REUTLINGEN. Viele Menschen in Deutschland sind in Schockstarre verfallen, als sie morgens die Nachrichten aus den USA hörten. Donald Trump, der verurteilte Straftäter, der selbstgefällige Politiker mit komischer Frisur und noch merkwürdigerem Auftreten, der so viele Menschen mit seinen Sprüchen vor den Kopf stößt, steuert bei den US-Präsidentschaftswahlen auf einen Sieg zu. Der Bösewicht ohne Manieren gewinnt gegen die in Europa vorab hochgejubelte Kamala Harris. Trump-Durchmarsch statt Kopf-an-Kopf-Rennen lautet die ernüchternde Botschaft des Tages.
Keine Frage, mit Trump als US-Präsident wird die Welt unberechenbarer. Europa und Deutschland müssen sich auf schwierige Zeiten einstellen. Auf harte Forderungen nach mehr Militärausgaben und einen rauen Ton in der Wirtschaftspolitik. Bei Trump stehen die eigenen Interessen im Vordergrund. Er wird sie rigoros durchsetzen. Doch es hilft nichts, darüber zu lamentieren. Die Frage ist eher, warum sich Deutschland nicht bereits auf diesen Fall vorbereitet hat. In seiner ersten Amtszeit hat Trump ja eindrucksvoll gezeigt, dass er überhaupt nichts von politischen Konventionen und Verträgen hält. Dennoch hat die deutsche Regierung im Vorfeld keinen Kontakt zum Trump-Lager gesucht. Ein fataler Fehler. Statt sich auf die Gefahr vorzubereiten, hat die Ampel den Kopf in den Sand gesteckt und auf Kamala Harris gehofft.
Der Wahlsieg von Trump ist aber auch eine Lehre für den Umgang mit Populisten. Er zeigt, wie eine auf die städtischen Zentren ausgerichtete Berichterstattung den Menschen ein falsches Bild von der Wirklichkeit in den USA vermitteln kann. Es reicht eben nicht, Trump als Dummkopf darzustellen, der eine Falschbehauptung nach der anderen von sich gibt und die Wähler hinter das Licht führen will. Damit schreckt man die Bürger nicht ab. Denn es geht ja nicht nur um eine Personalentscheidung im Sinne von Harris oder Trump, sondern auch darum, welche politischen Themen im Mittelpunkt stehen sollen. Die wirklich spannende Frage ist, warum konnte so jemand wie Trump mit so einer schlechten Presse die Wahl überhaupt gewinnen? Und was haben die Demokraten falsch gemacht? Bei Harris ist es klar. Die demokratische Spitzenkandidatin hat sich zu sehr auf Trump eingeschossen. Sie hat eine Anti-Trump-Kampagne gefahren, statt ihre eigenen politischen Ziele und Programme in den Mittelpunkt zu stellen. Und sie hat es versäumt, sich rechtzeitig von Biden und dessen Politik loszusagen.
Trump konnte diesen unerwartet deutlichen Wahlsieg erringen, weil er auf die richtigen Themen gesetzt hat. Er hat erkannt, was den Menschen unter den Nägeln brennt. Das ist nicht die Frage der Abtreibung oder die Frage des richtigen Politikstils oder der moralisch korrekte Umgang mit Minderheiten. Es ist die Angst vor ungeregelter Migration, vor Wohlstandsverlust und die Sehnsucht nach Sicherheit in einer Welt, die immer unsicherer wird. Dass ausgerechnet Trump das bedienen konnte, der so wenig berechenbar ist, kann man getrost als Treppenwitz der Geschichte bezeichnen. Doch die Lehren des Trump-Siegs sind klar: Mit Ausgrenzung und dem Verschweigen von real existierenden Problemen kann man Populisten nicht bekämpfen. Den Bürgern in den USA und vermutlich auch in Europa und Deutschland sind Themen wie Sicherheit, Wohlstand und Migration wichtig. Wer Trump verhindern will, muss diese Themen anpacken.