BERLIN. Kaum ist das Assad-Regime gestürzt, schon geht die Debatte los. CDU-Politiker fordern die Abschiebung von Syrern in ihre Heimat. Flüchtlinge planen freiwillig die Rückkehr. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) setzt die Bearbeitung von Asylanträgen aus. Doch es gibt auch Gegenstimmen, die vor einer übereilten Rückführung warnen. Abgeordnete von SPD und Grünen verweisen auf die unklare politische Lage in dem Bürgerkriegsland und betonen den Wert syrischer Fachkräfte für den deutschen Arbeitsmarkt. Im Fokus steht dabei der Gesundheitssektor. »In Deutschland arbeiten derzeit mehr als 6.000 Ärzte aus Syrien. Sie sind voll integriert und für die Versorgung unabkömmlich«, schreibt etwa der zuständige Bundesminister Karl Lauterbach (SPD) auf der Plattform X. Aber stimmt das überhaupt? Würde die massenhafte Abwanderung von Syrern die deutsche Wirtschaft tatsächlich vor Probleme stellen? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.
- Wie viele Syrer leben in Deutschland?
Seit Ausbruch des Bürgerkriegs im Jahr 2011 sind viele Syrer nach Deutschland ausgewandert. Besonders 2015 und 2016, während der sogenannten »Flüchtlingskrise«, erreichte die Zuwanderung ihren Höhepunkt. Das Ausländerzentralregister zählte im Oktober 2024 genau 974.136 syrische Staatsgehörige in Deutschland – also fast eine Million. Diese Zahl beinhaltet sowohl Menschen mit Flüchtlingsstatus als auch mit neu erworbener deutscher Staatsbürgerschaft.
- Wie viele Syrer wollen zurück?
Zur Rückkehrbereitschaft der Syrer in Deutschland liegen keine offiziellen Daten vor. Experten gehen aber davon aus, dass die Zahl der Heimkehrer überschaubar bleiben wird. Sie betonen, dass viele Zuwanderer gut integriert seien und ihre Zukunft in Deutschland sähen.
Für diese Einschätzung spricht auch die hohe Einbürgerungsquote. Bis Ende 2023 nahmen insgesamt rund 160.000 Syrer die deutsche Staatsbürgerschaft an. Allein im letzten Jahr entschieden sich 75.500 für die deutsche Staatsbürgerschaft. Damit machen die Syrer laut Statistischem Bundesamt die größte Gruppe unter den Eingebürgerten aus.
Außerdem ziehen Experten Vergleiche mit anderen Migrantengruppen. Die Erfahrung habe gezeigt, dass viele Flüchtlinge in der Bundesrepublik geblieben seien, auch nachdem sich die Lage in ihrem Herkunftsland beruhigt hatte.
- Wie viele Syrer arbeiten?
Insgesamt 270.000 Menschen mit syrischem Pass haben einen Job in Deutschland. Diese Zahl gilt für Mai 2024 und ist die aktuellste, die der Bundesagentur für Arbeit (BA) vorliegt. Die meisten Syrer (226.600) gehen einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nach. Hinzu kommen 65.000 Menschen mit Minijobs.
Damit beträgt die Beschäftigungsquote knapp 40 Prozent. Allerdings gibt es große Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Männer (51,9 Prozent) sind deutlich öfter beschäftigt als Frauen (18,9 Prozent).
Die größten Beschäftigungshürden sind Sprachbarrieren und Anerkennungsprobleme bei syrischen Abschlüssen. Bei Frauen kommt hinzu, dass sie oft sehr jung sind, keinen hohen Bildungsabschluss haben und vielen die Kinderbetreuung fehlt.
Insgesamt machen Syrer nur einen kleinen Teil der ausländischen Arbeitskräfte in Deutschland aus. Zum Vergleich: 5.561.000 Ausländer gingen laut BA-Statistik im Mai 2024 einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach.
- Wo arbeiten Syrer?
Zu den Branchen, in denen Syrer tätig sind, hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) Daten ermittelt. »44 Prozent der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Syrer hierzulande sind als Fachkräfte angestellt, 44 Prozent als Helfer«, sagt Arbeitsmarktforscher Enzo Weber gegenüber dem »Tagesschau«-Onlineportal. Die meisten Menschen seien in den Bereichen Verkehr, Logistik oder Sicherheit beschäftigt, aber auch in der Produktion oder in der Dienstleistung. Die übrigen zwölf Prozent sind laut Weber »auf noch höheren Niveaus« angestellt, also als Spezialisten oder Experten. Darunter fallen auch Ärzte.
- Wie viele syrische Ärzte gibt es hier?
5.758 Ärzte mit syrischem Pass zählt die Bundesärztekammer (BÄK) Ende 2023. Damit stellen syrische Staatsangehörige der Kammer zufolge die größte Gruppe ausländischer Mediziner. Hinzu kommen Menschen mit syrischem Hintergrund oder Doppelstaatler. Von zusätzlich 15.000 bis 20.000 Ärzten geht die »Syrische Gesellschaft für Ärzte und Apotheker in Deutschland« aus.
Zum Vergleich: Insgesamt 428.474 berufstätige Ärzte ermittelt die Bundesärztekammer für Deutschland. Damit sind bis zu 6 Prozent aller Ärzte hierzulande syrischstämmig.
Das klingt nach wenig. Trotzdem ist die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) besorgt. »Wir können verstehen, dass viele von ihnen in ihre Heimat zurückkehren möchten und dort auch dringend gebraucht werden«, sagt Vorstandsvorsitzender Gerald Gaß dem »Spiegel«-Magazin. Allerdings erfüllten syrische Ärzte in Deutschland vor allem in Krankenhäusern kleinerer Städte eine wichtige Aufgabe bei der Aufrechterhaltung der Versorgung. »Verlassen sie in größerer Zahl Deutschland wieder, wird dies in der Personaldecke spürbar sein.«
- Wie viele Syrer sind arbeitslos?
Arbeitslos sind laut Bundesagentur für Arbeit knapp 144.000 Syrer. Zählt man Erwerbsfähige dazu, die zum Stichtag krank sind, an Sprachkursen oder anderen Fortbildungen teilnehmen, ergibt sich eine Unterbeschäftigung von 231.000 Personen. Damit beträgt die Arbeitslosenquote von syrischen Staatsangehörigen 37 Prozent. Das ist mehr als der Durchschnitt von Personen aus Asylherkunftsländern, der liegt bei knapp 30 Prozent.
- Wie viele Syrer erhalten Bürgergeld?
Die Hälfte der Menschen mit syrischer Staatsangehörigkeit hierzulande – also etwa eine halbe Million – bezieht Bürgergeld. Diese Zahl teilt die Bundesagentur für Arbeit für August 2024 mit. Unter den Empfängern befinden sich etwa 350.000 Erwerbsfähige. Diese Zahl sinkt allerdings, wenn man Schüler und Studenten, pflegende Angehörige und Lohn-Aufstocker abzieht. Dann bleiben rund 250.000 Bezieher, also etwas mehr als die Zahl der syrischen Beschäftigen in Jobs mit Sozialabgaben.
- Wie viele Syrer sind kriminell?
Das Bundeskriminalamt erstellt jedes Jahr einen Lagebericht zur »Kriminalität im Kontext von Zuwanderung«. Für das Jahr 2023 kommt es zu dem Schluss: An allen Flüchtlingen, die in Deutschland leben, haben die Syrer einen Anteil von 21,4 Prozent. Ihr Anteil an tatverdächtigen Zuwanderern macht 19,2 Prozent aus – liegt also im erwartbaren Rahmen.
Zum Vergleich: Besonders gut schneiden die Ukrainer ab. Sie stellen 33,1 Prozent der Flüchtlinge hierzulande, aber nur 11,6 Prozent der tatverdächtigen Zuwanderer. Am anderen Ende der Skala stehen die Maghrebstaaten: Algerien, Marokko und Tunesien machen nur jeweils 0,2 Prozent der hier wohnhaften Geflüchteten aus, aber ganze 3,6 und 2,9 und 2,4 Prozent der tatverdächtigen Zuwanderer.
- Wäre die Rückkehr ein Problem?
Der Anteil der Menschen aus Syrien an den Gesamtbeschäftigten in fast allen Berufsgruppen liegt bei unter einem Prozent, erklärt IAB-Arbeitsmarktforscher Weber. Bei ihrer Rückkehr würde der deutsche Arbeitsmarkt aus seiner Sicht »nicht ausbluten«.
Indes herrscht in praktisch allen Branchen Mangel an Fachkräften und auch Arbeitskräften. In einzelnen Sektoren könnten verstärkt Probleme auftreten. Im Gesundheitswesen etwa würde der Verlust der hochqualifizierten Syrer in einigen Landesteilen Lücken reißen.
Bei anderen Bevölkerungsgruppen dagegen könnte der Fortzug eine Erleichterung bedeuten. Der Staatshaushalt und das Sozialsystem würden damit entlastet und die Gesellschaft womöglich ein Stück weit befriedet. (GEA)