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»Der Glaube an die Unangreifbarkeit wurde zerstört«

REUTLINGEN. Die Türme des World Trade Centers hatte ich 1991 und 1992 besucht und dabei die Sicht von der Aussichtsplattform auf Manhattan genossen. Die weitläufige Unterwelt des Komplexes mit zahlreichen Restaurants, Shopping Malls und der großen U-Bahnstation hatte mich ebenfalls sehr beeindruckt. Deshalb bin ich am 11. September 2001 sofort zum Fernseher gelaufen, als mich meine Mutter am frühen Nachmittag mit dem Hinweis anrief, ein Flugzeug sei ins WTC geflogen.

Ich dachte zunächst an ein kleines Flugzeug und traute meinen Augen nicht, als die Kollision eines Verkehrsflugzeuges mit dem Tower wiederholt wurde. Kurz darauf durchschlug ein weiterer Airliner den zweiten Turm. Er flog mit einer kurvenbedingten Schräglage hinein, wodurch gleich mehrere Stockwerke getroffen wurden und sich schlagartig in einen riesigen Feuerball verwandelten. Große und kleine Flugzeugteile flogen wie ein zerplatzender Schneeball auseinander.

Ich erinnere mich genau, dass ich spätestens ab diesem Zeitpunkt wie gelähmt und absolut sprachlos vor dem Fernseher saß. Als ein Freund bei mir anrief, der noch nichts davon erfahren hatte, war ich gerade mal in der Lage, ihm zum Einschalten des Fernsehers zu raten.

Zunächst konnte ich gar nicht glauben, dass es sich um die Realität handelte. Ich fühlte mich eher wie in einem Film von Steven Spielberg oder Roland Emmerich. Dann realisierte ich die Stimme von Ulrich Wickert, der in der ARD den Ablauf live kommentierte. Je dramatischer die Situation wurde, umso mehr erstaunte mich, wie gut Herr Wickert angesichts der ungeheuerlichen Vorgänge seine Emotionen im Griff haben konnte.

Das gelang ihm erst dann nicht mehr, als man die ersten verzweifelten Menschen aus den oberen Stockwerken springen sah. Es dauerte unendlich lange, bis sie auf den unteren Stockwerken aufschlugen. Die Grausamkeit dieser Bilder wird mich nicht mehr loslassen. Feuerwehrleute und Polizisten versuchten mit der Ruhe und Besonnenheit, die ihnen situationsbedingt noch möglich war, Menschen aus dem Komplex und dessen Umgebung zu evakuieren.

Als beide Türme nacheinander in sich zusammenfielen, die gigantische Rauch- und Staubwolke durch die Straßen fegte und unzählige flüchtende Menschen verschluckte, war mir klar, dass die Rettungskräfte ihren Kampf verloren hatten und dass Tausende Menschen diesen unglaublichen Terrorakt nicht überlebt haben. Ich wusste, dass wochentags bis zu 60.000 Menschen in den beiden Türmen arbeiteten. Deshalb war ich sehr erstaunt und erleichtert, nach einigen Tagen zu erfahren, dass »nur« 2.750 Menschen den Tod gefunden hatten. 2.750 unschuldige Menschen zu viel.

Da ich auf meinen USA-Reisen die amerikanische Mentalität ein wenig kennen gelernt hatte, wurde mir sofort bewusst, dass Amerika an seiner Achillesferse getroffen war und sich so schnell nicht wieder davon erholen würde. Mit den Twin Towers wurde das steinerne Manifest des amerikanischen Selbstbewusstseins und der Glaube an die Unangreifbarkeit zerstört.