»Die Personalsituation im Rettungsdienst wird immer angespannter, weil dort die Mitarbeiter nicht so einfach zu rekrutieren sind«, weiß auch der Reutlinger Notarzt Dr. Gernot Gaier zu berichten. Auch er hat es schon erlebt, dass mangels Personal der Notarzt ohne Rettungswagen zum Einsatz fahren musste. »Das kann doch in niemandes Interesse sein«, lässt der Arzt seiner Einschätzung freien Lauf. Der Notarzt schlägt Alarm. Ein Notfall im Notfallsystem.
Um zu retten, was zu retten ist, muss vieles nahtlos ineinandergreifen. Das reicht von einem funktionierenden Notrufsystem und intakten Rettungsleitstellen, über moderne Rettungsfahrzeuge und Rettungstransporthubschrauber bis hin zum Personal, das die medizinische Versorgung am Unfallort gewährleistet.
»Ich muss doch irgendwie meine Familie durchbringen«In der Reihe der Helfer spielen die Rettungsassistenten eine entscheidende Rolle. Sie bringen nicht nur den Arzt an die Unglücksstelle, sondern leisten auch bei der Notfallrettung wichtige Dienste. Ihr Arbeitsfeld ist weit gespannt. So führen sie zum Beispiel Herzlungenwiederbelebungen durch, verabreichen bei Sauerstoffmangel Sauerstoff, legen intravenöse Zugänge und bereiten Medikamente für den Notarzt vor. Bei bestimmten Krankheiten dürfen sie auch selbst Arzneien verabreichen.
Während die Verantwortung der Rettungskräfte wächst, hält die Bezahlung der Rettungsassistenten mit den gestiegenen Anforderungen nicht Schritt. Zwischen 1 400 Euro und 2 200 Euro netto verdient ein Rettungsassistent pro Monat, je nach Alter und Beschäftigungsdauer. "Damit lässt sich jedoch kaum eine Familie versorgen", sagt Florian S. Er ist 46 Jahre alt und hat zwei Kinder zu versorgen. Wenn es irgendwie geht und es der Schichtdienst zulässt, jobbt er in einer Kneipe. »Ich muss doch irgendwie meine Familie durchbringen«, sagt er.
»Üppig ist das Gehalt nicht«, gesteht auch Udo Bangerter, Leiter der Pressestelle beim DRK-Landesverband Baden-Württemberg, zu. Er beruft sich jedoch darauf, dass die Rettungsdienste an die tariflichen Regelungen gebunden sind. Das DRK zahle die Rettungsassistenten »ja quasi« nicht aus der eigenen Tasche. »Vielmehr«, so Bangerter, »tragen die Krankenkassen die Personalkosten des Rettungsdienstes.« Tatsächlich werden die Arbeitsverträge aber zwischen den einzelnen Rettungsdiensten und den jeweiligen Arbeitnehmern gemacht; sie bezahlen auch die Rettungsassistenten. Der Schwarze Peter im Notfallsystem wird gerne weiter gegeben.
"Unser Problem ist", so der DRK-Sprecher, "dass wir die Personalkosten mit den Krankenkassen aushandeln und gegenüber denjenigen, die den Rettungsdienst bezahlen auch vertreten müssen. Deshalb liege es "nicht in der Macht des DRK, dieses Gehaltsgefüge frei zu wählen".
Das Berufsbild des Rettungsassistenten ist zwar interessant und vielschichtig. Doch wegen der Bezahlung ziehen es viele vor, in andere, besser bezahlte Jobs zu wechseln. Den Vorwurf jedoch, dass der Markt für Rettungsassistenten wegen schlechter Bezahlung leer gefegt ist, will Udo Bangerter nicht teilen. Er sieht in der steigenden Zahl von Bewerbern um einen Ausbildungsplatz zum Notfallsanitäter den Rettungsdienst eher aufgewertet. »Das ist ein neues Berufsbild«, sagt der DRK-Mann und ergänzt: »Das soll den Rettungsassistenten nach und nach ablösen.« Bangerter gibt allerdings zu, dass die Bezahlung mit den Rettungsassistenten derzeit gleichgestellt ist.
Unterdessen spitzt sich die Lage in der Notfallversorgung immer weiter zu. Wenn Rettungskräfte fehlen, steigt zwangsläufig die Belastung der verbleibenden Rettungsassistenten. Zwischen 2013 und 2015 haben die Fahrten um 30 Prozent zugenommen. Von den vier Hilfsorganisationen im Land verzeichnet allein das DRK im Jahr 2014 über 500 000 Notfallrettungseinsätze. Wenn aber das Personal knapp ist, gibt es zwangsläufig Reibungsverluste, die sich dramatisch auswirken können. Im Rettungswesen geht es um Leben oder Tod.
Nach einer Statistik des Innenministeriums waren die Helfer im Jahr 2014 nur in 90,7 Prozent der Fälle innerhalb von 15 Minuten im Einsatz – also später, als es vom Rettungsgesetz gefordert wird. Dass die Helfer dabei manche Fahrt umsonst machen, weil sie nicht nur von tatsächlichen Notfallopfern, sondern auch von Kranken aufgesucht werden, die auch mit einem Taxi in eine Klinik fahren könnten, macht die Sache nicht besser. Rettungsassistenten und Notärzte berichten zum Beispiel davon, dass immer wieder kleine Schwindelanfälle zum Anlass genommen werden, einen teuren Rettungseinsatz zu ordern. Tatsächlich haben Retter prinzipiell andere Aufgaben, als Menschen mit Wasser wieder aufzupäppeln, weil sie vergessen hatten, genügend zu trinken.
»Im Rettungsdienst gibt es nichts, was es nicht gibt«Die Rettungsassistenten werden oft hart gefordert. Der Anblick von Opfern ist selbst für langjährige Helfer nicht immer leicht zu ertragen. Ganz sachlich berichtet Rettungsassistent Winfried N.: »Ich habe schon die ganze Bandbreite menschlichen Leids gesehen.« Und dann sprudelt es förmlich aus ihm heraus. »Ein abgerissener Fuß bei einem Motorrad-Unfall; schwer traumatisierte Unfallopfer; ein Mann, der sich vor einen Zug gelegt hat; eine Frau, die sich erhängt hat.« Bedauernd fügt er hinzu: »Im Rettungsdienst gibt es nichts, was es nicht gibt.« Einmal wurde sein Notfallteam zu einem Mord gerufen. Eine Frau hatte ihren Mann mit einem Messer erstochen. Das Messer steckte noch in der Brust, als die Helfer eintrafen. »Ich dachte eigentlich: Das ist nichts Besonderes, alles Routine.« Doch weit gefehlt: Am nächsten Tag ging es dem Retter schlechter als jemals zuvor. Er bekam das Bild nicht mehr aus seinem Kopf heraus.
Die normale Wochenarbeitszeit vieler Rettungsassistenten beträgt 48 Stunden, in Worten: achtundvierzig. Diese verteilen sich in der Regel auf vier Mal 12 Stunden in der Woche. Wer nun davon ausgeht, dass diese Zeit auch bezahlt wird, geht fehl. Von diesen 12 Stunden werden lediglich 9,6 Stunden als Arbeitszeit vergütet. Die restliche Zeit wird als Bereitschaftsdienst gewertet und mit keinem Cent entgolten. Sinn einer Bereitschaftszeit ist es, dass sich die Beschäftigten an ihrem Arbeitsplatz bereithalten, um bei Bedarf schnellstmöglich zu helfen. Eine Pause liegt da nicht drin.
Der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) macht dazu jedoch eine andere Rechnung auf. »Wir haben keine Bereitschaftsdienste oder Bereitschaftszeiten«, sagt Daniel Groß, stellvertretender Landesgeschäftsführer des ASB. Bei einem 12-Stunden-Tag bekomme der Mitarbeiter auch zwölf Stunden bezahlt, sogar jene Zeiten, in denen er nicht arbeiten muss. Einen gehaltsmäßigen Unterschied zu einem Mitarbeiter, der beim ASB in der 38,5-Stunden-Woche beschäftigt ist, gibt es jedoch nicht: Er erhält den gleichen Lohn. In eher ländlichen Gebieten gibt es eine geringere Einsatzfrequenz als in städtischen Wachen. Dort arbeitet ein beim ASB beschäftigter Rettungsassistent tatsächlich nur 38,5 Stunden. »Wenn ich das auf Stunden umrechne, bekommt derjenige, der eine höhere Stunden-Woche macht, pro Stunde weniger«, sagt Groß und fügt hinzu: »Das ist ja logisch.« Die Rechnung mag juristisch sattelfest sein. Sie verschleiert aber trotzdem, dass die Bereitschaftszeit tatsächlich nicht gezahlt wird.
»In der Bereitschaftszeit«, sagt Rettungsassistent Jan H. vom Arbeiter-Samariter-Bund, »kann ich nicht nach Hause fahren, um mir eine Mahlzeit zuzubereiten, denn in der Bereitschaftszeit muss ich jede Sekunde zum Einsatz bereit sein.« Die 28-jährige Rettungsassistentin Miriam K. schildert ihren Tageseinsatz so: »Ich bin 12 Stunden da und stehe 12 Stunden unter Strom, der Piepser ist immer dabei.« Früher habe ich diese 12-Stunden-Einsätze »locker weggesteckt«, erklärt ihr älterer Kollege Florian S. Heute sei das nicht mehr so. Es geht um einen Beruf mit Schichtdienst, Tag- und Nachtarbeit. Die Wochenenden sind schlecht planbar. Florian S. bedrückt, dass nicht nur er unter der Arbeit leidet, sondern auch seine Familie.
Es ist nicht nur die reguläre Arbeitszeit von wöchentlich 48 Stunden, die Florian S. zu schaffen macht. Es gibt zusätzliche Belastungen, von denen sich Außenstehende kaum ein Bild machen können. Kommt nämlich kurz vor Ende der fixierten Arbeitszeit ein dringender Notfall, zu dem die Rettungsassistenten gerufen werden, wird die dafür anfallende Zeit nicht bezahlt, sondern auf einem Überstundenkonto gutgeschrieben. Das füllt sich dann meist kräftig auf, weil es wegen des Personalmangels nicht abgebaut werden kann. "Ein Kollege", so berichtet Rettungsassistent Dirk S. "hatte rund 250 Überstunden." Vor einiger Zeit sollte er sein Kontingent etwas abbauen. "Das hat sich jedoch schnell erledigt", sagt Dirk S. und erklärt: "Wegen eines Krankheitsfalles musste er einspringen, am Ende standen mehr Überstunden auf dem Zettel, als er vorher hatte. Kein Einzelfall. Auch Rettungsassistentin Katharina H. berichtet über eine hohe Arbeitsbelastung und viele Überstunden, die sich im Laufe der Zeit angesammelt haben. Bezahlt wurde davon bislang kein Cent.
Bei der Polizei sind solche Regelungen undenkbar. Bereitschaftszeit ist Arbeitszeit. Eine klare Sache. Und auch bei den Ärzten ist die Bereitschaftszeit klar geregelt, wie Dr. Gernot Gaier, Verantwortlicher für den Notarztdienst in Reutlingen, erklärt. Neben der normalen Arbeitszeit wird auch die Bereitschaftszeit nach dem Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern honoriert. Die Bezahlung der Bereitschaftszeit hängt vom erwarteten Arbeitsanfall ab. »Üblicherweise sind Notarztdienste so ausgelastet, dass wir die Stufe mit der höchsten Bewertung bekommen«, sagt Dr. Gaier. Dabei werden dann 90 Prozent der Arbeitszeit angerechnet – unabhängig vom tatsächlichen Arbeitsanfall.
Aus seiner Sicht beschweren sich die Rettungsassistenten zu Recht darüber, dass ihre Arbeitsbereitschaft überhaupt nicht angerechnet wird. Dabei reihen sich nach seiner Erfahrung die Einsätze kontinuierlich aneinander. »Die Rettungsassistenten kommen je nach Standort oft nicht mal zu einer Pause, sondern arbeiten quasi durch«, redet der Notarzt Klartext. Er bedauert, dass ein Teil der tatsächlichen geleisteten Arbeit seiner wichtigen Helfer nicht entlohnt wird.
»Die Rettungsassistenten kommen oft nicht mal zu einer Pause«Ob diese Praxis mit den Regelungen zum Mindestlohn vereinbar ist, ist eine spannende Frage. Heute entscheidet das Bundesarbeitsgericht, ob den Rettungsassistenten für die Bereitschaftszeit wenigstens der Mindestlohn zusteht. Doch das ist keinesfalls eine ausgemachte Sache. In einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln entschieden die Richter, dass mit dem Gehalt auch die verlängerte Arbeitszeit abgegolten sei, weil »die innerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit liegende Bereitschaftszeit nicht unentgeltlich erbracht würde, sondern zusammen mit der Vollarbeit in einem gegenseitigen Verhältnis zur Vergütung steht«. Dadurch würde zwar der Stundenlohn geringer. Er liege aber trotzdem noch über dem Mindestlohn von 8,50 Euro. Die Nachprüfung ergibt: Bei einem Durchschnittslohn von 1 800 Euro und 205 Einsatz-Stunden pro Monat wird der Rettungsassistent mit exakt 8,78 Euro pro Stunde entgolten. (GEA)