Seit Jahren zählte er zu den Favoriten, nun erhält er tatsächlich die wichtigste Literaturauszeichnung der Welt: Der norwegische Autor Jon Fosse wird in diesem Jahr mit dem Literaturnobelpreis geehrt. Das gab die Schwedische Akademie in Stockholm bekannt.
Fosse erhalte den mit elf Millionen schwedischen Kronen (rund 950.000 Euro) dotierten Nobelpreis für seine innovativen Theaterstücke und seine Prosa - damit gebe er »dem Unsagbaren eine Stimme«, sagte der Ständige Sekretär der Akademie, Mats Malm, bei der Preisbekanntgabe in der Stockholmer Altstadt.
Der 64-jährige Fosse ist ein Freund der Abgeschiedenheit und der Ruhe - sinnbildlich dafür steht, wo ihn die Akademie telefonisch erreichte, um ihn kurz vor der Bekanntgabe über seine Auszeichnung zu informieren: Als er ihn angerufen habe, habe sich Fosse gerade in der Nähe seines Sommerhauses an einem Fjord nördlich von Bergen im Auto befunden, sagte Malm. Er habe versprochen, vorsichtig zu fahren und sich die Bekanntgabe anzuschauen, merkte Malm an.
Sorge vor der Aufmerksamkeit
»Ich bin überwältigt«, sagte Fosse der schwedischen Zeitung »Svenska Dagbladet«. Er sei »sehr, sehr froh«, habe aber auch ein wenig Angst vor der ganzen Aufmerksamkeit, die der Nobelpreis mit sich bringe. Dem norwegischen Fernsehsender TV2 sagte er mit Blick auf seine jahrelange Mitfavoritenrolle, er sei die Spannung vor der Preisbekanntgabe gewohnt - und auch, den Preis dann nicht zu bekommen. Dass er nun wirklich Nobelpreisträger werde, komme »also etwas unerwartet«, sagte er mit einem Lachen. »Höher als zum Nobelpreis wirst du nicht kommen. Danach geht alles bergab.«
Düstere und von Stille geprägte Theaterstücke haben den Norweger berühmt gemacht. Seinen Texten haftet oft etwas Melancholisches und auch Mystisches an. »In seiner radikalen Reduktion der Sprache und der dramatischen Handlung legt er den Kern menschlicher Ängste und Ambivalenzen offen«, sagte der Vorsitzende des Nobelkomitees der Akademie, Anders Olsson. »Durch seine Fähigkeit, den menschlichen Orientierungsverlust hervorzurufen und dadurch paradoxerweise den Zugang zu einer tieferen Erfahrung nahe der Göttlichkeit zu ermöglichen, gilt Fosse nicht nur im zeitgenössischen Theater als Innovator.«
Bereits mehrfach ausgezeichnet
Fosse hat bereits eine Fülle an Werken geschrieben und ist vielfach ausgezeichnet worden. Sein erstes Drama auf Deutsch, »Der Name«, brachte ihm den Ibsen-Preis und den österreichischen Theaterpreis ein. Sein jüngstes auf Deutsch erschienenes Werk ist der Roman »Ich ist ein anderer« (Rowohlt Verlag).
»Der Nobelpreis für Jon Fosse ist eine große Freude«, erklärte Rowohlt-Geschäftsführerin Nicola Bartels. »Die Auszeichnung würdigt das literarische Schaffen eines Autors, dessen Werke die Welt mit Tiefe und Intensität berühren, die das Gewöhnliche außergewöhnlich erscheinen lassen und deren poetisch einfache Sprache zu Musik wird.«
Voll des Lobes war auch der deutsche Literaturkritiker Denis Scheck. »Ich halte das für eine ausgezeichnete Wahl«, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Fosse sei ein Autor, der für die menschliche Einsamkeit neue Ausdrucksformen gefunden habe, und »ein Geistesverwandter von Samuel Beckett«.
Bisher drei Norweger vor Fosse geehrt
Fosse ist der erste norwegische Literaturnobelpreisträger seit 95 Jahren. Nur drei seiner Landsleute wurden vor ihm vor langer Zeit mit der renommiertesten aller literarischen Auszeichungen geehrt: Sigrid Undset (1928), Knut Hamsun (1920) und Bjørnstjerne Bjørnson (1903). »Ganz Norwegen gratuliert und ist stolz heute!«, schrieb Regierungschef Jonas Gahr Støre am Donnerstag auf der Online-Plattform X. Auch Norwegens König Harald V. gratulierte.
Im vergangenen Jahr hatte die Schwedische Akademie die französische Schriftstellerin Annie Ernaux als Literaturnobelpreisträgerin auserkoren. Ernaux war dabei die erst 17. Frau unter den bis dato 119 Nobelpreisträgern in Literatur gewesen. In den vergangenen Jahren ist der Preis jeweils abwechselnd an Männer und Frauen gegangen - diesem Wechselspiel blieb die Akademie mit der Kür von Fosse nun weiter treu. Feierlich überreicht werden die Nobelpreise - neben Literatur auch für Medizin, Physik, Chemie, Wirtschaftswissenschaften sowie der Friedensnobelpreis - traditionell am 10. Dezember, dem Todestag des Dynamit-Erfinders und Preisstifters Alfred Nobel (1833-1896).
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