Den 11. September 2011 erlebten wir im kanadischen Busch. Zu der Zeit verbrachten wir unsere Sommer in einer Blockhütte zwischen Pazifik und Rocky Mountains - ohne Stromanschluss oder Telefon. Der »Nachbar« auf Rufweite über den See hatte am Vortag die Heimreise nach Frankfurt angetreten. Wir besaßen zwar ein kleines batteriebetriebenes Kurzwellen-Radio, konnten aber tagsüber nur örtliche Sender mit vielen Störgeräuschen empfangen. Deshalb beschränkten wir uns auf die Nachrichten der Deutschen Welle zwischen 20 und 22 Uhr.
Den Tag hatte ich damit zugebracht, Fische zu räuchern. Am Abend fühlte ich mich reif für eine Dusche und Haarwäsche. Als ich nach dem Essen gemütlich vor der Hütte sitze, den Abend genieße, ruft mein Mann aufgeregt: »Da ist etwas ganz Furchtbares passiert! Die Nachrichten der Deutschen Welle haben gerade berichtet, dass zwei Flugzeuge ins World Trade Center und eines ins Pentagon gestürzt sind. Terroristen haben Linienflugzeuge in ihre Gewalt gebracht und offenbar gezielt in selbstmörderischer Absicht in die markanten Gebäude gelenkt!« Wir sind fassungslos, hören nichts als diese Schreckensmeldungen, die schon ganz sicher von einem geplanten Attentat sprechen, bis uns um 23 Uhr der Satellit ausblendet.
Was tun? Sollen wir versuchen, umzubuchen, früher nach Hause zu fliegen? Dieser Anschlag könnte einen Weltbrand auslösen. Spät fallen wir in einen unruhigen Schlaf - hier, so weit entfernt von all dem Tohuwabohu, hier, wo alles so paradiesisch erscheint, hat uns doch der Schrecken eingeholt.
Morgens schalte ich die Nachrichten des kanadischen Senders ein. Man berichtet nicht nur von den Zerstörungen, die von den Selbstmord-Attentätern angerichtet worden sind, im Pentagon ist ein Seitenflügel betroffen, und die beiden markanten Türme des World Trade Centers sind in einem ungeheuren Flammenmeer in sich zusammengesunken. Es wird von Tausenden von Toten gesprochen. Aber ich höre auch über die Zustände auf dem Flughafen Vancouver: Da der Luftraum über den ganzen USA gesperrt ist, kommen sämtliche Sommerurlauber, Touristen und Reisende nun über die Grenze, wollen ab Kanada nach Hause fliegen. Die Flughäfen gleichen Flüchtlingslagern. Es herrscht unglaubliches Chaos!
Unser erster Impuls, den Aufenthalt abzubrechen, wird schon dadurch gebremst. Immer wieder schauen wir über die Bucht, auf den See, die Wälder und Berge. Hier hat sich äußerlich nichts verändert - und doch scheint die Sonne nicht mehr so hell wie gestern, glänzen die Wellen nicht mehr so fröhlich, klingen die Vogelstimmen gedämpfter. Wir fahren in den Ort. Dort erwarten uns Briefe und elektronische Post; die Zeitungen sind voll der Schreckensbilder.
Eine Woche später erreicht uns die Nachricht, dass eine liebe Verwandte gestorben ist. Noch einmal versuchen wir, unseren Flug umzubuchen, um an der Beerdigung teilnehmen zu können. Aber immer noch herrscht Chaos auf den Flughäfen. So bleibt uns nichts anderes, als die modernen Kommunikationsmittel Telefon, Fax und E-Mail einzusetzen.
September 2001
Noch einmal diese Stille hören einmal noch die Augen füllen mit diesem Blau und Gold und atmen die Champagnerluft dies feuchte Moos noch einmal fühlen mit bloßen Zehen und schmecken der letzten Beeren Süße
einmal noch träumen eh du erwachst
