Noch im hohen Alter mochte Carlos Saura die Füße nicht hochlegen. »Ich kann einfach nicht stillsitzen«, sagte der legendäre spanische Filmregisseur Saura (»Carmen«) kurz vor seinem 90. Geburtstag Journalisten am Rande des Filmfestivals von San Sebastián, wo er 2021 einen neuen Kurzfilm präsentierte. »Man muss Projekte haben, sie hauchen einem Leben ein«, sagte er damals.
Diesen Samstag sollte Saura in Sevilla mit einem Goya-Ehrenpreis ausgezeichnet werden. Der Künstler arbeitete seit vorigem Jahr auch an einem neuen Projekt, einem mit Spannung erwarteten Film über den legendären spanischen Maler Pablo Picasso, dessen Tod sich im April 2023 zum 50. Mal jährt. Das Projekt muss wohl aber jemand anders vollenden. Denn Saura ist am Freitag im Alter von 91 Jahren gestorben, wie die spanische Filmakademie auf Twitter mitteilte.
Projekte - davon hatte Saura so viele, dass er locker 100 oder auch 120 Jahre hätte alt werden können, ohne dass ihm die Arbeit ausgegangen wäre. Seit den Anfängen im Jahr 1955 drehte er mehr als 50 Spielfilme und unzählige Kurzstreifen. In Deutschland war neben »Züchte Raben ...« (1975) vor allem »Carmen« (1983) ein Hit. Zum Ballettfilm über eine Aufführung von Georges Bizets berühmter gleichnamiger Oper, der damals ganz Europa in Flamenco-Fieber versetzte, meinte Saura vor wenigen Jahren: »Verrückt, wie gut «Carmen» damals in Deutschland ankam. Und der Film wird im Fernsehen immer noch gezeigt, während er hier in Spanien schon total in Vergessenheit geraten ist.«
Mehrere Male gewann er den Goya
Musik- und Tanzfilme waren die großen Leidenschaften des in Huesca unweit der Pyrenäen im Nordosten Spaniens geborenen Sohns eines Juristen. Er würdigte neben dem Flamenco, dem er mehrere Filme widmete, auch den Jota-Tanz seiner Heimat Aragonien, den argentinischen Tango oder den Fado aus Portugal. Warum so viele Musikfilme? Die Antwort ist einfach: »Meine Mutter war Konzertpianistin, ich bin ein frustrierter Musiker, habe aber großes Musikverständnis. Und es gibt ja auch die Nachfrage.«
Die Auszeichnungen flogen dem Regisseur nur so zu. Zwei Mal bekam er in Berlin den Silbernen Bären (1966 und 1968), 1981 auch den Goldenen für »Los, Tempo!«. Er gewann mehrere Male den Goya, die höchste spanische Filmauszeichnung, in Cannes erhielt er unter anderem den Großen Preis der Jury 1976 für »Züchte Raben ...«, 1985 den Bafta-Award für »Carmen« als besten fremdsprachigen Film und 2004 für sein Lebenswerk den Europäischen Filmpreis.
2021 kam sein in Mexiko gedrehter Musikstreifen »El rey de todo el mundo« (Der König der ganzen Welt) in Spanien in die Kinos. Sauras weitere Pläne betrafen neben dem Picasso-Projekt unter anderem eine Verfilmung seines ersten Romans »Dieses Licht« und eine Fortsetzung seines Films »Elisa, mein Leben« (1977).
Das soziale Gewissen Spaniens
Saura war aber nicht nur ein Filmgenie, er war auch so etwas wie das soziale Gewissen seiner Heimat. Schon in seinen ersten längeren Filmen setzte er sich mit dem spanischen Bürgertum und der Franco-Diktatur kritisch auseinander. Der Mann, der von kommunistischen Filmemachern, deutschen Expressionisten, Neo-Surrealisten und vor allem von seinem über 30 Jahre älteren Freund und Lehrmeister Luis Buñuel beeinflusst wurde, war immer ein unermüdlicher Sozialkritiker.
Saura stellte in seiner Heimat vieles an den Pranger: die Korruption, das vermeintlich mangelnde Kulturbewusstsein der Spanier (»Wir sind ein barbarisches und faules Land«), das Verhalten der Spitzenpolitiker, die sich oft wie »Kneipenrüpel benehmen«, und auch das Fernsehen, das »indirekte Zensur« betreibe und unbequeme Themen meide.
Stets die Kamera dabei
Als junger Mann hatte Saura Ingenieurswissenschaften studiert und gemalt, bevor er es auf Anregung seines älteren Bruders, des 1998 mit 67 Jahren gestorbenen berühmten Malers Antonio Saura, mit dem Film versuchte. Sauras liebste Beschäftigung war aber das Fotografieren. Er hatte bei öffentlichen Auftritten immer eine Kamera dabei und besaß in seinem Haus in Collado Mediano im Madrider Guadarrama-Gebirge eine Sammlung von mehr als 600 Geräten. Seine mehrfach ausgezeichneten Fotosammlungen stellte er regelmäßig aus.
Damit aber nicht genug: Er veröffentlichte zwischen 1997 und 2004 drei Romane, schrieb mehrere Drehbücher und veröffentlichte auch Bücher über Fotografie. Er inszenierte außerdem auch mehrfach die Oper »Carmen« (sein Debüt feierte er 1991 in Stuttgart) und führte in Madrider Theatern Regie.
Das Privatleben Sauras war ebenso bewegt wie das künstlerische und berufliche. Mit vier Partnerinnen zeugte er sieben Kinder. Unter anderem war er mit der US-Schauspielerin Geraldine Chaplin bis 1979 zehn Jahre lang liiert. Seit 1993 war er mit der 28 Jahre jüngeren spanischen Schauspielerin Eulalia Ramón zusammen.
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