REUTLINGEN. Deutschland hat sich politisch neu justiert und die Parteienlandschaft ordentlich aufgemischt. Die Ergebnisse der Bundestagswahl mit der Union als Wahlgewinnerin und der AfD auf dem zweiten Platz lassen keine andere Aussage zu: Die gesellschaftliche Stimmung ist nach rechts gerückt, der links-liberale Zeitgeist der Ampel-Regierung wurde abgewählt. Alle Parteien des Dreierbündnisses, von SPD, Grünen bis zur FDP, fuhren herbe Verluste ein.
Diese politische Verschiebung war auch in den Themen sichtbar. Klimaschutz rückte in den Hintergrund. Die Sorge um den Wirtschaftsstandort, der Krieg in der Ukraine und die Debatte darüber, wie Deutschland wieder die Kontrolle über Zuwanderung zurückgewinnen kann, haben den Wahlkampf bestimmt. Die Bürger wollen einen Politikwechsel, insbesondere in der Asylpolitik. Der ist den Parteien der politischen Mitte nicht gelungen.
Grüne und SPD wollten im Parlament nicht mit Friedrich Merz stimmen. Sie haben stattdessen auf Skandalisierung gesetzt und eine Diskussion über die Brandmauer losgetreten. Diese Strategie ist nicht aufgegangen. Nur die Linkspartei und die AfD haben davon profitiert. Die Rechtspopulisten, weil ihre Themen im Mittelpunkt der Debatte standen. Die Linkspartei, weil sie sich als glaubwürdiger moralischer Gegenpol positionieren konnte.
Die Stärke der politischen Ränder in Form von Linkspartei und AfD korrespondiert mit der Schwäche der Parteien der politischen Mitte. Sie fanden nicht die Kraft, um sich auf die längst überfällige Verschärfung der Zuwanderung, auf ein Rezept für den Erhalt des Wirtschaftsstandorts ohne soziale Härten sowie eine finanzierbare Energiewende zu verständigen.
Dennoch bleibt Deutschland ein gespaltenes Land. Die Menschen wollen Veränderung bei Asyl und der Wirtschaftspolitik, aber zugleich auch Schutz vor den Gefahren, die sich durch die neuen Realitäten ergeben. Deshalb hat CDU-Spitzenkandidat Friedrich Merz auch keinen klaren Auftrag der Bürger in Form eines Wahlergebnisses deutlich über 30 Prozent für eine Politikwende in der Migrationspolitik erhalten. Die Bürger wünschen sich einen Schutz vor Einseitigkeiten und vor politischen Übertreibungen. Übersetzt man das in reale Politik, bedeutet es ein Regierungsbündnis mit zwei oder gar drei Partnern. Natürlich erschwert so etwas das Regieren. Aber es bewahrt uns auch vor einer Radikalkur, wie sie US-Präsident Donald Trump seinem Land zumutet. Alles wird infrage gestellt: politische Institutionen, Handelsabkommen oder die Nato. Trump und seine Leute wollen eine neue Weltordnung, ganz nach ihrem Geschmack. Für ihren Furor gegen politische Eliten ist die Kettensäge zum Symbol geworden.
In Deutschland funktioniert die Politik anders. Sie ist auf Ausgleich ausgerichtet. Gerade mit dem Blick auf die USA könnte sich unser Verständnis über die Bedeutung des Kompromisses verändern. Er ist die Grundlage, um Streit friedlich zu lösen. Die Bundestagswahl ist eine Chance für die Parteien der Mitte. Nun gilt es, eine Regierung zu bilden. Nun können Union, SPD, Grüne und vielleicht auch die Liberalen zeigen, dass sie die Kraft für einen Kompromiss haben. Dass sie in der Lage sind, gemeinsame Antworten für die drängende Fragen der Bürger zu finden. Dass Politik für Zusammenhalt sorgen kann.