Logo
Aktuell Kultur

Welterbe Herrnhut: »Eine Idee des Zusammenlebens«

Herrnhut ist jetzt Welterbe. Und nach dem Städtchen in Sachsen ist als Nächstes in Deutschland wohl Mecklenburg-Vorpommerns Landeshauptstadt Schwerin an der Reihe.

Brüdergemeine Herrnhut
Die Brüdergemeine Herrnhut in Sachsen. (Archivfoto) Foto: Sebastian Kahnert/DPA
Die Brüdergemeine Herrnhut in Sachsen. (Archivfoto)
Foto: Sebastian Kahnert/DPA

Die Unesco hat die sächsische Kleinstadt Herrnhut als Teil der Siedlungen der Herrnhuter Brüdergemeine als neues Welterbe ausgezeichnet. Das zuständige Komitee der UN-Organisation für Kultur gab die Entscheidung am Freitag im indischen Neu-Delhi bekannt. Mehr als 1200 Welterbestätten gibt es inzwischen. In Deutschland sind davon mehr als 50, was einen Anteil von etwa 4,5 Prozent ausmacht. Nicht schlecht. 

Voraussichtlich am Samstag wird noch eine Entscheidung über einen deutschen Antrag erwartet: Schwerin und sein Schloss auf einer Insel im See sowie weitere Teile der Innenstadt könnten dann ebenfalls auf der Liste des Weltkulturerbes landen. 

»Die Siedlungen der Herrnhuter Brüdergemeine stehen für den kulturellen und geistigen Austausch über Ländergrenzen und Kontinente hinweg«, sagte die Präsidentin der Deutschen Unesco-Kommission, Maria Böhmer. 

Brüdergemeine 1722 in Herrnhut gegründet

Herrnhut ist der Ursprung für die Evangelische Brüdergemeine. Protestantische Glaubensflüchtlinge aus Mähren gründeten den Ort vor gut 300 Jahren. Das fehlende »d« im Namen der Gemeinde »Brüdergemeine« ist der Sprache der damaligen Zeit geschuldet.

Graf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700–1760) stellte den Glaubensflüchtlingen das Land für die Ansiedlung in der Oberlausitz zur Verfügung. 

Brüdergemeine Herrnhut
Ein Denkmal erinnert in Herrnhut an Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf, der protestantischen Glaubensflüchtlingen Asyl in der Lausitz bot.(Archivfoto) Foto: Sebastian Kahnert/DPA
Ein Denkmal erinnert in Herrnhut an Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf, der protestantischen Glaubensflüchtlingen Asyl in der Lausitz bot.(Archivfoto)
Foto: Sebastian Kahnert/DPA

Am 17. Juni 1722 fällte der Zimmermann Christian David den ersten Baum, um den neuen Ort unter des »Herrn Hut« zu bauen. Als sich die Brüder-Unität weltweit ausbreitete, trugen Missionare aus der Oberlausitz einen Bauplan für neue Siedlungen in andere Länder. Mit Christiansfeld in Dänemark wurde eine davon schon 2015 Unesco-Welterbe.

Herrnhut selbst kam nun über einen transnationalen Erweiterungsantrag auf die Liste, zusammen mit Bethlehem in Pennsylvania (USA) und Gracehill in Nordirland.

Einstimmige Entscheidung

Der Beschluss wurde nach Angaben von Sachsens Staatskanzleichef Conrad Clemens einstimmig gefasst. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) beglückwünschte Herrnhut. Er freue sich sehr, sagte er in einer Videobotschaft auf der Plattform X. 

Vize-Ministerpräsident Wolfram Günther (Grüne) sagte, die Unesco-Entscheidung sei »eine hervorragende Nachricht«. »In Zeiten, in denen viele negative Nachrichten aus Sachsen kommen, richtet die Entscheidung den Blick auf die vielen Engagierten und Aktiven vor Ort, die an der Zukunft des Freistaats bauen.«

Die Brüdergemeine-Siedlungen zeichneten eine schlichte, klare Architektur aus mit Fokus auf gemeinsamem Leben, Arbeiten und Glauben, sagte Staatskanzleichef Clemens, der als Sohn eines Pfarrers der evangelischen Freikirche seit Geburt der Herrnhuter Brüdergemeine angehört. »Es ist eine Idee des Zusammenlebens, die auf Weltoffenheit, Gleichberechtigung und fast familiärem Zusammenhalt fußt«, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Der Titel sei »in einer Zeit, wo wir viel Spaltung und Polarisierung erleben, ein schönes Zeichen«.

Brüdergemeine Herrnhut
Der Kirchensaal der Herrnhuter Brüdergemeine. (Archivfoto) Foto: Sebastian Kahnert/DPA
Der Kirchensaal der Herrnhuter Brüdergemeine. (Archivfoto)
Foto: Sebastian Kahnert/DPA

Schon am Freitag wurden neben Herrnhut andere Stätten in die Welterbeliste aufgenommen. Besonders aufsehenerregend: die archäologische Stätte des Klosters des Heiligen Hilarion, auch als Tell Umm Amer bekannt, im Gazastreifen. Das in byzantinischer Zeit im 4. Jahrhundert gegründete Kloster kam zugleich auf die Liste des gefährdeten Welterbes. 

Die Stätte liegt in einem Dorf keine zehn Kilometer südlich von Gaza-Stadt und gilt als frühes Zeugnis des Christentums in der Region. Im Gazastreifen herrscht derzeit Krieg. Israel reagierte mit Luftangriffen und einer Bodenoffensive, nachdem Terroristen der im Gazasrreifen herrschenden Hamas am 7. Oktober ein beispielloses Massaker mit mehr als 1200 Toten in Israel verübt hatten.

Titel »Weltkulturerbe« als Tourismusfaktor

In Regionen ohne Krieg ist der Titel »Weltkulturerbe« in den letzten Jahrzehnten zu einem Tourismusfaktor geworden. Die Unesco weiß: Die meisten Kultur- und Naturerbestätten erlangen mit ihrer Einschreibung einen gesteigerten Bekanntheitsgrad, der sich oftmals in einer Zunahme der Besucherzahlen spiegelt. 

In Wismar an der Ostseeküste, die Stadt in Mecklenburg wurde 2002 aufgenommen, haben sich die Übernachtungszahlen seither auf etwa 414.000 im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt. Der Welterbe-Status sei dabei ein Faktor von mehreren, sagt ein Stadtsprecher. Ein anderer sei die ZDF-Krimiserie »Soko Wismar«. 

In Schwerin, der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern (MV) erwarten die Touristiker angesichts der anstehenden Entscheidung ebenfalls einen Boom von Städtetouristen. »Selbstverständlich gibt es die Erwartung, dass Schwerin durch den Status als Weltkulturerbe international an Bekanntheit gewinnt«, heißt es von der Stadt.

MV-Landestourismusverbandschef Tobias Woitendorf betont das Potenzial: »Aus der Chance heraus entstehen natürlich auch Anforderungen wie Mehrsprachigkeit, Digitalisierung sowie ein gutes Orientierungs- und Informationssystem für die Gäste der Stadt, damit das Entdecken des gekürten Areals für alle zum Erlebnis werden kann.«

© dpa-infocom, dpa:240726-930-185301/1