REUTLINGEN. Friedrich Merz zeigt Gefühle. Und spricht darüber im TV. Das ist neben der Staatskrise in Frankreich, den schwierigen Verhandlungen zur Beendigung des Gaza-Krieges und der (verbalen) Aufrüstung in Sachen Drohnen-Abwehr durchaus eine Nachricht. Vor allem aber die Reaktionen darauf sind interessant: Verschiede Medien sprachen von »Stärke«, die Merz in seiner Emotionalität zeigte, »ehrlich und sympathisch« sei sein Auftritt in der Münchner Synagoge gewesen, ein Moment der Verletzlichkeit, bei einem Mann, der sonst für Härte stehe. Selbst von der politischen Konkurrenz kamen wohlwollende Worte.
Auch Kanzler dürfen Emotionen zeigen, keine Frage. Emotionen machen einen Menschen nahbar, lassen ein Stück weit in sein Innerstes schauen - jedenfalls wenn sie echt sind. Und diesen Anschein hatte es bei Merz' Rede in der Synagoge durchaus. Ihm waren seine eigenen Schilderungen über die Monstrosität des Holocausts nahegegangen. Man könnte sich sogar denken, dass Merz im ersten Augenblick selbst nicht glücklich war über seinen Ausbruch. Denn man stelle sich vor, wie die Reaktionen ausgefallen wären, wenn Angela Merkel in einer Rede den Tränen immer wieder so nahe gewesen wäre. Für den Mann und Manager Merz jedoch war es ein Imagegewinn.
Die Erkenntnis daraus: Selbst bei den lieben Emotionen gibt es eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Männer dürfen in Politik und Wirtschaft auch mal weinen, Frauen eher nicht. Eine Angela Merkel wäre wohl kaum 16 Jahre lang Kanzlerin geblieben, hätte sie sich nicht einen gewissen Panzer zugelegt. Doch Merz wird seine neu erlangte Nahbarkeit bald nötig brauchen. Spätestens dann, wenn er den Bürgerinnen und Bürgern erklären muss, welche Herbst-Reformen ihnen ganz besonders weh tun werden.

