BERLIN. Bei der FDP ging es geräuschlos, bei den Grünen gab es Ärger und die SPD nahm sich ziemlich viel Zeit. Aber jetzt haben alle drei Ampel-Parteien ihr Personal für die neue Bundesregierung beisammen. Das neue Kabinett, an dessen Spitze Olaf Scholz als Kanzler stehen soll, weist einige Besonderheiten auf:
Die neue Regierung ist größer als bisher. Durch das neu geschaffene Bauministerium wächst sie von 16 auf 17 Mitglieder. Davon sind nur vier bereits jetzt in der Regierung. Und nur einer von diesen Vieren bleibt auf seinem Posten.
Das Durchschnittsalter des Kanzlers und seiner 16 Ressortchefs liegt bei 50,4 Jahren. Damit ist die neue Regierung jünger als jede der vier Regierungen unter Kanzlerin Angela Merkel bei ihrem Amtsantritt. Ihre letzte Regierung war 2018 im Durchschnitt 51,2 Jahre alt. Die jüngsten Ministerinnen sind Annalena Baerbock und Anne Spiegel von den Grünen mit 40, der Senior im Kabinett ist der Chef Scholz selbst mit 63.
Der Frauenanteil ist zwar so hoch wie noch nie zu Beginn einer Wahlperiode. Trotzdem hat Scholz es nicht geschafft, eine Regierung mit mindestens genauso vielen Frauen wie Männer zu bilden. Unter den 17 Kabinettsmitgliedern sind neun Männer und acht Frauen. »Ein von mir als Bundeskanzler geführtes Kabinett ist mindestens zur Hälfte mit Frauen besetzt«, hatte Scholz schon lange vor der Bundestagswahl versprochen. Um auf die Parität zu kommen, zählt er sich nun selbst nicht mit. »Die Parität ist mir wichtig, deswegen werden von 16 Ministerinnen und Ministern acht Männer und acht Frauen sein«, sagte er bei der Vorstellung des SPD-Ministerteams. »Und selbstverständlich wird es dann noch einen Bundeskanzler geben, der für alle gemeinsam zuständig ist.«
Unterrepräsentiert sind in der neuen Regierung auch die gebürtigen Ostdeutschen. Von den 17 Kabinettsmitgliedern sind nur zwei in Ostdeutschland aufgewachsen: Steffi Lemke und Klara Geywitz. Es gibt aber auch noch zugezogene Ostdeutsche wie Scholz und die als Außenministerin nominierte Annalena Baerbock, die beide in Potsdam leben und dort ihren Wahlkreis haben.
Bundeskanzler: Olaf Scholz
Der bisherige Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz (63, SPD) wird befördert. Am Mittwoch soll er im Bundestag zum neunten Kanzler der Bundesrepublik gewählt werden – und zum vierten aus der SPD nach Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder.
Kanzleramtschef: Wolfgang Schmidt
Dieser Posten wird in einer Ampelkoalition noch wichtiger sein als bisher. Denn der Kanzleramtschef koordiniert die Regierungsarbeit und das dürfte bei drei Partnern komplizierter werden. Scholz bringt für die schwierige Aufgabe mit Wolfgang Schmidt (51, SPD) seinen vielleicht engsten Vertrauten aus dem Finanzministerium mit ins Kanzleramt. Schmidt war dort Staatssekretär.
Wirtschaft/Klimaschutz: Robert Habeck
Für die Grünen ist es das zentrale Ministerium, in dem nun die Fäden im Kampf gegen den Klimawandel zusammenlaufen sollen. Robert Habeck (52, Grüne) wird es als Vizekanzler leiten. Er kann auf Erfahrungen aus sechs Jahren als Minister für Energiewende, Umwelt, Landwirtschaft und Digitalisierung in Schleswig-Holstein zurückgreifen.
Finanzen: Christian Lindner
Das Finanzministerium ist die vielleicht wichtigste Trophäe der FDP aus den Koalitionsverhandlungen. Auch Habeck hätte es gern gehabt, die Liberalen setzten sich aber durch. Minister wird mit Christian Lindner (42, FDP) der Parteichef, aber ohne den Status des Vizekanzlers. Das Grundgesetz sieht diesen Posten nur einmal vor. Er geht an die Grünen, weil sie bei der Wahl besser abschnitten.
Auswärtiges Amt: Annalena Baerbock
Sie wollte Angela Merkel als Kanzlerin ablösen und wird nun stattdessen als erste Frau das Auswärtige Amt leiten. Dabei könnte es zum einen oder anderen Konflikt mit Kanzler Scholz kommen. Gegenüber China und Russland will Annalena Baerbock (40, Grüne) zum Beispiel einen härteren Kurs fahren und würde die Gas-Pipeline Nord Stream 2 am liebsten stoppen.
Verkehr und Digitales: Volker Wissing
Das Verkehrsministerium hatten viele eher bei den Grünen gesehen. Nun soll es der FDP-Generalsekretär leiten. Für viele Grüne ist das schwer verkraftbar, nachdem schon in den Sondierungen das Tempolimit auf Autobahnen an der FDP gescheitert war. Volker Wissing (51, FDP) soll zudem die Großbaustelle Digitalisierung angehen. Dazu gehören der Ausbau der Infrastruktur und die Frage, wie staatliche Daten für neue Anwendungen verfügbar gemacht werden sollten.
Justiz: Marco Buschmann
Dieses Ressort übernimmt der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion im Bundestag. Marco Buschmann (44) hat Rechtswissenschaften in Bonn studiert und arbeitete bis 2009 als Anwalt in Düsseldorf. Der gebürtige Gelsenkirchener war lange Zeit ein unermüdlicher Kritiker von Corona-Maßnahmen, die am Bundestag vorbei verfügt wurden.
Bildung: Bettina Stark-Watzinger
Die bisherige Parlamentarische Geschäftsführerin ist die einzige Frau in der FDP-Ministerriege und bundesweit das wohl am wenigsten bekannte Gesicht. Im Mai wurde Bettina Stark-Watzinger (53) mit 91 Prozent als Beisitzerin in das FDP-Präsidium gewählt – mit nur etwas weniger Zustimmung als Parteichef Lindner.
Familie: Anne Spiegel
Zusammen mit Baerbock ist Anne Spiegel (40, Grüne) die jüngste Ministerin. Beide werden am 15. Dezember 41. Spiegel hat Erfahrung sowohl mit Ampel-Regierungen als auch mit ihrem Zuständigkeitsbereich. Sie war schon in Rheinland-Pfalz fünf Jahre lang Familienministerin, seit diesem Jahr dann Ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität.
Umwelt: Steffi Lemke
Steffi Lemke (53, Grüne) hat als Bundesgeschäftsführerin elf Jahre lang die Geschicke der Grünen gelenkt – schnörkellos, unkompliziert und gerade heraus. Die Ostdeutsche aus Sachsen-Anhalt trat nach der verlorenen Wahl 2015 mit dem gesamten Bundesvorstand zurück und kehrte in den Bundestag zurück. Dort widmete sie sich vor allem dem Umwelt- und Naturschutz, einer ihrer Schwerpunkte war der Kampf gegen die Zerstörung des Lebensraums Meer.
Landwirtschaft: Cem Özdemir
Der frühere Grünen-Chef Cem Özdemir (55) ist der erste Bundesminister mit türkischen Wurzeln. Der Posten fiel ihm nach langem Gerangel zu. Der linke Flügel der Grünen hätte sich auch Fraktionschef Anton Hofreiter auf dem Posten vorstellen können. Özdemir war bis 2018 Bundesvorsitzender und bei der Bundestagswahl 2017 grüner Spitzenkandidat. Bei der Wahl 2021 wurde er mit 40 Prozent in seinem Stuttgarter Wahlkreis grüner Erststimmenkönig.
Arbeit und Soziales: Hubertus Heil
Das Arbeitsministerium ist das einzige, das keinen neuen Chef bekommt. Hubertus Heil (49, SPD) bleibt dort im Sattel. Er galt bereits in der vergangenen Wahlperiode als durchsetzungsstark und fleißig – und zwar bei Themen wie Rente, Arbeitsmarkt und Hartz IV, die für seine SPD besonders wichtig sind.
Innen und Heimat: Nancy Faeser
Die Juristin Nancy Faeser (51, SPD) soll die erste Frau an der Spitze des Bundesinnenministeriums werden. Derzeit ist sie Fraktions- und Landesvorsitzende der hessischen SPD. Sie kündigte an, einen Schwerpunkt auf die Bekämpfung des Rechtsextremismus zu legen.
Verteidigung: Christine Lambrecht
Früher war das Verteidigungsministerium eine Männerdomäne, seit 2013 ist es aber in Frauenhand. Christine Lambrecht (56, SPD) ist die dritte Verteidigungsministerin in Folge nach Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-Karrenbauer (beide CDU). Regierungserfahrung hat sie in den vergangenen zwei Jahren im Justizministerium gesammelt.
Gesundheit: Karl Lauterbach
In den letzten zwei Jahren kommentierte der Bundestagsabgeordnete und Epidemiologe Karl Lauterbach (58, SPD) als einer der häufigsten Talkshow-Gäste der Republik die Corona-Politik der Bundesregierung von der Seitenlinie. Jetzt kann er selbst Entscheidungen treffen. Lauterbach gilt bei Scholz nicht als besonders beliebt.
Bauen: Klara Geywitz
Die Potsdamerin Klara Geywitz (45, SPD) wurde bundesweit bekannt, als sie 2019 im Duo mit Scholz für den SPD-Vorsitz kandidierte. Die beiden verloren, doch seitdem zählt die Parteivize zu den wichtigen Köpfen der Bundes-SPD. Sie ist eine Kennerin der ostdeutschen Länder, möchte aber bestimmt mehr als die Quotenfrau aus dem Osten sein. Geywitz gilt als schonungslos ehrlich, aber auch als konfliktfähig.
Entwicklung: Svenja Schulze
Die Rheinländerin Svenja Schulze (53, SPD) war seit März 2018 Umweltministerin und wäre auch gern in diesem Amt geblieben. Nun soll sie stattdessen die weltweite Entwicklungszusammenarbeit stärken. Ihre bisherige Tätigkeit dürfte ihr dabei zugutekommen: Bei den globalen und oftmals sehr zähen Klimaverhandlungen saß Schulze in den vergangenen Jahren mehrmals mit am Tisch und bewies dabei einen langen Atem. (dpa)