Krieg aller gegen alle war der Zivilisation gewichen. Das goldene Zeitalter von Frieden, Kooperation und Handel war angebrochen. So glaubte man. Und jetzt das: Überall tauchen starke Männer auf. Die Donald Trumps, Wladimir Putins und Xi Jinpings, die Viktor Orbans, Recep Tayyip Erdogans und Javier Mileis drängen an die Macht. Sie pöbeln und prügeln. Protzen mit Geld, Muskeln, Potenz. Setzen sich durch und stellen andere kalt. Die Machos sind zurück, in der Politik wie im Alltag. Kündigt sich gerade eine Zeitenwende an? Feiert das Patriarchat sein Comeback? Und warum gerade jetzt?

Ein Haufen Fragen, auf die Ulrich Bröckling Antworten hat. Der Professor für Kultursoziologie von der Universität Freiburg beobachtet das Phänomen schon länger. Vor zwei Jahren hat er dazu einen Beitrag in der sozialwissenschaftlichen Fachzeitschrift »Mittelweg 36« veröffentlicht. Was die Trumps und Putins – über alle Unterschiede der Herrschaftsformen hinweg – seiner Auffassung nach verbindet, ist ihr »Politikstil«.

»Trump willkeine Problemelösen. Er willChaos stiften«

Die Welt der starken Männer ist einfach, sagt Bröckling. Für sie gibt es nur schwarz und weiß, gut und böse, wir gegen die. Wobei »die« je nach Bedarf die ausländischen Mächte, das politische Establishment, die Flüchtlinge oder sonst wer sein können. Putin kämpft angeblich gegen militante Nazis, die die Ukraine unterwandern, Trump gegen woke Demokraten, die Amerika verweichlichen, die AfD gegen invasive Migranten, die das deutsche Sozialsystem plündern. Das Ergebnis ist laut Bröckling immer dasselbe: »Die starken Männer zeichnen das Bild einer Welt voller Feinde, in der nur derjenige eine Chance hat, der rücksichtslos seine Interessen verfolgt.«

Es ist nicht so, dass es keine Probleme gibt. Im Gegenteil. Das räumt Bröckling ein und zählt Beispiele auf: Terroranschlag auf die Twin Towers in 2001, Finanz- und Wirtschaftskrise in 2008/2009, Flüchtlingskrise in 2015/2016, Corona-Pandemie von 2020 bis 2023, Ukraine-Krieg seit 2022 und ständig Klimaerwärmung. Bröckling spricht von einer »Polykrise, in der vielfältige Bedrohungen sich wechselseitig verstärken und kein Ende absehbar ist«. Das sorgt für kollektive Depression: Die Menschen reagieren mit »Überforderung und Erschöpfung, Kontrollverlust und Ohnmacht«. Nicht zu Unrecht, denn die Gefahren sind real.

Die starken Männer gehen aber noch weiter: »Sie verschärfen und verstetigen vorhandene Krisen«, erklärt Bröckling, »und sie sorgen für neue Krisen«. Kaum wieder im Amt, schon legte Trump los: Er ordnete Amerikas Austritt aus der Weltgesundheitsorganisation und dem Pariser Klimaabkommen an, hob das Recht auf Staatsbürgerschaft durch Geburt auf, begnadigte 1.500 verurteilte Kapitolstürmer und stoppte die Ukraine-Militärhilfe. Außerdem wollte er Kanada als 51. US-Bundesstaat annektieren, Grönland kaufen, den Panamakanal notfalls mit Militärgewalt zurückerobern und Millionen Palästinenser aus dem Gazastreifen umsiedeln. Was für ein Spektakel!

Die Weltöffentlichkeit schaut staunend zu und fragt sich verwundert: Ist das ernst oder Bluff? Bröckling winkt ab: »Trump will keine Probleme lösen, er will Chaos stiften.« Er hat die Methode der Reizüberflutung seines Ex-Beraters Steve Bannon perfektioniert: »Überschwemm die Welt mit Scheiße.« Wenn die alte Ordnung in Trümmern liegt, dann erschafft Trump die neue Ordnung.

Befreiungsschlag, Revolution, Disruption: Das Mantra beschwören alle starken Männer. Denn sie profitieren davon. »Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch«, wird der deutsche Dichter Friedrich Hölderlin gern zitiert. Keine Krisen ohne Helden, keine Helden ohne Krisen. Krisengerede ist Kraftfutter für Muskelprotze. In der Not präsentieren sie sich als Erlöser. »Auf komplizierte Fragen geben sie einfache Antworten«, sagt Bröckling. Das ist das allergrößte Versprechen überhaupt: Durchblick, Tatkraft und Wirkmacht in einer komplexen Welt.

Doch wen überzeugt das? Glauben die Amerikaner, dass Desinfektionsmittel gegen Corona hilft? Dass die Mauer zu Mexiko die Migranten zurückhält? Dass die Jobs in der Autoindustrie wiederkommen? Nicht wirklich, meint Bröckling. Aber darauf kommt es nicht an. »Der amerikanische Traum ist zerbrochen«, erklärt der Kultursoziologe. Viele schieben Frust und suchen ein Ventil. Wenn sich schon nichts mehr retten lässt, dann will man wenigstens etwas kaputtmachen. »Starke Männer überzeugen nicht rational«, betont Bröckling. »Sie binden ihre Anhänger emotional.« Affektpolitik, Lust an der Zerstörung, geballte Faust und Kettensäge: Auf dieser Klaviatur spielen die Trumps und Mileis. Sie schüren Ressentiments, entfesseln Aggressionen, präsentieren Sündenböcke. Sie rufen den Ausnahmezustand aus und erteilen die Lizenz zum Regelbruch: Die Anhänger dürfen sich genauso rüpelhaft benehmen wie der Anführer.

Starke Männer demonstrieren Macht, Autorität, Souveränität. Sie nehmen ordenbehängt Militärparaden ab und zelebrieren messiasgleich Massenversammlungen. Die Inszenierung wirkt: Die Anhänger folgen dem Anführer, partizipieren an seiner Großartigkeit, sonnen sich in seinem Glanz. Mit der MAGA-Kappe auf dem Kopf fühlt sich der Underdog als Teil einer historischen Mission.

»Die starken Männer spielen im selben Klub.Sie respektieren sich, auch wenn sie konkurrieren«

Starke Männer verkörpern Kraft, auch physisch: mit nacktem Oberkörper hoch zu Ross wie Putin oder mit geballter Faust nach dem versuchten Attentat wie Trump. Der US-Präsident steht auf Mixed Martial Arts: eine Kampftechnik, wo sich Männer in Käfigen prügeln. Fast alles ist erlaubt: Schlagen, treten, würgen. Ein brutaler Sport. Kämpferisch, gewaltbereit, übergriffig stellt Trump auch seine sexuelle Potenz zur Schau. Die Prahlereien, Anzüglichkeiten und Abwertungen gegenüber Frauen sind Ausdruck einer aggressiven Virilität, die sich nimmt, worauf sie ein Recht zu haben glaubt.

Vorpreschen, Grenzen überschreiten, fremdes Terrain erobern: Das praktizieren Trump und Co. auch militärisch. Nicht von ungefähr reklamiert der US-Präsident Kanada, Grönland und den Panamakanal. Sein neuer Best Buddy, Tesla-Gründer Elon Musk, will sogar den Mars kolonialisieren. In der zweiten Antrittsrede verkündete Trump: »Die Vereinigten Staaten werden sich wieder als eine wachsende Nation verstehen – eine Nation, die unseren Wohlstand vermehrt, unser Territorium ausdehnt und unsere Flagge an neue Horizonte trägt.« Imperialistische Großmachtsphantasien hegen auch Russland mit dem Überfall auf die Ukraine und China mit dem Anspruch auf Taiwan.

»Die starken Männer spielen im selben Klub«, erklärt Bröckling. »Sie sind Alphatiere, die sich respektieren, auch wenn sie konkurrieren.« Schlimmstenfalls teilen sie die Welt unter sich auf. Trumps Verhandlung mit Putin über Frieden unter Ausschluss von Ukraine und Europa gibt einen Vorgeschmack auf die anvisierte Weltordnung.

Macht und Autorität der starken Männer nötigen den Anhängern Bewunderung und Verehrung ab. Aber das ist nur die eine Seite. Die neuen Machos gebärden sich nicht nur als souveräne Herrscher, sondern auch als geächtete Außenseiter. Sie rebellieren gegen das »Establishment«: Trump gegen die Demokraten, die ihm angeblich die Wahl gestohlen haben; Putin gegen die Nato, die mit der Ost-Erweiterung angeblich in seine Einflusszone einfällt.

Trump gibt sich vulgär, trägt Baseball-Kappe, isst Burger. Zeigt Verachtung für alles, was dem vermeintlich gesunden Menschenverstand zuwiderläuft wie Diversität, Homosexualität oder Klimaschutz. Pöbelt vor laufenden Kameras gegen Staatsgäste, zuletzt den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. »Als Opportunisten des Hasses folgen die starken Männer geschmeidig den Stimmungen des Publikums«, behauptet Bröckling. Sie inszenieren sich als Volkstribune, die »den kleinen Mann« rächen und es »denen da oben« mal so richtig zeigen. Sie sind zugleich schwach und stark, Normalmensch und Big Boss, nahbar und unerreichbar. »Das Paradox des Großen-kleinen-Mannes erzeugt große affektive Bindungskraft«, sagt Bröckling.

Auch in Deutschland ist das gesellschaftliche Klima umgeschlagen. Vielleicht ist das Olaf Scholz zum Verhängnis geworden. Beim SPD-Kanzler wurde ständig Führung bestellt, geliefert hat er selten. Mit der Faust auf den Tisch schlagen: Das war nicht seine Sache. Er war mehr Mannschaft als Kapitän. Jetzt ist der kleine Hanseat Geschichte. Verdrängt vom zwei Meter großen Sauerländer Friedrich Merz. Der CDU-Chef stimmte zuletzt mit der AfD für schärfere Asylregeln. Für den Migrations-Treffer riskierte er das Demokratie-Foul. Die neue Härte kommt an beim Wähler. Merz gewann die Bundestagswahl im Februar souverän.

Das Image des starken Mannes hat oft einen Rechtsdrall. Das macht sich auch die AfD zunutze. Ihr Spitzenkandidat bei der letzten Europawahl, Maximilian Krah, posaunte in einem TikTok-Video: »Echte Männer sind rechts. Dann klappt’s auch mit der Freundin.« Solche Macho-Sprüche verfangen gerade bei Jungs. Die aktuelle Shell Jugendstudie kommt zum Schluss: Bei den unter 25-Jährigen verortet sich inzwischen jeder vierte Mann rechts oder eher rechts, 2019 war es noch nicht einmal jeder fünfte. Bei den Frauen ist es jede zehnte, der Wert blieb über die Jahre unverändert. Der Testosteron-Schub zeigt sich auch im Privaten: Männer schätzen »traditionelle« Werte wie Männlichkeit (67 % zu 20 %), Wettbewerb (44 % zu 36 %) und Macht (43 % zu 32 %). Frauen setzen auf »progressive« Werte wie Feminismus (59 % zu 20 %), gesellschaftliche Vielfalt (72 % zu 56 %) und vegane Ernährung (21 % zu 7 %).

Bleibt die Frage, ob starke Männer immer Männer sind. Giorgia Meloni, Marine Le Pen und Alice Weidel machen Anleihen bei viriler Selbstinszenierung und zeigen: Dominante Männlichkeit als politischer Führungsstil hat kein Geschlecht. (GEA)