Wenn man verstehen will, wie lange ein Filmfestival eigentlich vorbereitet wird, dann kann ein Detail helfen. Carlo Chatrian (51) und Mariette Rissenbeek (66) leiten die Internationalen Filmfestspiele in Berlin. Und fragt man Chatrian, wie viele Filme er diesmal zur Vorbereitung geschaut hat, dann antwortet er: »Ich habe nicht die genaue Zahl, aber vielleicht etwa 800.« Sie hätten sehr früh angefangen im April, Mai. Und der Sommer sei intensiv gewesen.
»In der ganzen Filmbranche herrscht die Stimmung: 'Jetzt geht es los. Es gibt zwar noch die Pandemie, aber sie ist kein Problem mehr'«, erzählt Chatrian. Die Berlinale - neben Cannes und Venedig eines der großen Filmfestivals der Welt - soll am 16. Februar beginnen. In wenigen Wochen also. Schauspielerin Kristen Stewart ist dann Jurypräsidentin, Regisseur Steven Spielberg wird fürs Lebenswerk geehrt.
Neue Herausforderungen
Die Pandemiebeschränkungen, die es beim Festival 2022 noch gab, sollen nun wegfallen. »Wenn sich die aktuellen Bedingungen nicht verändern, werden wir eine ganz normale Berlinale haben«, sagt Geschäftsführerin Rissenbeek. »Bei den Tickets können wir die Kinos wieder zu 100 Prozent nutzen.« Dafür tun sich andere Herausforderungen auf. Denn auch die Berlinale bekommt gestiegene Preise zu spüren, etwa bei Dienstleistungen, Kinomieten, Catering.
Nun soll zum Beispiel die Eröffnungsparty nicht mehr extern stattfinden. Auch die Kinokarten für Besucherinnen und Besucher werden wohl etwas teurer. Sie hätten zwei neue Hauptsponsoren und weitere Partner. »Aber die gestiegenen Kosten können wir auch trotz der neuen Sponsoren nicht selber finanzieren«, sagt Rissenbeek.
Unterstützung kommt aus dem Haus von Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Über die Regelförderung von 10,7 Millionen Euro hinaus gibt es einmalig bis zu 2,2 Millionen Euro. »Damit möchten wir dazu beitragen, dass die Berlinale auch 2023 zu einem vollen Erfolg werden kann«, sagt die Grünen-Politikerin der dpa. »Das stärkt auch den Filmstandort Deutschland.«
Die Berlinale 2023 fällt in politisch schwierige Zeiten. Nur wenige Tage nach den zurückliegenden Filmfestspielen griff Russland die Ukraine an. Und im Iran wurden in den vergangenen Monaten mehrere Filmschaffende verhaftet, darunter die Regisseure Mohammed Rassulof und Jafar Panahi, deren Filme einen Goldenen Bären gewonnen haben. Im Land gibt es Proteste gegen die staatliche Führung. Auch diese Krisen werden die Berlinale beschäftigen.
Thema Klimaschutz
In den vergangenen Monaten haben auch Demonstrantinnen und Demonstranten, die mehr Klimaschutz fordern, immer wieder für Aufsehen gesorgt. Zur Frage, ob sie Angst haben, dass sich Klimaaktivisten auch bei der Berlinale ankleben könnten, sagt Rissenbeek: »Da haben wir ein Dilemma, weil wir natürlich inhaltlich eigentlich hinter den ökologischen Zielen stehen.«
Die Berlinale sei schon sehr lange nachhaltig, mit einem grünen roten Teppich oder mit Projekten wie »Bring Your Own Cup«. »Wir verzichten auf Papier so viel wie es geht. Wir nutzen schon sehr lange Ökostrom und auch LED-Leuchten am roten Teppich.«
»Deswegen: Klimaschutz ist uns wichtig, aber natürlich würde es den Betrieb verändern, wenn sich Aktivisten festkleben würden«, sagte Rissenbeek. Verhindern könne man das nicht. »Man kann ja nicht sagen, es darf niemand Klebstoff in seiner Handtasche mitnehmen.«
Chatrian weist darauf hin, dass es im Programm eine Auseinandersetzung mit dem Klimaschutz gibt. »Wir hatten und wir haben im Programm Filme, die für die Ökologie, für das Klima eine sehr aktive Position haben.« Natürlich brauche man, um einen Film zu machen, Energie, aber wenn der Film gut sei, könne sich am Ende eine andere Meinung entwickeln.
Die beiden schätzen, dass Filmstars auch in Zukunft noch fliegen werden zu solchen Veranstaltungen, mit Blick auf den Klimaschutz aber womöglich stärker auswählen werden. »Stars reisen, aber oft für eine gute Idee, für ein gutes Projekt. Ich glaube, das ist unserem Publikum klar.«
Viele Filme mit wenig Budget
Während sich Rissenbeek um viel Organisatorisches kümmert, ist Chatrian mit seinem Team für die Filmauswahl verantwortlich. Nach seiner Einschätzung ist nicht nur die Aufbruchstimmung ein Grund dafür, dass so viele Filme eingereicht wurden. Ein anderer Grund für die Vielzahl sei, dass es einfacher geworden sei, einen Film zu machen. »Es gibt viele Filme, die mit wenig Budget gemacht werden«, sagt Chatrian. Zur Frage, woran das liege, etwa an besserer Technologie, nimmt er ein Handy in die Hand: »Man kann einen Film hiermit machen. Und dann gibt es Programme, Software.«
»Wir haben etwas weniger als 8000 Filme bekommen, kurze und lange. Und ein großer Teil sind sehr, sehr kleine Filme«, sagt Chatrian. Dass man heute so einfach Filme machen kann, sei für die Qualität keine gute Sache. Die vielen Einreichungen machten es auch komplizierter für Mitarbeiter und Programm-Macher.
Beim Interview vermitteln Rissenbeek und Chatrian, dass sie sich auf das Festival freuen. »Eigentlich ist es für mich gerade die aufregendste Phase«, sagt Rissenbeek. »Man organisiert viel und jetzt ist die Zeit, wo die ersten Titel und Namen hausintern - noch nicht öffentlich - zu mir durchdringen. Und das ist immer ein schöner Moment, weil man dann auf einmal sieht: 'Oh, die Personen, die kenne ich doch noch' oder «Den wollte ich immer mal kennenlernen».« Für alle anderen wird es ebenfalls bald Neuigkeiten geben - das Programm wird am 23. Januar vorgestellt.
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