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Die Powerfrau des Nordens tritt ab

Schottlands Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon kündigt überraschend ihren Rücktritt an

Nicola Sturgeon kündigt ihren Rücktritt während einer Pressekonferenz im Bute House an.  FOTO: BARLOW/DPA
Nicola Sturgeon kündigt ihren Rücktritt während einer Pressekonferenz im Bute House an. FOTO: BARLOW/DPA
Nicola Sturgeon kündigt ihren Rücktritt während einer Pressekonferenz im Bute House an. FOTO: BARLOW/DPA

LONDON. Selbst für engste Parteikollegen kam es unerwartet. Am Mittwochmorgen machte in Edinburgh die Nachricht die Runde, dass Nicola Sturgeon, die Vorsitzende der Scottish National Party (SNP) und Ministerpräsidentin des Landes, ihren Rücktritt erklären will. Warum will, so wurde gerätselt, die erfolgreichste Politikerin in Schottland auf einmal ihren Abschied nehmen? Auf einer eilig angesetzten Pressekonferenz im Regierungssitz Bute House erläuterte Sturgeon am Mittag die Gründe für ihre überraschende Entscheidung, sich nach acht Jahren an der Spitze der schottischen Regionalregierung zurückziehen zu wollen.

Der Grund für ihren Rücktritt seien nicht »kurzfristige Probleme«, sagte die 53-Jährige, wie zum Beispiel etwa eine anhängige polizeiliche Untersuchung in die Finanzierung der SNP. Stattdessen habe sie sich schon seit einigen Wochen gefragt, ob sie noch in der Lage sei, ihrem Amt die Hingabe zu geben, die es verlangt. »Ich könnte noch ein paar Monate oder ein Jahr weitermachen«, sagte Sturgeon, »aber ich weiß, dass ich weniger und weniger Energie hätte, um den Job zu machen. Ich bin es dem Land schuldig, es jetzt zu sagen.« Als ihre neuseeländische Amtskollegin Jacinda Ardern vor drei Wochen ihren Rücktritt damit erklärte, dass »der Tank leer sei«, hatte Sturgeon noch behauptet »viel im Tank« zu haben. Das hat sich seitdem wohl geändert. Sie werde im Amt bleiben bis ihre Partei einen oder eine neue Vorsitzende gefunden habe, sagte Sturgeon. Auch ihren Sitz im Regionalparlament wolle sie nicht aufgeben. An ihrem Traum von der nationalen Unabhängigkeit Schottlands werde sie festhalten, immerhin habe sie diesem Traum ihr politisches Leben gewidmet.

Zu behaupten, dass Schotten und Schottinnen geschockt von ihrer Entscheidung sind, wäre untertrieben. Auch wenn sie nicht von allen geliebt wird, ist Nicola Sturgeon doch mit Abstand die populärste politische Figur nördlich des Hadrianswalles. Wie niemand sonst hat sie die Geschicke des Landes dominiert. Seit 2014, als sie den SNP-Vorsitz von Alex Salmond übernahm, leitete sie die Regierung und konnte ihre Partei in Regional- und Unterhauswahlen zu einem Triumph nach dem anderen führen. Während der Corona-Pandemie erwies sie sich, wie ihr der Politologe John Curtice bescheinigte, als »sehr effektive Kommunikatorin« und etablierte sich damit als das perfekte Gegenstück zum britischen Premierminister Boris Johnson. Selbst die der Unabhängigkeit zutiefst skeptisch gegenüberstehende Londoner »Times« bescheinigte der Schottin, die »Powerfrau des Nordens« zu sein.

Doch ihr Image bekam Kratzer. Es sind nicht nur die Probleme im schottischen Gesundheitswesen, die Defizite im Erziehungssektor oder die Tatsache, das Land mit den meisten Drogentoten in Europa zu sein, die die Bilanz ihrer achtjährigen Regierungszeit trüben. Sturgeon hat ihren Traum, wie sie während der Pressekonferenz implizit zugab, einen Bärendienst erwiesen, als sie im Herbst letzten Jahres erklärte, den nächsten Wahlgang zu einem De-Facto-Referendum über die Unabhängigkeit machen zu wollen. Vorausgegangen war ein Urteilsspruch des britischen Obersten Gerichtes, der erklärte, dass ein Plebiszit nur mit der vorherigen Zustimmung der britischen Zentralregierung erfolgen dürfe. Sturgeon sah dies als einen demokratischen Affront.

Aber zu erklären, dass die Schotten bei den nächsten Regionalwahlen ausschließlich über die Unabhängigkeit anstatt zum Beispiel über andere Probleme wie etwa unterschiedliche Ansätze für die Lösung der Lebenshaltungskostenkrise abstimmen sollten, wird von Sturgeons Gegnern als demokratischer Affront gesehen. Die Ministerpräsidentin erklärte, auch deswegen zurücktreten zu wollen, um ihrer Partei die Möglichkeit zu geben, ihren Unabhängigkeitskurs zu überdenken. (GEA)