BERLIN. Einen schlanken, sich auf wesentliche Kernpunkte konzentrierenden Koalitionsvertrag hatten Union und SPD versprochen. Daraus wurde nichts. Mehr als 140 Seiten ist der Vertrag dick, er ergießt sich in aufwändigen Detailbeschreibungen. Hier einige der wichtigsten Punkte:
- Das Bürgergeld wird abgewickelt
Die Union hatte es im Wahlkampf vehement bekämpft, ihr Kanzlerkandidat Friedrich Merz die Abschaffung versprochen. Am Ende haben CDU und CSU sich damit durchgesetzt: Die neue Regierung schickt das Bürgergeld gut zwei Jahre nach seiner Einführung schon wieder in die Rente. Der geschäftsführende Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte sich in der Ampel-Koalition sehr für das Bürgergeld eingesetzt. Statt des Bürgergeldes soll es nun eine »Neue Grundsicherung« geben. Wie die genau aussieht, muss im Gesetzgebungsverfahren erst noch geklärt werden. Klar ist aber: Es wird eine neue Berechnungsgrundlage eingeführt, die zu einer Verringerung der Bezüge führt. Gleichzeitig werden die Sanktionen verschärft, wenn Grundsicherungsempfänger nicht arbeiten gehen, obwohl sie es könnten. Eine »Kommission zur Sozialstaatsreform« soll bis Ende des Jahres Vorschläge vorlegen.
- Die Wochenhöchstarbeitszeit soll kommen
Ein weiterer Punkt, der an die Union geht, ist die Einführung einer Wochenhöchstarbeitszeit. Sie soll die tägliche Begrenzung von maximal acht Stunden plus möglicher Verlängerung um zwei Stunden ersetzen. Auch hier darf man auf die konkrete Ausgestaltung gespannt sein, die parlamentarische Auseinandersetzung darüber könnte zum Streitfall zwischen Union und SPD werden. Denn die Lesart der Schwarzen ist, dass eine Wochenhöchstarbeitszeit im Sinne der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist. Den Roten schwant hingegen Böses: Sie vermuten, dass die neue Regelung von den Arbeitgebern ausgenutzt wird, weil die ihre Beschäftigten praktisch nach Belieben einsetzen können. Womöglich entscheidet die neue Regierung aber endlich einmal darüber, wie die Arbeitszeiterfassung gesetzlich umgesetzt wird.
- Die Aktivrente macht das Alter schöner
Es kommt immer auf die Wortwahl an, das gilt auch für die Rente. Statt von einer weiteren Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters ist im Koalitionsvertrag hiervon die Rede: »Arbeiten im Alter machen wir mit einer Aktivrente attraktiv«. Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht und freiwillig weiterarbeitet, bekommt sein Gehalt bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei. Darüber hinaus werden die Hinzuverdienstmöglichkeiten bei der Hinterbliebenenrente verbessert. Ein abschlagsfreier Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren wird auch künftig möglich bleiben. Unklar ist noch, ob die Standardrente – es handelt sich um einen Durchschnittswert zur Berechnung der tatsächlichen Rentenhöhe – bald auf der Grundlage von 47 Beitragsjahren ermittelt wird und nicht mehr wie bisher auf der Basis von 45 Jahren. Die Folge dieses Unions-Wunsches wäre, dass Versicherte zwei Jahre länger arbeiten müssten, um auf dieselbe Rente zu kommen wie heute. Die Mütterrente wird auf Betreiben der CSU ausgeweitet.
- Rente schon für Kinder
Schon 2026 soll die »Frühstart-Rente« ins Leben gerufen werden. Für jedes Kind vom sechsten bis zum 18. Lebensjahr, das eine Bildungseinrichtung in Deutschland besucht, werden pro Monat zehn Euro in ein individuelles, kapitalgedecktes und privatwirtschaftlich organisiertes Altersvorsorgedepot eingezahlt. Der angesparte Betrag kann anschließend ab dem 18. Lebensjahr bis zum Renteneintritt durch private Einzahlungen bis zu einem jährlichen Höchstbetrag weiter bespart werden. Das ist im Prinzip die konsequente Fortsetzung der Aktienrente, die bei der Ampel eingeführt wurde.
- Schärfere Migrationsregeln
Die Aufregung um das Zustrombegrenzungsgesetz, das die alte Unions-Bundestagsfraktion unter Zuhilfenahme von AfD-Stimmen durch den Bundestag bringen wollte, war groß. Das Vorhaben scheiterte unter anderem an der SPD, in der neuen Legislaturperiode bekommt Friedrich Merz es nun doch noch durch. Zwar nicht eins zu eins, aber in den Regeln zur »Begrenzung der Migration« der neuen Regierung findet sich vieles wieder, was im Zustrombegrenzungsgesetz auch schon so angelegt war. So wird das Wort »Begrenzung« der Migration ausdrücklich und zusätzlich zur »Steuerung« wieder in das Aufenthaltsgesetz aufgenommen. In Abstimmung mit den europäischen Nachbarn sollen Zurückweisungen direkt an den gemeinsamen Grenzen vorgenommen werden. Merz konnte damit eines seiner zentralen Wahlkampfversprechen durchsetzen. Kritiker sehen allerdings viele juristische Hürden. So ist unklar, ob sich das Völker- und Europarecht tatsächlich mit nationalen Regeln aushebeln lässt. Bisher gilt: Wer an der Grenze das Wort »Asyl« sagt, der bekommt es auch. Spannend wird auch sein, ob sich Merz als künftiger Kanzler wie im Wahlkampf angekündigt bei der Zurückweisung an den Grenzen auf einen »Notstand in der Migrationsfrage« berufen will. Die Migrationszahlen sind unter der Ampel-Regierung deutlich zurückgegangen. Viele Kommunen haben nicht mehr den ganz großen Druck bei der Unterbringung von Flüchtlingen – eine »Notlage« scheint derzeit nur schwer begründbar zu sein. Gleichzeitig will Schwarz-Rot, und das geht vor allem auf die SPD zurück, mehr Geld in die Integration investieren. Eine verpflichtende Integrationsvereinbarung soll künftig Rechte und Pflichten der Geflüchteten definieren. Eine Einbürgerung ist künftig nicht mehr nach drei, sondern erst nach fünf Jahren möglich. Vor allem die CSU hatte diese »Turboeinbürgerung« heftig kritisiert.
- Wirtschaft
Das Thema Wirtschaft steht gleich zu Anfang des Koalitionsvertrags und nimmt erwartungsgemäß großen Raum ein. Auch als Reaktion auf die protektionistische Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump soll es erhebliche Anreize beim Kauf eines E-Autos geben. Geplant ist eine steuerliche Begünstigung von Dienstwagen durch eine Erhöhung der Bruttopreisgrenze bei der steuerlichen Förderung auf 100.000 Euro. Bisher endet die Förderung bei einem Kaufpreis von 65.000 Euro. Gleichzeitig heißt es auch: »Mit den USA streben wir mittelfristig ein Freihandelsabkommen an, kurzfristig wollen wir einen Handelskonflikt vermeiden und setzen auf die Reduzierung von Einfuhrzöllen auf beiden Seiten des Atlantiks.« Das Lieferkettengesetz – es regelt die unternehmerische Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten in globalen Lieferketten – wird abgeschafft. Die Wirtschaft hatte es wegen zahlreicher Kontrollpflichten immer wieder kritisiert. Um die stromintensiven Branchen zu entlasten, soll es einen Industriestrompreis geben. Das Ziel ist eine Entlastung um mindestens fünf Cent pro Kilowattstunde.
- Bürokratieabbau
Der Koalitionsvertrag macht Mittelstand, Handwerk und Selbstständigen Hoffnung auf einen schnellen Bürokratieabbau – den allerdings haben die vorherigen Regierungen regelmäßig auch zugesagt und immer trat das Gegenteil ein. Jedenfalls soll es für die genannten Berufsgruppen flexiblere gesetzliche Rahmenbedingungen, einfachere Vergabeverfahren und schnellere Genehmigungsprozesse geben. Fürs ganze Land gilt: »Wir bauen Bürokratie und Dokumentationspflichten ab, vereinfachen Normen und Standards mittelstandsgerecht, reduzieren die Nachweisführung von Fördermitteln und erleichtern den Zugang zu Innovationsprogrammen.« Das soll die Arbeits- und Fachkräftesicherung ebenso voranbringen wie die Digitalisierung, aber auch die Entlastung der Landwirte ist gedacht: Schwarz-Rot will »Agraranträge vereinheitlichen und vereinfachen und die Entwicklung von digitalen Anträgen in der Landwirtschaft vorantreiben«.
- Finanzen und Steuern
Steuererhöhungen sind zunächst einmal nicht geplant. Ob das so bleibt, muss abgewartet werden, Denn viele der Vorhaben im Koalitionsvertrag stehen unter einem sogenannten Finanzierungsvorbehalt. Mit anderen Worten: Es ist noch nicht klar, wo (Beispiel Mütterrente) das Geld dafür herkommen soll. Will Schwarz-Rot alles umsetzen, was im Koalitionsvertrag steht, reicht auch das bereits beschlossene Sondervermögen von 500 Milliarden Euro bei Weitem nicht zur Deckung der Kosten aus. Weil die Konjunktur wackelt, die Inflation steigt und sich Deutschland in einer Rezession befindet, sind höhere Steuern womöglich doch noch erforderlich. Darüber hinaus gilt: Die Körperschaftsteuer wird ab 2028 in fünf Schritten um jeweils einen Prozentpunkt abgesenkt. Kleine und mittlere Einkommen können zur Mitte der Legislaturperiode, also in etwa zwei Jahren, mit einer Senkung der Einkommensteuer rechnen. Die Pendlerpauschale von 38 Cent soll ab nächstem Jahr bereits ab dem ersten Kilometer gezahlt werden. Eine gute Nachricht für Gastwirte, aber auch für deren Gäste: Die Umsatzsteuer für Speisen in der Gastronomie wird zum Jahreswechsel dauerhaft auf sieben Prozent gesenkt. Die Agrardiesel-Rückvergütung wird vollständig wieder eingeführt. Der Rest-Soli für etwa zehn Prozent der Einkommensbezieher bleibt bestehen.
- Energie
Dieser Teil ist zwar sehr wortreich gestaltet, inhaltlich aber auffallend schwammig. Der Grundsatz lautet: »Wir bauen die Forschung im Bereich Photovoltaik, Windenergie, Geothermie, Wasserstoff sowie Speichertechnologien wie zum Beispiel Batterien aus«. Ziel soll auch sein, dass der erste Fusionsreaktor der Welt soll in Deutschland steht. Zur Zukunft der Kernkraft macht die Koalition in ihrem Vertrag keine Aussagen. (GEA)