REUTLINGEN. In der Minute, in der es passierte, damals »Nine-Eleven«, lauschten meine Frau Iris und ich auf der DSEi, einer Defence und Security-Messe in London, der Eröffnungsrede des britischen Verteidigungsministers. Im Auditorium befanden sich seine Amtskollegen, insbesondere die der Nato-Staaten, sowie hunderte von Generälen, Admirälen und weitere hohe Offiziere.
Auch Beamte von sogenannten Beschaffungsbehörden aus allen Teilen der Welt waren präsent und, wie jedes Jahr, die wichtigsten Köpfe der Verteidigungsindustrie. »Wenn jetzt hier eine Bombe hochginge, es wäre eine Katastrophe für die Armeen der westlichen Welt«, meinte jemand neben uns. Noch hatte keiner eine Ahnung, was in New York gerade abging. Später dann, beim gewohnten Messebetrieb, raunte es aus allen Ecken, dass in den USA wohl ein schrecklicher Terroranschlag stattgefunden hätte.
Niemand wusste jedoch etwas Konkretes, insbesondere weil Handys wegen des Fotografier-Verbots auf dem Messegelände nicht gestattet waren (viele Mobiltelefone boten damals bereits die Fotofunktion). Ohnehin waren zu diesem Zeitpunkt die Kommunikationsnetze hoffnungslos überlastet. Neben dem Messegelände wurde, wie wir später erfuhren, eiligst ein Büroturm geräumt, auch die Messehallen sollten evakuiert werden, jedoch weigerten sich die Aussteller und die Messebesucher gleichermaßen, Folge zu leisten.
Wie gewohnt gingen die Gespräche an den Ständen weiter, die Firma Diehl aus Nürnberg eröffnete nach Messeschluss sogar, wie geplant, ihr »Oktoberfest«, welches die internationalen Gäste bereits traditionell erwarteten. Wir kamen mit dem Reisemobil aus Schottland und mussten weiter auf die vorgebuchte Fähre Calais-Dover. In Frankreich kehrten wir zum Abendessen in einen Autobahnrasthof ein.
Es herrschte gespenstische Ruhe, als wir eintraten. Alle, Gäste und Personal, standen vor einem TV-Bildschirm, der an der Wand befestigt war. Mit entsetztem Blick folgten sie der Berichterstattung. Was auf dem Bildschirm ablief, mutete zunächst an wie ein schlechter Phantasie-Streifen; Eine Verkehrsmaschine fliegt in einen der Türme des WTC und kommt auf der anderen Seite pulverisiert als glutrote Explosion wieder heraus. Das französische Fernsehen bot zu diesem Zeitpunkt nur eine einzige aufgezeichnete Sequenz, die immer und immer wieder gesendet wurde. Erst in den folgenden Tagen, sollten sich Aufnahmen aus weiteren Perspektiven hinzugesellen, all die vielen, die uns nie wieder aus dem Gedächtnis weichen sollten.
Wir selbst hatten im Vorjahr New York besucht, die Türme mit dem Heli umkreist und sind auf einem der Twins gestanden. Wer diese mächtigen Bauwerke auch von innen kennt, ist von dem Ereignis wohl besonders betroffen. Nachhaltig in Erinnerung bleiben werden uns die grauen Antlitze der Menschen in dem französischen Autobahnrasthof, die - in gespenstischer Stille - Fassungslosigkeit und Entsetzen widerspiegelten. Aber auch die trotzige Haltung der Militärs in der Londoner Messehalle, die wegen eines »dahergelaufenen« Terroristen nicht daran dachten, sich evakuieren zu lassen.
