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Correctiv-Bericht: Eine Enthüllung, die wenig enthüllt

Die Rechercheplattform Correctiv hat über ein Treffen von Rechten in Potsdam berichtet. An der Berichterstattung gibt es Kritik von Medienjournalisten.

In diesem  Gästehaus in Potsdam sollen  AfD-Politiker und Rechtsextreme einen Geheimplan zur Remigration von Migranten aus Deuts
In diesem Gästehaus in Potsdam sollen AfD-Politiker und Rechtsextreme einen Geheimplan zur Remigration von Migranten aus Deutschland besprochen haben. Foto: Jens Kalaene
In diesem Gästehaus in Potsdam sollen AfD-Politiker und Rechtsextreme einen Geheimplan zur Remigration von Migranten aus Deutschland besprochen haben.
Foto: Jens Kalaene

REUTLINGEN. Die Veröffentlichung der Rechercheplattform Correctiv über ein Geheimtreffen von AfD-Politikern und Rechtsradikalen hat im letzten Jahr monatelang für Schlagzeilen gesorgt und viele Menschen auf die Straße getrieben. Sie demonstrierten gegen einen Geheimplan für die Remigration von Migranten, der in Potsdam bei dem Treffen beschlossen worden sein soll.

Der Bericht wurde mit einem renommierten Preis für investigativen Journalismus ausgezeichnet. Doch Stefan Niggemeier, ein bekannter deutscher Medienjournalist und renommierter Kritiker der Bild-Zeitung, hat erhebliche Zweifel und meldet handwerkliche Mängel an. Zusammen mit Christoph Kucklick, Leiter der Henri-Nannen-Schule, und Felix Zimmermann, Rechtsexperte und Chefredakteur der Legal Tribune Online, hat er in »Übermedien« einen Bericht verfasst, der für Debatten sorgt. Der provokante Titel: »Der Correctiv-Bericht verdient nicht Preise, sondern Kritik und endlich eine echte Debatte.«

Was wird dem Correctiv-Bericht vorgeworfen?

Die Kritik hat mehrere Ebenen. Im Zentrum steht aber, dass der Correctiv-Bericht keinen Beleg für einen Geheimplan der Rechten beziehungsweise einen Beschluss für eine massenweise Remigration von Migranten ins Ausland liefert. Vielmehr erzeuge Correctiv eine systematische Unsicherheit über das, was eigentlich die Aussage des Artikels ist und worin der Skandal von Potsdam bestehe, schreiben die drei Autoren. Die Recherche zeige zwar, dass rechte Ideen von Bürgerlichen diskutiert werden. Zum Beispiel wie »Anpassungsdruck« deutsche Staatsbürger, die als nicht deutsch genug gelten, nötigen soll, das Land zu verlassen. Aber die Erzählung von Correctiv ging weit darüber hinaus. Sie suggeriere, dass in Potsdam gemeinsam die Vertreibung von Millionen Menschen nach rassistischen Kriterien inklusive der Ausweisung auch deutscher Staatsbürger geplant wurde.

Doch belegt werde das nirgends. Hierfür gibt es nur ein Zitat von Martin Sellner, dem langjährige Gesicht der Neuen Rechten, die rassistische und völkische Positionen vertritt. Er ist ein Star der rechten Szene und hat in Potsdam bei dem Geheimtreffen einen Vortrag gehalten. Daraus zitiert Correctiv: "Sellner ergreift das Wort.

Er erklärt das Konzept im Verlauf des Vortrages so: Es gebe drei Zielgruppen der Migration, die Deutschland verlassen sollten. Oder, wie er sagt, "um die Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln". Er zählt auf, wen er meint: "Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht – und nicht assimilierte Staatsbürger". Letztere seien aus seiner Sicht das größte "Problem"." Daraus konstruiere die Rechercheplattform Correctiv einen Masterplan für die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland.

Der Correctiv-Bericht kritisiert darüber hinaus, dass sich ein Teilnehmer des Treffens auf Nachfrage nicht an die »Ausbürgerungsidee deutscher Staatsbürger« erinnern könne. Kein Wunder schreibt Übermedien, »wird doch in dem Bericht auch gar nichts über solche Ideen berichtet.« Der Gedanke einer Deportation werde nirgends belegt, sondern sei das Ergebnis einer Spekulationskaskade.

Correctiv schreibt in seinem Bericht über das Potsdamer-Treffen: »Was Sellner entwirft, erinnert an eine alte Idee: 1940 planten die Nationalsozialisten, vier Millionen Juden auf die Insel Madagaskar zu deportieren. Unklar ist, ob Sellner die historische Parallele im Kopf hat. Womöglich ist es auch Zufall, dass die Organisatoren gerade diese Villa für ihr konspiratives Treffen gewählt haben: Knapp acht Kilometer entfernt von dem Hotel steht das Haus der Wannseekonferenz, auf der die Nazis die systematische Vernichtung der Juden koordinierten.«

Laut der drei Medienjournalisten fehlt der Beleg für einen Deportationsplan, eine Ausweisung deutscher Staatsbürger sowie für einen Beschluss für diesen Geheimplan. Diese Lücke werde durch Deutungen ersetzt. »Das Prinzip Nichtbeleg und Großdeutung durchzieht den gesamten Text«, heißt es.

Wie wurde der Bericht in den Medien dargestellt?

Die Tagesschau hat unter Berufung auf Correctiv behauptet, in Potsdam sei auch über die Ausweisung von deutschen Staatsbürgern diskutiert worden. Dagegen wandte sich Ulrich Vosgerau – in zweiter Instanz mit Erfolg: Das Hamburger Oberlandesgericht untersagte dem NDR diese Behauptung. Der Sender habe nicht beweisen können, sondern als Beleg »lediglich auf Zeitungsartikel und Mitteilungen von Correctiv« verwiesen.

Was sagt Correctiv zu den Vorwürfen gegen ihre Recherche?

Der GEA hat den Correctiv-Journalisten, der gestern in Reutlingen einen Vortrag gehalten hat, um eine Stellungnahme zu der Kritik gebeten. Doch Correctiv hat aus Zeitgründen abgesagt. Auf ihrem Internetauftritt findet sich aber eine Replik: Die Rechercheplattform sieht in den Vorwürfen eher Stilkritik. »Der Kern unserer Recherche bleibt bestehen. Die Kritik der drei Autoren von Übermedien beruht überwiegend auf stilistischen Anmerkungen und der Wahrnehmung anderer Medienberichte«.

Den Vorwurf, dass sie keinen Beleg für einen Geheimplan und eine massenhafte Vertreibung von Migranten haben, kontert Correctiv damit, dass Journalisten programmatische und unklare Begriffe wie etwa Remigration in eine klare Sprache übersetzen müssten. Sonst würden sie sich dem Vorwurf aussetzen, Rechtextremisten wie Jan Sellner eine Plattform zu bieten: »Wir wollen rechtsextremen Ideologen keine Plattform geben. Was als Beleg des verfassungsfeindlichen Planung notwendig war, haben wir zitiert«. Weiter weist Correctiv eher allgemein darauf hin, dass der Autor noch über mehr Belege verfüge und es journalistische Praxis sei, Inhalte so wiederzugeben, dass sie verständlich sind: »Sellner muss gar nicht sagen, um welche Personengruppe es ihm geht. Jedem Teilnehmer auf dem Treffen dürfte bewusst sein, welche Personengruppe Ziel seiner Remigrationspläne sind.«

Ferner geht es in der Replik auch um den Vorwurf der Übertreibung und des Nicht-Belegens. Correctiv meint dazu: »Hierbei ist wohl die Kernfrage, wie gravierend man die Inhalte findet. Ein Problem ist es, die Aussagen zu verharmlosen oder nicht klar zu benennen. Wer Rechtsextremes zustimmend bespricht, zusammen mit Rechtsextremen, sollte als solches eingeordnet werden.« Correctiv freut sich über die riesige mediale Resonanz. Räumt aber ein, dass einige Interpretationen über das Ziel hinausgeschossen seien. Das habe allerdings mit dem unklaren rechten Kampffloskel Remigration zu tun. »Diese besagt nur, dass Menschen, die nach rechtsvölkischem Konzept nicht deutsch genug sind, raus aus Deutschland sollen.« Eine Auslegung, die zumindest die AfD nicht teilt (Siehe unten). (GEA)