Logo
Aktuell Pandemie

Die Corona-Bilanz fällt gemischt aus

Vor vier Jahren steckte Deutschland im ersten Corona-Lockdown. Gleichzeitig ist es nun rund ein Jahr her, als die letzten Corona-Maßnahmen aufgehoben wurden. Die Bilanz der Corona-Politik fällt inzwischen sehr gemischt aus.

FFP2-Masken entschieden in der Corona-Pandemie eine Zeit lang darüber, ob man in einen Supermarkt gehen durfte, oder nicht.
FFP2-Masken entschieden in der Corona-Pandemie eine Zeit lang darüber, ob man in einen Supermarkt gehen durfte, oder nicht. Foto: Thomas Frey/dpa
FFP2-Masken entschieden in der Corona-Pandemie eine Zeit lang darüber, ob man in einen Supermarkt gehen durfte, oder nicht.
Foto: Thomas Frey/dpa

REUTLINGEN/BERLIN.. Auch ein Jahr nach den letzten Corona-Maßnahmen scheiden sich die Geister am Umgang mit dem Virus. Doch wie sieht die Bilanz der Corona-Politik aus? Welche Kosten und Auswirkungen gibt es und was hat Deutschland für kommende Pandemien gelernt. Eine Übersicht:

Wie viel hat die Corona-Pandemie den Staat gekostet?

439,7 Milliarden Euro hat der Bund zwischen 2020 und 2023 für die Bewältigung der Corona-Pandemie ausgegeben. Das gab das Bundesfinanzministerium im April vergangenen Jahres bekannt. Am meisten Geld, nämlich 66,2 Milliarden Euro, floss dabei in Wirtschaftshilfen für Unternehmen, Kulturveranstalter und Profisportvereine. Nur etwas weniger, 63,5 Milliarden Euro, kosteten den Bund die Beschaffung von Schutzausrüstung, wie etwa Masken und Tests, und die Impfungen. An dritter Stelle stehen Kosten, die durch das zweite Corona-Steuerhilfegesetz ausgelöst wurden. Darunter fallen Belastungen durch die Mehrwertsteuersenkung oder den Kinderbonus. Weitere Kosten entstanden durch Zuschüsse an die Agentur für Arbeit, um sich an der Kurzarbeiterregelung zu beteiligen und durch Ausgleichszahlungen an Kliniken, die Bettenkapazitäten frei hielten.

Für Corona-Tests, Schutzausrichtung und Impfungen gab der Bund 63,5 Milliarden Euro aus.
Für Corona-Tests, Schutzausrichtung und Impfungen gab der Bund 63,5 Milliarden Euro aus. Foto: Sebastian Gollnow/dpa
Für Corona-Tests, Schutzausrichtung und Impfungen gab der Bund 63,5 Milliarden Euro aus.
Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Hinzu kommen die Ausgaben der Bundesländer, die in den rund 440 Milliarden Euro nicht enthalten sind. Baden-Württemberg kostete die Bewältigung der Corona-Krise rund 10,3 Milliarden Euro. Das sind immerhin rund 4,3 Milliarden Euro weniger, als ursprünglich veranschlagt. Den Puffer will Landesfinanzminister Daniel Bayaz verwenden, um Schulden, die für die Corona-Milliarden aufgenommen wurden, zu tilgen. Am meisten gab das Land für Zuschüsse und Hilfsprogramme aus. Darunter fielen etwa 3 Milliarden Euro an Ausgaben zur Unterstützung der Kommunen, sowie Hilfen für Unternehmen. Für Corona-Tests und Schutzausrüstung gab das Land mehr als 700 Millionen Euro aus. Die Impfzentren kosteten noch einmal 570 Millionen Euro.

An welchen Maßnahmen wird heute am meisten Kritik geäußert?

Viele Entscheidungen während der Corona-Pandemie werden heute skeptisch gesehen. Der ehemalige RKI-Chef Wieler kritisiert etwa die Politik dafür, sich nicht an den bestehenden nationalen Pandemie-Plan gehalten und Gremien wie die Ministerpräsidentenkonferenz neu eingeführt zu haben. So sei eine einheitliche Information der politischen Akteure, aber auch der Gesellschaft behindert worden. Natürlich gibt es aber auch viel Kritik an ganz konkreten Maßnahmen. Allen voran wird der Umgang mit Kindern und Jugendlichen in der Pandemie heute negativ beurteilt. Auch an der FFP2-Maskenpflicht, den 3G-Regeln oder der Impfpflicht für bestimmte Berufe gibt es heute Kritik.

Politiker der zu Beginn der Pandemie regierenden Großen Koalition äußerten sich zuletzt auch selbstkritisch. So sagte der ehemalige Bundesinnenminister Horst Seehofer dem »Spiegel«, einigen Maßnahmen würde er heute so nicht mehr zustimmen. Die nächtlichen Ausgangssperren hätten etwa kaum Wirkung auf die Unterbrechung der Infektionsketten gehabt. Auch die Pflichtimpfungen für Mitarbeiter in Pflegeheimen und Gesundheitseinrichtungen sei nicht umsetzbar gewesen. Helge Braun, ehemaliger Kanzleramtsminister unter Merkel, bekannte sich zu einigen Fehleinschätzungen in der Pandemie. So sei die Wirkung der Impfungen auf das Pandemie-Geschehen falsch eingeschätzt worden. Er sagte dem »Spiegel«: »Wir haben das Impfen als eine Lösung für den Ausstieg aus der Pandemie beworben und eine Erwartung geschürt, die wir am Ende nicht erfüllen konnten.«

Welche Folgen gab es für Kinder und Jugendliche?

Besonders viel Kritik gibt es inzwischen für den Umgang mit Kindern und Jugendlichen in der Pandemie. Der heutige Bundesgesundheitsminister Kritik Lauterbach, zu Beginn der Corona-Krise einer der stärksten Verfechter harter Maßnahmen, sagte im »Spiegel«: »Der größte Fehler war, dass wir bei den Kindern zum Teil zu streng gewesen sind und bei den Lockerungsmaßnahmen wahrscheinlich etwas zu spät angefangen haben.«

»Wenn Personen nicht geschult/qualifiziertes Personal sind, haben FFP2-Masken bei nicht korrekter Anpassung und Benutzung keinen Mehrwert«

In einer teils heftig geführten Grundsatzdebatte im vergangenen April zum Abschlussbericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe über die gesundheitlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Kinder und Jugendliche waren sich die Fraktionen im Bundestag weitestgehend einig: Maßnahmen wie die langen Schul- und Kita-Schließungen waren zu hart und haben bis heute Folgen. Durch die Maßnahmen sei es zu einem Anstieg von Depressionen, Essstörungen und Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen gekommen, zitierten zahlreiche Abgeordnete aus dem Abschlussbericht. Zudem sei das Recht auf Bildung vernachlässigt worden, gab etwa Katja Adler von der FDP zu bedenken. Besonders hart waren Heranwachsende aus sozial schwachen Elternhäusern von Bildungsdefiziten und gesundheitlichen Folgen betroffen.

Wie wird die Maskenpflicht heute bewertet?

In Baden-Württemberg und einigen anderen Bundesländern galt ab Ende 2020: Wer keine FFP2-Maske trägt, hat keinen Zutritt zu Bussen und Bahnen oder Supermärkten. Schon vor der Einführung dieser Maßnahme gab es Zweifel, ob die Maske für Privatpersonen das Virus wirklich stoppen würde. Dennoch wurde die Maßnahme beschlossen. Die zu Anfang dieser Woche veröffentlichten Corona-Protokolle des RKI schüren nun erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit der Maßnahme. In internen Besprechungen des RKI vom 30. Oktober 2020 wurde schon damals festgestellt: »FFP2-Masken sind eine Maßnahme des Arbeitsschutzes. Wenn Personen nicht geschult/qualifiziertes Personal sind, haben FFP2-Masken bei nicht korrekter Anpassung und Benutzung keinen Mehrwert«, zitiert das ZDF aus dem Protokoll. Diese Information, so das RKI, könne auch der Öffentlichkeit zugetragen werden. Dies geschah aber erst jetzt, mit Veröffentlichung der Protokolle.

Viele Gaststätten wiesen auch in Reutlingen mit Schildern auf die 2G-Regel hin.
Viele Gaststätten wiesen auch in Reutlingen mit Schildern auf die 2G-Regel hin. Foto: Foto: Frank Pieth
Viele Gaststätten wiesen auch in Reutlingen mit Schildern auf die 2G-Regel hin.
Foto: Foto: Frank Pieth

Wie wird der Umgang mit Impfungen, 2- und 3G heute beurteilt?

Mit Zulassung der ersten Corona-Impfstoffe begann der Streit um deren Wirksamkeit und Maßnahmen für Nicht-Geimpfte. Dass die Hoffnungen, mit den Impfungen das Virus zu besiegen, zu optimistisch waren, zeigt sich schon allein daran, dass Corona bis heute nicht komplett verschwunden ist. Das RKI stellt inzwischen jedoch fest, dass die verfügbaren Impfungen zwar nicht komplett vor einer Erkrankung schützen, aber vor schweren Verläufen. Die Ängste bezüglich schlechter Verträglichkeit und Langzeitfolgen konnten aber nicht komplett vom Tisch geräumt werden.

»Insgesamt erscheint die nachgewiesene Wirkung auf Bevölkerungsebene aber eher gering«

Wie die neu veröffentlichen RKI-Protokolle zeigen, hatten die Experten des Instituts zum AstraZeneca-Impfstoff schon früh Bedenken ob dessen Verträglichkeit. Der Impfstoff sei »weniger perfekt« als die anderen bis dahin zugelassenen Impfstoffe. Zudem gebe es zu wenig Daten zur Anwendung bei älteren Personen, weshalb es Einschränkungen geben solle, hieß es da in einem Eintrag am 8. Januar 2021. Anfang März 2021 gab die Ständige Impfkommission (Stiko) den Impfstoff dennoch für alle Altersklassen frei und verwies auf neue Erkenntnisse aus Studien.

Eine Person wird in einem Impfzentrum gegen das Coronavirus geimpft.
Eine Person wird in einem Impfzentrum gegen das Coronavirus geimpft. Foto: Fabian Sommer/dpa
Eine Person wird in einem Impfzentrum gegen das Coronavirus geimpft.
Foto: Fabian Sommer/dpa

Bald ging es dann in der Öffentlichkeit auch um den Umgang mit Ungeimpften. Viele Politiker sehen in den 2G- (geimpft und genesen) und 3G-Maßnahmen (geimpft, genesen oder getestet) den Grund für die tiefgreifende Spalltung der Gesellschaft seit der Pandemie. Doch wie wird der medizinische Nutzen der Maßnahmen beurteilt? Der Sachverständigenausschuss, der von Bundesregierung und Bundestag einberufen wurde, um die Corona-Maßnahmen nachträglich zu evaluieren, kam zu dem Ergebnis, dass die 2G- und 3G-Maßnahmen alleine wohl wenig zur Bekämpfung des Virus beigetragen hätten. »Insgesamt erscheint die nachgewiesene Wirkung auf Bevölkerungsebene aber eher gering«, steht im Bericht, den der Sachverständigenausschuss Anfang Juli 2022 vorstellte. Es gebe allerdings wenige Studien, die sich mit der Wirkung der Maßnahmen alleine beschäftigten, zumal 2G- und 3G immer in Kombination etwa mit der Maskenpflicht durchgeführt wurden. Die Sachverständigenkommission kommt trotzdem zum Schluss, dass die Kombination aller Regelungen und Maßnahmen wie Impfung, Zugangsbeschränkungen und Testungen halfen, das Virus einzudämmen.

Wie wird die Corona-Politik nun aufgearbeitet?

Schon Mitte März hatten Politiker der FDP-Bundestagsfraktion unter Federführung von Bundestagsvize Wolfgang Kubicki und dem gesundheitspolitischen Sprecher der FDP, Andrew Ullmann, die Einsetzung einer Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie gefordert. »Die Enquete-Kommission soll Antwort auf die Frage geben, welche Maßnahmen und welche politischen Schritte in einer Pandemie sinnvoll sind, um den Schutz von Gesundheit, Wirtschaft und Gesellschaft bestmöglich zu gewährleisten«, so Ullmann. Und weiter: »Die Enquete-Kommission soll sich ganz bewusst auf zukünftige Gesundheitskrisen durch Epidemien und Pandemien richten und nicht rückwärtsgewandt die Politik der Corona-Pandemie beurteilen.«

Um eine Enquete-Kommission einzusetzen, muss mindestens ein Viertel aller Mitglieder im Bundestag dafür stimmen. Bisher sperren sich Politiker der SPD und der Grünen dagegen. Sie befürchten unter anderem eine Instrumentalisierung im Wahlkampf. Unterstützung bekommt die FDP-Fraktion hingegen von der Opposition, unter anderem vom ehemaligen nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU). AfD und das Bündnis Sarah Wagenknecht gehen sogar noch weiter und fordern einen Untersuchungsausschuss des Bundestags zur Aufarbeitung der Pandemie-Politik. Ob es dazu kommt, ist nicht klar. Doch nach der Veröffentlichung der RKI-Protokolle nimmt die Diskussion über die Aufarbeitung gerade neue Fahrt auf. (GEA)