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Der Bayerische Löwe schwört Treue

Söder zieht zurück, obwohl er bei den Wählern beliebter ist. Die Union schickt Merz in den Kampf ums Kanzleramt

Markus Söder (CSU, rechts) lässt Friedrich Merz (CDU) den Vortritt für die Kanzler-Kandidatur der Union.  FOTO: NIETFELD/DPA
Markus Söder (CSU, rechts) lässt Friedrich Merz (CDU) den Vortritt für die Kanzler-Kandidatur der Union. FOTO: NIETFELD/DPA
Markus Söder (CSU, rechts) lässt Friedrich Merz (CDU) den Vortritt für die Kanzler-Kandidatur der Union. FOTO: NIETFELD/DPA

BERLIN. Das Spiel um die Macht ist nach außen hin ein Spiel um Symbole. Entscheidend ist, im Kampf um Einfluss sein Gesicht zu wahren, seine Ehre zu behalten. Markus Söder hat nun den Kampf um die Macht ein zweites Mal verloren: Friedrich Merz wird Kanzlerkandidat von CDU und CSU, Söder geht wie im Jahr 2021 leer aus. Doch auf symbolischer Ebene behält er seine Würde. Denn er ist es, der Merz zum Kandidaten der Union kürt. Und das geschieht am Dienstag in Berlin, aber doch auch in Bayern. Söder also ruft Merz in der Bayerischen Vertretung zum Kanzlerkandidaten aus. In der ist viel Weiß-Blau zu sehen, die Farben des Freistaats. Vergangene Woche feierte die Staatsregierung hier ein kleines Oktoberfest.

Bevor die beiden Männer, die der Ehrgeiz treibt, ins Foyer schreiten, wird es still. Selbst die geschwätzigen Reporter der Hauptstadtpresse schweigen. Sie spüren die Bedeutung des Moments.

»Die K-Frage ist ent-schieden. Friedrich Merz macht’s. Ich bin damit fein und unterstütze dies«

Der Hausherr spricht zuerst, es ist 12 Uhr. »Um es kurz zu machen: Die K-Frage ist entschieden. Friedrich Merz macht’s. Ich bin damit fein und unterstütze dies ausdrücklich«, verkündet Bayerns Ministerpräsident Markus Söder in nüchternem Ton. Er verspricht, treu zu sein und Merz nicht zu bekämpfen – so, wie er vor wenigen Jahren Armin Laschet, seinen damaligen Kontrahenten um die Kandidatur als Unions-Kanzlerkandidat, bekämpfte. Wie die Geschichte ausging, ist bekannt: An Laschet, vormals mächtiger Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, zog SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz noch vorbei.

»Ich halte Wort, jetzt, im Wahlkampf und auch in der neuen Regierung«, sagt Söder in Berlin. Gemeinsam wollen CDU und CSU das Kanzleramt von der SPD zurückerobern. Ob Söders Schwur ehrlich ist, wird den Ausgang auch dieses Bundestagswahlkampfes mitentscheiden.

Die Zweifel, die bei der CDU daran bestehen, rühren nicht allein von der traumatischen Erfahrung des Jahres 2021 her, als der Vorsitzende der Schwesterpartei die Kampagne Laschets mit ständigen Spitzen torpedierte und den Kandidaten wie einen begossenen Pudel aussehen ließ. In den zurückliegenden Wochen hat sich Söder ja auch immer wieder selbst ins Spiel gebracht, in Reden und Interviews. Um die Partie vielleicht doch noch zu seinen Gunsten zu wenden. Bei der CDU wurde das misstrauisch beäugt.

Söder hoffte gleichwohl auf Rufe aus der CDU nach ihm, die Rufer allerdings blieben aus. So musste er einsehen, dass er dieses Mal keine Chance hat.

Im Merz-Lager wird erzählt, dass die Bayern gerne noch etwas gewartet hätten, um den CDU-Vorsitzenden auf dem CSU-Parteitag in Augsburg am 11. und 12. Oktober zum gemeinsamen Kandidaten zu küren. Die Symbolik des erhobenen Hauptes des Bayerischen Löwen wäre stärker ausgefallen. Doch dagegen hatte ein anderer Kurfürst etwas.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst tritt am Montagabend überraschend vor die Presse und erklärt, dass er Merz unterstütze. Er ist nicht nur Regierungschef an Rhein und Ruhr, sondern auch Vorsitzender des größten Landesverbandes der CDU. Der Name des 49-Jährigen fiel regelmäßig im Kanzlerkandidatenspiel: Wüst galt als das freundliche Gesicht und als Alternative zu den beiden konservativen Klarsprechern Merz und Söder.

Freilich beherrscht auch Wüst das Spiel der Symbole und der Macht – und lobt sich selbst. »Es lässt mich nicht unberührt, wenn viele Mitstreiter und Mitglieder aus verschiedenen Landesverbänden unserer Partei mich ermutigen, noch stärker in der Bundespolitik mitzugestalten«, flechtet er sich am Montag Kränze. Um einen Augenblick später zu versichern, dass man mit ihm rechnen muss. »Ein Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen ist immer ein möglicher Kanzlerkandidat«, sagt er. Es ist ein Fingerzeig an Merz und Söder zugleich: Sieh Merz, es kommt nicht bloß auf Bayern an! Sieh Söder, wir haben dir 2021 nicht vergessen und deshalb verändere ich die Dramaturgie in meinem Sinne! Denn: Als Wüst derart vorprescht, ist der Zeitplan von Söder und Merz nicht mehr zu halten. Sie sind gezwungen nachzuziehen.

Klar ist, dass Söder Wüst keine noch so kleine Rolle bei der Kandidatenkür zugestehen will. Söders Leute betonen ebenfalls, dass Merz jetzt zeigen müsse, was er kann. Sicher, hört man, Söder und Merz seien eng beisammen, sie verstünden sich. Aber die Vorbehalte gegen den Kandidaten, die Vorbehalte der Bürgerinnen und Bürger bestünden ja weiter: alt, keine Erfahrung in hohen Regierungsämtern, Privatflieger und abgehoben. So lassen sie sich kurz zusammenfassen. Und dann ist da noch Blackrock – der Finanzriese, für den Merz als Lobbyist tätig war.

Und so können die Vorgänge vom Montag und Dienstag nicht nur auf professionelle Politik-Beobachter eine gewisse Faszination ausüben: Wann hat man zuletzt ein derart vielschichtiges Spiel um Macht auf offener Bühne erlebt?

Söder wäre nicht Söder, würde nicht auch er am Dienstag in der Bayerischen Vertretung in der deutschen Hauptstadt seinen Anspruch unterstreichen – neben Merz stehend. Als das eigentliche Machtzentrum einer Bundesregierung unter einem CDU-Kanzler betrachtet er nicht etwa das Kabinett der Ministerinnen und Minister.

»In einer Koalition ist der Koalitionsausschuss der entscheidende Punkt, wo politische Verantwortung auf Dauer sich zeigt und auch politische Macht stattfindet«, sagt er mit dem ihm eigenen Selbstbewusstsein. Sein Ego wird gleichwohl zumindest einen Knacks erhalten haben, der Erkenntnis geschuldet: Es reicht wieder nicht für ihn, obwohl er bei den Wählern beliebter ist. Merz, das wird er ihm zugestehen, hat keinen größeren Fehler gemacht, er treibt SPD-Kanzler Olaf Scholz mit dem Thema Migration vor sich her und die Union steht stabil in den Umfragen bei über 30 Prozent. Bei den zurückliegenden Landtagswahlen konnte die Macht in Sachsen verteidigt werden und in Thüringen liegt sie in Sichtweite.

»Wir wollen gemeinsam die Führungsverantwortung in diesem Land wieder übernehmen«

Friedrich Merz spricht, ein weiterer Spielzug, im Moment seines Erfolges nicht von sich. Er verbleibt höflich im Plural, nimmt sich zurück. Es gilt offensichtlich, Markus Söder nicht auch noch in aller Öffentlichkeit zu übertrumpfen. »Wir gehen gemeinsam in das Bundestagswahljahr 2025 in der festen Absicht, die Führungsverantwortung in diesem Land wieder zu übernehmen«, sagt er.

Und er dankt Söder ausdrücklich für die gute Zusammenarbeit in den vergangenen zweieinhalb Jahren. »Wir sind unterschiedlich, aber das macht den Reiz einer großen Union aus.« Ebenso reizvoll wirkt die Unterschiedlichkeit auf ungezählte Bürgerinnen und Bürger, die dieses politische Spiel um Macht wie eine wendungsreiche, ja bisweilen unterhaltsame TV-Serie verfolgen konnten. Ein Vergleich, auf den CSU-Abgeordnete wohl eher nicht kommen werden. Diejenigen von ihnen, die es bis Dienstagmittag nach Kloster Banz, ein Gemeindeteil der oberfränkischen Stadt Bad Staffelstein, zur CSU-Klausur geschafft haben, erleben die Krönung von Merz im historischen Kaisersaal. Es ist der prächtigste Raum in dem barocken Bau. Die Decke schmücken Motive aus der Familiengeschichte der Gründerin der Benediktiner-Abtei. Doch für die gute Alberada von Banz, die vor 1.000 Jahren wirkte, haben die Frauen und Männer keinen Blick. Sie verfolgen auf einer Leinwand die Übertragung aus Berlin.

Banz hätte für Söder die perfekte Bühne sein können, um in den Schlussspurt für die Kandidatur einzusteigen. Schöne Bilder vor prächtiger Kloster-Kulisse, im Wind flatternde CSU-Fahnen, dazu ein paar knackige Forderungen. Er hätte sein politisches Profil noch einmal schärfen, wenigstens den politischen Preis für seinen Verzicht hochtreiben können. Stattdessen hat ihm Hendrik Wüst dazwischengefunkt. An einen Zufall glaubt hier in Banz niemand, eher an Foulspiel, und das ausgerechnet zum Auftakt der CSU-Klausur. Über Wüsts montagabendlichen Gang vor die Medien waren sie nicht einmal informiert. Wüst hat die CSU düpiert – da dürfte es künftig eine offene Rechnung geben.

Denn, das ist immer wieder zu hören: Ein Treffen von Merz und Söder war schon länger vereinbart, auch eine gemeinsame Pressekonferenz. Wenn das stimmt, dann hat Wüst, als Spielverderber sozusagen, Söder den Rückzug gehörig vermasselt. Nach außen hin jedenfalls sieht es aus, als sei der Bayer nicht aus höherer Einsicht aus dem Rennen um die Kanzlerkandidatur ausgestiegen. Sondern, weil ihm schlicht nichts anderes übrig blieb.

Merz jedenfalls ist endlich am Ziel. Drei Anläufe hat er gebraucht, um Vorsitzender der CDU zu werden. Er war der Favorit und verlor gegen Annegret Kramp-Karrenbauer. Er war der Favorit und verlor gegen Armin Laschet, der dann Scholz unterlag. Zwischenzeitlich fragte die Presse, ob Merz der falsche Mann für die Macht sei, weil er von Fettnapf zu Fettnapf sprang. Doch der 68-Jährige überstand die Lernphase und hat jetzt tatsächlich die Chance, Kanzler zu werden.

Am Schlusspunkt seiner Kür in der Bayerischen Vertretung in Berlin haben sich Friedrich Merz und Markus Söder am Dienstag die Hand gegeben, sich an den Unterarmen gefasst. Merz blickt Söder in diesem Moment tief in die Augen. »Auf gute Zusammenarbeit«, sagt er. Danach treten beide ab, Nachfragen sind nicht erwünscht. (GEA)