LONDON. Entgeisterte Gesichter bei der Versteigerung: Anfang Oktober wurde Banksys Werk »Girl with Balloon« in London zerstört. Kurz nachdem im Auktionshaus Sotheby's das letzte Gebot einging, zerstückelte sich das Bild selbst: Ein im Rahmen versteckter Schredder zerschnitt das Motiv zur Hälfte - übrig blieben Schnipsel.
Eigentlich wollte Banksy sein Werk wohl sogar ganz vernichten, wie aus einem Video auf seiner Website hervorgeht. Rund zwei Wochen später bei einer Versteigerung mehrerer Werke in Paris blieb eine Überraschung wie in London aus.
Die Aktion in London hat jedoch die Spekulationen rund um Banksys Identität aufs Neue entfacht: Wer verbirgt sich hinter dem Straßenkünstler? Seit mehr als 25 Jahren bleibt diese Frage unbeantwortet. Mittlerweile ranken sich die wildesten Theorien um den Briten: Steckt der Sänger einer Band dahinter? Oder doch eine Frau, die sogar ein ganzes Kollektiv leitet?
Bekannt ist: Banksy kam Ende der 90er Jahre nach London. Berühmt wurde er durch seine gesellschaftskritischen und meist kontroversen Motive. Seine Kunst kritisiert wieder und wieder Krieg, Faschismus und übermäßiges Konsumverhalten. Eines der wenigen Graffiti, das in London noch zu sehen ist, heißt »Shop till you Drop« (Einkaufen bis zum Umfallen). Es zeigt eine fallende Frau mit Einkaufswagen an einer Hauswand in der Nähe des Hyde Park.
Viele glauben, dass Banksy ein etwa 40 Jahre alter Mann ist, der aus Bristol stammt. Seit vergangenem Jahr meinen manche, nun den Namen des Künstlers zu kennen: Rob. Der britische DJ Goldie hat den in einem Podcast angeblich aus Versehen ausgeplaudert. »Ich halte ihn für einen genialen Künstler«, sagte Goldie, der früher selbst Graffiti gesprayt hat. Seitdem sind zwei Männer zurück ins Visier der Spekulierenden gerückt: Robert Del Naja und Robin Gunningham.
Robert Del Naja stammt aus Bristol und ist der Sänger der britischen Band Massive Attack. Der schottische Musikjournalist Craig Williams hat 2016 in seinem Blog die angeblichen Beweise dafür zusammengetragen, dass Del Naja wohl Banksy ist: Demnach gebe es eine Verbindung zwischen den Tournee-Daten von Massive Attack und der Sichtung neuer Banksy-Bilder auf der ganzen Welt.
So seien etwa am 1. Mai 2010 sechs Kunstwerke von Banksy in San Francisco aufgetaucht, Massive Attack hatte dort nur ein paar Tage zuvor ein Konzert gegeben. Auch in Toronto will Williams Hinweise gefunden haben: Dort spielte Robert Del Naja mit seiner Band am 7. und 9. Mai 2010 - am 9. wurden drei neue Banksy-Motive in der Stadt gesichtet. Williams Liste ist lang - fast möchte man ihm glauben. Del Naja aber bestreitet die Gerüchte und sagte vor zwei Jahren der »Daily Mail«, dass er mit Banksy lediglich befreundet sei.
Der zweite »Verdächtige« Robin Gunningham ist Straßenkünstler und ebenfalls aus Bristol. Schon 2008 behauptete die »Daily Mail«: Gunningham ist Banksy. Acht Jahre später wollen Wissenschaftler der Queen-Mary-Universität in London das in einer Studie belegt haben.
Durch Techniken aus der Kriminologie haben sie ähnlich wie Craig Williams ein Muster zwischen den Werken und Aufenthaltsorten von Banksy und Gunningham hergestellt. »Ich wäre überrascht, wenn er es nicht ist«, sagte Steve Le Comber, einer der Forscher, der BBC. Der Street-Art-Experte Carlo McCormick schätzt, dass Gunningham mit 75-prozentiger Wahrscheinlichkeit Banksy sei - auch wenn der das über die Jahre immer wieder bestritten hat. Seine Bücher publiziert Banksy übrigens unter dem Namen »Robin Banksy«.
Keine der beiden Theorien ließ sich bis heute bestätigen - also haben sich die Menschen über die Jahre weitere ausgedacht.
Im Jahr 2010 erschien Banksys Doku »Exit Through The Gift Shop«, eine Parodie auf die Reproduzierbarkeit von Kunstwerken und das Degradieren von Kreativität zu Kommerz. Der Film war 2011 für einen Oscar nominiert. Banksy begleitet darin den Franzosen Thierry Guetta, der in Los Angeles unter dem Namen »Mr. Brainwash« seine Kunst an Wände sprüht. Manche glauben, dass Guetta tatsächlich Banksy ist, wieder andere halten die Idee für lächerlich.
Eine weitere Theorie besagt, dass Banksy kein Mann, sondern eine Frau ist, die sogar ein Kollektiv aus sieben Künstlern leitet. Das verbreitet zumindest die Doku »Banksy Does New York« aus dem Jahr 2014. Indizien dafür seien beispielsweise, dass sich Banksy in seiner Kunst mit sozialer Gerechtigkeit auseinandersetzt und häufig Kinder in seinen Motiven zu sehen sind.
Man könnte an dieser Stelle die Aufzählung von Banksy-Kandidaten fortführen - oder zum Ende kommen. Mittlerweile gibt es so verrückte, so abwegige Behauptungen, dass man eigentlich fragen müsste: Wer ist nicht Banksy? Ist der Künstler in Wahrheit Richard Pfeiffer aus Brooklyn oder ein namenloser Graffiti-Künstler aus Melbourne?
Vielleicht bleibt die Frage, wer Banksy ist, für immer unbeantwortet. (dpa)