Man hatte fast den Eindruck, Damon Albarn hätte das Interesse an Blur verloren. Acht Jahre waren seit dem Album »The Magic Whip« und der letzten Tour der Britpop-Ikonen vergangen. In dieser Zeit veröffentliche der musikalische Workaholic immerhin vier Alben mit seiner Band Gorillaz und absolvierte genauso viele Konzert-Tourneen. Umso überraschender kam das Blur-Comeback in diesem Sommer samt Ankündigung des neunten Studioalbums »The Ballad of Darren« und Europa-Tournee.
»Der Zeitpunkt ist genau richtig«, sagt Damon Albarn (55) im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in London. Der Sänger, Songwriter und Multiinstrumentalist stellt klar, dass die acht Jahre Auszeit für Blur notwendig waren. »Graham und ich haben in der Schule angefangen. Man braucht große Pausen voneinander, damit einem überhaupt wieder klar wird, wo man herkommt. Wir waren auch einfach beschäftigt.«
Man muss auch andere Sachen im Leben machen
Gitarrist Graham Coxon komponierte Filmmusik und veröffentlichte ein Album mit seiner Band The Waeve. Schlagzeuger Dave Rowntree war politisch aktiv und nahm sein erstes Soloalbum auf. Bassist Alex James produzierte auf seiner Farm Käse. »Man kann nicht sein ganzes Leben von einer Sache definiert werden«, sagt Albarn. »Naja, kann man schon.« Für die Blur-Mitglieder kommt das jedoch nicht in Frage.
Im Interview kurz vor zwei gigantischen und gefeierten Konzerten im Londoner Wembley-Stadion wirkt Albarn cool, beim zweiten Auftritt in Wembley gibt sich der Blur-Frontmann hingegen überraschend emotional und bricht in Tränen aus. Auch »The Ballad Of Darren« zeigt die in die Jahre gekommene Erfolgsband von ihrer emotionalen Seite.
Das titelgebende »The Ballad« eröffnet den neuen Longplayer sanft, langsam und ein wenig verträumt. Ein Hauch der 70er Jahre schwingt mit. Atmosphärisch fühlt man sich an den fabelhaften Soundtrack von Air für den Film »The Virgin Suicides« erinnert. »Russian Strings«, »The Everglades«, »Goodbye Albert«, »Far Away Island« und »Avalon« sind weitere Balladen, die auch aufgrund der herrlichen Gitarrenklänge von Graham Coxon wunderbar atmosphärisch sind.
Damon Albarn liebt die Poesie
»Ich finde es zutiefst melancholisch, nicht nur ein bisschen«, sagt Albarn über das neue Album, das wie üblich überwiegend aus seiner Feder stammt. Die Melancholie fasziniere ihn - und dass sich die Traurigkeit durch die Musik, die Melodie und die Worte kaschieren lasse. »Ich mag diesen Ort. Ich schätze, das lässt sich vermutlich bis zu Goethe zurückverfolgen. Er war mit seiner Poesie sozusagen einer der ersten großen Melancholisten.«
Mit Johann Wolfgang von Goethe hat sich der vielseitige Sänger und Songwriter zuletzt intensiv befasst. Er arbeitet derzeit an einer Oper, die Fragmente von Goethes Libretto »Der Zauberflöte zweyter Theil« benutzt. »Ich lerne gerade viel über Goethe, und ich genieße seine Werke sehr«, erzählt Albarn, der auch von Federico García Lorca, Rainer Maria Rilke und John Donne schwärmt. »Die Poesie und ihre Beziehung zur Musik waren mir schon immer sehr wichtig.«
Anklänge an den Britpop der 90er
Die Lieder auf »The Ballad Of Darren« sind auf eine angenehme Art zeitlos. Der Aufbau der Songs folgt aber den Komponisten der 60er und 70er Jahre. »Ich schätze, die Abfolge der Akkorde ist eher so, wie es Burt Bacharach gemacht hätte«, bestätigt Albarn. »In der modernen Popmusik gibt es normalerweise zwei Akkorde, maximal drei. Aber hier geht der Refrain direkt in eine ganz andere Tonart, was heute nicht mehr oft passiert. Das ähnelt eher den klassischen Songwritern.«
Der radiotauglichste Song des Albums ist »Barbaric«, eine softe Popnummer. Überbleibsel des klassischen Blur-Sounds der 90er Jahre sind bei »St. Charles Square« zu hören. Die coole Nummer erinnert auch dank der schrägen Gitarrensounds an die Blütezeit des Britpop. Inspiriert wurde Albarn dazu allerdings von Leonard Cohen. »Er ist einer der überragenden Alchemisten, wenn es darum geht, Worte mit Melodien zu verbinden«, schwärmt der Sänger.
Den Song schrieb er im kanadischen Montreal in einem Hotelzimmer mit Blick auf ein Wandgemälde des legendären Cohen. »Er hat mich quasi den ganzen Tag beobachtet, während ich schrieb. Und ich empfand großen Druck, etwas zu produzieren, das meinen Respekt zeigt - und meinen Wunsch, so zu schreiben wie Leonard Cohen.«
Darren ist eine Art Jedermann
Und wer ist nun eigentlich Darren? »Darren ist ein alter Freund von uns«, klärt Albarn auf. Um Darren selbst geht es auf dem neuen Album übrigens auch gar nicht. Sein Name kommt nur stellvertretend im Titel vor. »In gewisser Weise ist er jeder von uns, er ist der Jedermann.«
Nach ihrer langen Pause melden Blur sich eindrucksvoll zurück und enttäuschen kein bisschen. »The Ballad Of Darren« ist ein hervorragendes Album einer Band, die sich weder auf den Erfolgen der Vergangenheit ausruhen will, noch krampfhaft daran anzuknüpfen versucht. Damon Albarn und Co. machen nur Musik, wenn sie musikalisch etwas anzubieten haben. Allein deshalb ist der Zeitpunkt ihres Comebacks genau richtig.
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