REUTLINGEN. Das Bild der johlenden und feixenden AfD-Bundestagsabgeordneten, die ihren Triumph auf Fotos festhalten, wird sich ins kollektive Gedächtnis der Bundesrepublik einbrennen. Eine politische Mehrheit für einen härteren Kurs gegen Migranten kam mithilfe der AfD-Stimmen zustande. Das ist in der Tat ein Tabubruch. Doch er ist nicht die Folge eines Rechtsrucks, sondern das Ergebnis von politischen Verkrustungen, Machtspielen und einer gehörigen Portion parteipolitischem Egoismus.
CDU-Chef Friedrich Merz ist mit seinem Vorstoß, sich notfalls mit den Stimmen der AfD eine Mehrheit zu holen, ein erhebliches Risiko eingegangen. Damit hat er auch seine Partei vor eine Zerreißprobe gestellt. Das sorgte dafür, dass bei der Abstimmung am Freitag über das Zustrombegrenzungsgesetz auch wegen CDU-Abweichlern keine Mehrheit zustande kam. Doch Merz ging es nicht darum, die Rechtspopulisten hoffähig zu machen und für sie die Tür zur politischen Mitte aufzustoßen. Sein Ziel war etwas anderes: Er wollte nach den grausamen Anschlägen in Magdeburg und Aschaffenburg die politische Blockade in der Asylpolitik überwinden. Zudem wollte er mit seinem Vorstoß die AfD kleinkriegen. Denn eine Mehrheit der Bürger wünscht sich laut Umfragen ein härteres Vorgehen in der Asylpolitik. Wer will, dass dies in praktische Politik umgesetzt wird, der muss nach der Merz-Logik seine Stimme der CDU geben und nicht den Polterern der AfD. Denn Merz versprach zugleich, nur mit Parteien eine Regierung zu bilden, die diesen Kurswechsel mittragen.
Natürlich steckt in dem Vorgehen von Friedrich Merz auch ein wahltaktisches Kalkül. Wer diese Politik nicht mitträgt, scheidet als potenzieller Koalitionspartner aus, verkündet der CDU-Parteichef. Mit diesem politischen Ultimatum wollte er SPD und Grüne zu einem Kompromiss und einer Korrektur ihrer bisherigen Linie zwingen. Doch SPD und Grüne zeigten dem Sauerländer die kalte Schulter. Sie nutzen die Gelegenheit, um ihre Wahlklientel zu mobilisieren und die CDU in die rechte Ecke zu stellen. SPD und Grüne schlüpften in die Rolle der Verteidiger der Demokratie. Es ging fortan nur noch um Tabubruch und eine Brandmauer gegen Rechts.
Olaf Scholz und Robert Habeck sprachen im Streit um einen Asyl-Kompromiss von staatspolitischer Verantwortung. Doch genau dieser sind die beiden nicht gerecht geworden. Statt mit der CDU die überfällige Kurskorrektur in der Asylpolitik anzugehen, beharrten sie rechthaberisch darauf, dass diese nicht umsetzbar sei und sie alles richtig gemacht hätten. Dass eine Mehrheit in der Bevölkerung genau diesen Wechsel aber wünscht, wurde geflissentlich ignoriert. Genau diese Politik des Weghörens, Ignorierens und Besserwissens ist es aber, die der AfD die Wähler zutreibt.
Der Versuch von SPD und Grünen, durch Ausgrenzung die Rechtspopulisten aus den Parlamenten zu drängen, ist gescheitert. Das zeigen die Umfragen zur Bundestagswahl, und das zeigt ein Blick in die Parlamente in den neuen Bundesländern. Es ist höchste Zeit, das anzuerkennen und neue Wege zu suchen. Die Asylwende der CDU ist ein realistischer Plan, um die AfD kleinzukriegen. Leider wurde die Chance dafür leichtfertig verspielt. Das Ergebnis sind Schuldzuweisungen statt politischer Lösungen. Das hilft nur den Populisten und schwächt die politische Mitte.