ANKARA. Mit kräftiger Stimme ruft der Bundeskanzler der aufgezogenen türkischen Ehrengarde zu: »Merhaba asker.« Zu Deutsch: »Guten Tag, Soldaten.« Die Männer antworten Friedrich Merz: »Sag ol« – »Danke«. Nur Augenblicke zuvor hallen Salutschüsse durch das sonnige Ankara, während die deutsche Nationalhymne erklingt. Die berittene Präsidentengarde zieht vorbei.
Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan weiß, wie er seine Gäste empfängt. Obwohl er Friedrich Merz am Donnerstag nur zu einem Arbeitsbesuch empfängt, bietet er das volle militärische Zeremoniell vor seinem Palast auf. Erdogan selbst schleppt sich mehr, als dass er die Formation abschreitet. Er ist in die Jahre gekommen, international aber auf dem Höhepunkt seines Einflusses.
In der rauen Arena der Weltpolitik hat Erdogan dem Kanzler zwei Dinge voraus: Anders als Merz verfügt Erdogan über Streitkräfte, die kämpfen können. Und er hat viel Erfahrung in der neuen Weltordnung der Kriege und Konflikte. Im vom Zerfall bedrohten Syrien soll die Türkei nach dem Willen Erdogans Ordnungsmacht sein. Und ohne sein Zutun hätte es keinen Waffenstillstand (wenn auch brüchig) im Gaza-Streifen gegeben. Merz hatte ihn jüngst dafür im Bundestag gelobt und er tut es auch in Ankara noch einmal.
Deutschland lernt mühevoll die harten Lektionen der Außenpolitik. Die Schutzmacht Amerika ist unter ihrem Präsidenten Donald Trump unberechenbar geworden und der einstige Energielieferant Russland führt einen brutalen Krieg gegen die Ukraine. Das günstige sibirische Gas fehlt der deutschen Industrie. Der Bundeskanzler muss kämpfen um deutschen Einfluss in der Welt.
»Als Deutsche müssen wir strategische Partner- schaften ausbauen«
Seine Idee: Warum nicht mit der Türkei noch enger zusammenarbeiten, um als verlässliche Partner der aggressiven Politik Amerikas, Chinas und Russlands zu trotzen. Von Mittelmacht zu Mittelmacht. »Als Deutsche und als Europäer müssen wir unsere strategischen Partnerschaften ausbauen. Und dabei wird kein Weg an einer guten und vertieften Partnerschaft mit der Türkei vorbeiführen«, erläutert Merz seinen Ansatz.
Ein erstes handfestes Angebot hat er bereits gemacht. Erst jüngst gab der CDU-Vorsitzende die Zustimmung dazu, dass die Europäer 20 Eurofighter an die türkische Luftwaffe liefern. Dabei soll es nicht bleiben. Merz kündigte an, dass die Rüstungsfirmen beider Länder künftig einen ausgesetzten Dialog wieder aufnehmen werden. Gleiches gilt für eine große deutsch-türkische Wirtschaftskonferenz und den strategischen Dialog der Außenminister. Die Türkei soll näher an Europa heranrücken.
Das Verhältnis von Merz und Erdogan ist gut. Auf seiner Reise in die türkische Hauptstadt ist Kanzlergattin Charlotte dabei. Erdogans Frau Emine hatte sie eingeladen. Der Präsident ist ein Familienmensch. Der Kanzler und seine Frau sind schon am Abend zuvor angereist, zufällig am türkischen Nationalfeiertag. Die Restaurants sind voll, die Kellner schwenken Fähnchen und tanzen.
Kurz vor Mitternacht holt den Kanzler noch die Stadtbild-Debatte ein, aber auf die nette Art. In der Bar des Hotels, in dem die deutsche Delegation abgestiegen ist, hockt der Kanzler noch mit seinem Stab zusammen. Eine junge Deutsch-Türkin mit Kopftuch nimmt ihren Mut zusammen und fragt den Kanzler nach einem Selfie. Sie ist im Ruhrgebiet aufgewachsen und arbeitet heute wieder in Ankara für ein europäisches Unternehmen. Der Kanzler lächelt mit ihr in die Kamera des Handys. Das Bild schickt sie direkt an ihre Schwester nach Deutschland. »Jetzt hast Du sein Stadtbild verändert«, schreibt sie zurück.
Um die Harmonie mit dem neuen strategischen Partner nicht zu gefährden, spricht Merz die dunklen Seiten Erdogans nur sehr zart an. Zehntausende sitzen seit Jahren in den Knästen, weil sie verdächtigt werden, am Putschversuch von 2016 beteiligt gewesen zu sein. Auch der wichtigste Oppositionspolitiker Ekrem Imamoglu ist in Haft.
Neben persönlicher Sympathie haben Merz und Erdogan politische Anknüpfungspunkte. In Syrien und Israel zum Beispiel. An diesen beiden Hartpunkten der türkischen Außenpolitik fallen türkische Interessen mit denen Deutschlands zusammen.
Nur wenn Syrien stabilisiert wird und die immer wieder aufflammenden Kämpfe zwischen den Volksgruppen enden, könnten syrische Flüchtlinge aus Deutschland in ihre Heimat zurückkehren. Was Erdogan fehlt, ist Geld. Der Staat muss sparen. Die Inflation ist hoch und die türkische Lira ist schwach. Deutschland hat Geld. Zur Migrationsfrage gehört auch, dass die Türkei mehr türkische Flüchtlinge aus Deutschland zurücknimmt. Über 20.000 sind ausreisepflichtig, deren Asylantrag abgelehnt wurde. »Hier wollen wir noch besser werden«, sagt der Kanzler.
»Jetzt hast Du sein Stadtbild verändert«
Und Israel? »Die Bundesrepublik Deutschland steht seit der Gründung des Staates Israel, fest an der Seite des Landes«, betont der Kanzler in Ankara. Doch Israel und der Gaza-Streifen sind eine heikle Angelegenheit. Erdogan hatte die Hamas Freiheitskämpfer genannt, hohe Funktionäre werden offiziell empfangen. Als er mit Merz vor die Presse tritt, klagt er Israel des Völkermords an. Sein Gast kann das so nicht stehen lassen und sagt: Israel hat von seinem Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch gemacht.
Beide Männer eint hier Überzeugung und der Wille, keinen Aufschrei der Empörung in ihren eigenen Ländern auszulösen. Erdoğan inszeniert sich in der Traditionslinie der osmanischen Sultane als Schutzherr aller Muslime. Er ist bereit, Soldaten für die internationale Gaza-Friedenstruppe abzustellen. Doch sein Verhältnis zum israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu ist schwer belastet, er schimpfte ihn öffentlich »Schlächter von Gaza«. Netanjahu wiederum will keine türkischen Einheiten an seiner Grenze haben. Friedrich Merz könnte zwischen den beiden Anführern vermitteln. Ohne eine Verständigung zwischen Erdogan und Netanjahu wird aus der wackeligen Waffenruhe kein Friede von Dauer. (GEA)

