REUTLINGEN/BERLIN. Rund 90.000 Jugendliche und junge Erwachsene engagieren sich laut Bundesfamilienministerium derzeit freiwillig in sozialen, ökologischen oder kulturellen Projekten. Sie arbeiten in Rettungsdiensten, in der Pflege oder in Naturschutz- und Umweltverbänden und auch in der Landschafts- und Denkmalpflege. Seit bekannt geworden ist, dass die Bundesregierung die Finanzierung dieser Freiwilligendienste kürzen will, protestieren Sozialverbände.
Freiwilligendienste
Kürzungen in allen Bereichen geplant
Zu den Freiwilligendiensten gehören unter anderem das Freiwillige Soziale und das Freiwillige Ökologische Jahr (FSJ/FÖJ). Die Angebote richten sich an Jugendliche und junge Erwachsene. Die Altersgrenze liegt bei 27 Jahren. Darüber hinaus gibt es den Bundesfreiwilligendienst, bei dem das Alter keine Rolle spielt.
Die Ampelkoalition hat im Haushalt für das nächste Jahr für diese Dienste weniger Geld vorgesehen. Nach Angaben von Sozialverbänden sollen 78 Millionen Euro gestrichen werden. Das entspreche rund 24 Prozent aller Bundesmittel, hieß es. Bis 2025 sollen die Zuschüsse insgesamt sogar um rund 35 Prozent gekürzt werden. (dpa)
Der Arbeiter-Samariter-Bund etwa wirft der Bundesregierung vor, das ehrenamtliche Engagement junger Menschen mit Füßen zu treten. Der Paritätische Wohlfahrtsverband rechnet damit, dass durch die geplanten Kürzungen bundesweit bis zu 30.000 Stellen wegfallen. Allein das Bayerische Rote Kreuz (BRK) befürchtet, dann rund 350 Stellen nicht mehr besetzen zu können. BRK-Präsidentin Angelika Schorer spricht von einem sehr harten Einschnitt. Sie verweist darauf, wie sehr sich junge Menschen für den Freiwilligendienst interessieren. Die Zahlen auf der Warteliste seien hoch, sagt sie. »Wir könnten mehr beschäftigen.« Schorer betont, ein Freiwilliger könne keine Pflegekraft ersetzen. »Diese Arbeiten im Pflegeberuf dürfen die Freiwilligen nicht ausüben«, sagt sie. Trotzdem fürchtet sie, dass sich ein gekürzter Etat auf die Zukunft im Pflege- und Altenbereich auswirkt. »Das wäre für die sozialen Berufe auch ein schwieriger Einschnitt, weil man hier die Menschen begeistern kann, später so einen Beruf zu ergreifen.«
Der GEA hat bei den lokalen Bundestagsabgeordneten nachgefragt, wie sie zu den Plänen der Bundesregierung stehen. Obwohl Pascal Kober als FDP-Abgeordneter der Ampel-Koalition angehört, sieht er die Pläne nicht unkritisch. »Die Bundesfamilienministerin hat laut Haushaltsentwurf der Bundesregierung für ihr Ressort im kommenden Jahr fast drei Milliarden Euro mehr zur Verfügung als im Vor-Corona-Jahr 2019. Vor diesem Hintergrund wirft der Vorschlag von Frau Paus, beim Bundesfreiwilligendienst sowie bei den Freiwilligendiensten die Mittel zu kürzen, Fragen auf«, sagte er dem GEA. Im Rahmen der anstehenden Haushaltsverhandlungen werde die FDP daher genau prüfen, nach welcher Prioritätensetzung und zugunsten welcher Vorhaben und Projekte die Kürzung bei den Freiwilligendiensten erfolgen soll. Kober: »Freiwilligendienste leisten nicht nur einen wichtigen Dienst für die Gesellschaft und die Demokratie. Sie bieten einen guten Einblick in soziale Berufe, helfen Jugendlichen auch bei der beruflichen Orientierung und können so auch ein Baustein im Kampf gegen den Fachkräftemangel sein. Ebenso sehe ich in den Freiwilligendiensten gute Integrationschancen für Geflüchtete. Das sollten wir weiterhin unterstützen. Dafür werden wir uns in den parlamentarischen Verhandlungen einsetzen.«
Etwas mehr Verständnis zeigt der Tübinger Martin Rosemann, der als SPD-Abgeordneter ebenfalls Teil der Ampel ist. »Der Bundesfreiwilligendienst hat in vielen Bereichen eine große Bedeutung. Die aktuelle Haushaltsplanung findet aber unter schwierigen Rahmenbedingungen statt, geprägt durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und seine wirtschaftlichen Folgen«, erklärt Rosemann und ergänzt: »Was bisher vorliegt, ist ein Haushaltsentwurf des Bundesfinanzministers. Der Bundestag wird sich erst nach der parlamentarischen Sommerpause mit diesem Entwurf auseinandersetzen. Im parlamentarischen Verfahren wird es naturgemäß noch zu vielen Veränderungen kommen, von denen auch das Budget des Bundesfamilienministeriums und damit auch der Bundesfreiwilligendienst betroffen sein werden«.

Auf die in vielen Bereichen gestiegenen Kosten weist auch die Grünen-Abgeordnete Beate Müller-Gemmeke hin, dennoch geht sie auf Distanz zu ihrer Parteifreundin Paus. »Wir haben gerade die Pandemie überstanden, jetzt kämpfen wir mit den Folgen des Angriffskriegs auf die Ukraine, mit den Folgen für unsere Energieversorgung, und es gibt die Sorge, wie es mit unserem Klima weitergeht. Das macht was mit den Menschen und der Gesellschaft«, sagte sie dem GEA, sie betonte aber auch, dass in Zeiten wie diesen Kürzungen bei der sozialen Infrastruktur der falsche Weg seien, egal ob bei den Freiwilligendiensten, bei der Migrationsberatung oder bei der Armutsbekämpfung. Kürzungen bei den Freiwilligendiensten führten automatisch zu Lücken im sozialen Bereich. Und junge Menschen hätten weniger Möglichkeiten, sich ein Jahr lang in einem Freiwilligen Sozialen Jahr auszuprobieren und so einen passenden Weg ins Berufsleben zu finden. Müller-Gemmeke betonte: »Deshalb werde ich mich bei den Haushaltsberatungen dafür einsetzen, dass es diese Kürzungen nicht geben wird. Ich bin davon überzeugt, dass in schwierigen und anstrengenden Zeiten die soziale Infrastruktur nicht geschwächt werden darf, denn hier geht es um die Menschen und um den gesellschaftlichen Zusammenhalt.«
Schärfer formuliert wurde die Kritik naturgemäß in den Reihen der Opposition. »Die Einsparung von 78 Millionen Euro im Jahr 2024 für diesen Bereich entspricht einem Viertel der bisherigen Förderung und ist inakzeptabel und falsch«, schimpfte Michael Donth (CDU). »Und das bei der ohnehin verzweifelten und angespannten Lage im sozialen Bereich wie Krankenhäuser und Altenheime. Das darf nicht sein«, warnt der Reutlinger Abgeordnete. Er habe bereits zahlreiche Zuschriften erhalten – auch betroffenen junge Menschen hätten sich an ihn gewandt. Allein in Baden-Württemberg sind aktuell über 17.000 Personen in einem Freiwilligen Sozialen oder Ökologischen Jahr oder im Bundesfreiwilligendienst aktiv. »Dass die Bundesregierung den Rotstift ausgerechnet bei den jungen Menschen ansetzt, denen wir in der Pandemie so vieles abverlangt haben, zeigt, wie weit weg sie von den Menschen ist. Hier geht es um junge Menschen, die sich freiwillig ein Jahr für unser Land und unsere Gesellschaft engagieren wollen und das muss weiter unterstützt und gefördert werden«, so Donth, der zwingend eine Korrektur fordert.

In diese Kerbe hieb auch die Reutlinger Linken-Abgeordnete Jessica Tatti: »Der Bundesfreiwilligendienst ist eins von vielen Beispielen der miesen Sparpolitik der Ampel, die den sozialen Bereich mit voller Wucht treffen wird. Ich unterstütze den Protest der Wohlfahrtsverbände voll und ganz. Die Freiwilligendienste sind heute schon unterfinanziert. Durch die Kürzungen sind zehntausende Plätze in den Freiwilligendiensten bedroht. So werden insbesondere junge Menschen ihrer Möglichkeiten beraubt, sich gesellschaftlich zu engagieren, Lebenserfahrung zu sammeln und sich gleichzeitig beruflich zu orientieren«, beklagt Tatti. Stattdessen brauche es eine Stärkung des Bundesfreiwilligendienstes, die Erweiterung der Angebote und zusätzliche Förderungen für sozial benachteiligte Menschen, die sich ein solches Engagement sonst nicht leisten könnten. Tatti gegenüber dem GEA: »Die Ampel zeigt mit ihrem vorgelegten Sparhaushalt, dass ihr Aufrüstung und Schuldenbremse wichtiger sind als alles andere.« (GEA)